Die Jugend des Königs Henri Quatre. Heinrich Mann

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Die Jugend des Königs Henri Quatre - Heinrich Mann

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Geliebten. Der Herr Admiral hat recht: das gibt uns die Gelegenheit, Madame Catherine aus der Macht zu drängen. Jetzt, mein Sohn, mach Dich auf und reise!“

      Dies schrieb Jeanne,und der Bote, ein Béarner Edelmann, brachte es in Sicherheit, um beim ersten Tagesgrauen damit abzureiten. Wenigstens glaubte er, die beiden Briefe, der Königin und ihrer Tochter, sicher auf seinem Leibe tragen zu können. Indessen war er noch nicht angelangt bei dem Haus, wo er mit Kameraden wohnte, da wurde er angerannt von Betrunkenen; trotz der Dunkelheit erkannte er, daß sie zur Leibwache der Königin von Frankreich gehörten. Er erwehrte sich ihrer, bekam aber einen Schlag, der ihn zu Fall brachte. Als er aufstehen konnte, waren seine Angreifer fort und mit ihnen die anvertrauten Briefe.

      Sie kamen unverweilt in die Hände Katharinas von Medici und wurden von ihr geöffnet, ohne daß sie die Siegel brach. Allein in ihrem Schlafzimmer, las sie, was ihre Feindin und die andere ihr wohl oder übel verrieten, und Madame Catherine freute sich. Sie war erfreut, weil entlarvte Verschwörungen sie zu beleben pflegten. Jede Bosheit des Lebens und der Menschen bestätigte ihre eigene Natur und Geistesart und ermunterte sie zu einer entscheidenden Tätigkeit. Sie saß in ihrem graden hölzernen Sessel ohne Bequemlichkeit, sah über das Geschriebene hinweg, denn sie wußte es auswendig, und zwei der weißen Wachskerzen, von denen sechs in ihrem Zimmer gebrannt hatten, beleuchteten sie noch: die anderen waren von ihren Fingerchen ausgelöscht. Der Lichtschein umrandete die gelb herabhängenden Massen des Kinns und der Wangen, das obere Gesicht lag unter einem Schatten, worin aber die Augen, sonst stumpf schwarz, wie angezündete Kohlen glommen. Was diese Augen im Innern der alten Königin auch erblicken mochten, außen im Zimmer sahen sie, von dem Dunkel freigelassen, nur gewisse Einzelheiten der bemalten Täfelungen, einmal einen schreiend aufgerissenen Mund, ein geschwungenes Messer. Die Flamme der Kerze wurde aber von Zugluft nach der anderen Seite gelegt, da erschien das fleischliche Lächeln einer Nymphe und die Hand, die nach ihr griff.

      Madame Catherine bedachte, daß sie nach den ausdrücklichen Worten ihrer Feindin sollte aus der Macht gedrängt werden, Schon bildete diese Unbesonnene sich ein, die Herrin zu sein, Madame Catherine aber wäre allein und verlassen und ihr Sohn, der König, nur noch das Werkzeug eines Aufrührers, den ihr Gericht verurteilt hatte, gehängt zu werden auf dem Grèveplatz! ,Das Urteil ist nicht aufgehoben, meine gute Freundin! Wissen Sie denn, ob meinen Sohn Karl nicht manchmal die Reue packt? Und wäre es nicht seine bessere Besinnung, dann hat er doch Furcht vor seinem Bruder d’Anjou, der mein Liebling ist, weil er keine Frauen mag. Ich drohe dem älteren mit dem nächsten. Er weiß, wie schnell man bei uns stirbt. Nein, gute Freundin, was Sie sich auch einbilden mögen, ich werde nicht den König von Spanien erzürnen und werde den holländischen Geusen durchaus nicht gegen ihn beistehen. Sonst gäbe Philipp meinen Thron den Guise, und ich wäre wahrhaftig verloren. Mit dem Guise, diesen Erzkatholiken, muß ich so gründlich fertig werden wie mit euch Ketzern. Kommt eins nach dem andern. Lassen Sie mir nur noch wenig Zeit, gute Freundin! Sie sollen große und seltene Neuigkeiten erleben. Sagte ich: erleben?‘

      Madame Catherine dachte, ohne auch nur wahrzunehmen, daß sie dachte. Ihr Geist lebte in diesem Zeitraum herrlich, weil er gespannt war über die Angst hinweg bis zum ruchlosen Wagemut. Man geht dann in Gedanken weiter, als die Tat voraussichtlich jemals führen soll: und sie führt dahin dennoch.

      Sie war inzwischen keineswegs entrückt aus der Gegenwart, sondern nahm alles wohl wahr, was in ihrem Schloß zu dieser Stunde vor sich ging. Ihr Schloß Louvre wurde versperrt und verriegelt um elf Uhr, kurz vorher war ein großes Gelaufe von Höflingen, die rechtzeitig hinauswollten: sogleich mußte zum drittenmal gerufen werden, dann fielen die Tore zu. Noch marschierten schwer die Bogenschützen des Königs durch alle Gänge, um sie von Zurückbleibenden zu säubern. Waren sie aber vorüber, wurde dennoch an Türen, die nur anlehnten, heimlich verhandelt, und die Frauen ließen die Männer ein. Madame Catherine wußte es wohl und erlaubte es. Der Anführer der Leibwache des Königs trat bei ihr ein und fragte nach dem Losungswort für diese Nacht. „Amor“, beschied ihn Madame Catherine.

      Sie befahl diesem Hauptmann noch weiteres, aber dabei ließ sie ihn nahe zu ihrem Stuhl treten und sprach leise. Infolgedessen wurden in ihrem Vorzimmer die sechs Wachskerzen ausgelöscht, und auf die Treppen ergoß diese Nacht keine der großen Laternen aus Leinen ihren gesiebten Schein. Es hatte zwölf geschlagen, da stieg, von einem Fackelträger begleitet, eine vermummte Gestalt hinan zum Schlafzimmer der alten Königin, trat ein, schloß aber die Tür erst, als der Offizier sich entfernt hatte. Dann öffnete Karl der Neunte seinen Mantel. Seine Mutter saß am Fleck wie seit Stunden, sie wendete ihm das große alte Gesicht zu, das Licht flackerte schräg darüber hin, und ihr Sohn erschrak.

      „Ich habe dich rechtzeitig gerufen, mein Sohn, auch war es nötig, daß du bei Nacht eintrafst. Es ist so weit, daß wir handeln müssen. Lies diese Briefe!“ Sie schob sie ihm hin. Karl buchstabierte in ihnen, schon schlug er mit der Faust auf den Tisch. Sein Gesicht aber zeigte nicht nur Wut, sondern noch mehr Furcht. Der mißtrauische Blick kam, wie seit jeher, schräge. Katharina dachte: ,Ein schlechterhaltener junger Mann. Wie gut, daß ich noch zwei Söhne habe! Der nächstfolgende liebt die Knaben: ich werde die einzige Frau sein, die ihn beherrscht. Der letzte ist ein Querkopf, auf ihn muß ich aufpassen, damit er nichts gegen mich tut.‘

      „Ich denke immer an dein Wohl, mein Sohn“, sagte die alte Frau. „Du hast in Blois bei deiner Freundin zuviel des Guten getan: jetzt brauchst du sehr nötig die bewährte Kraft deiner Mutter, damit wir deinen Thron retten.“

      „Schlag sie tot! Schlag sie tot!“ keuchte Karl, dem die Adern unheilvoll anschwollen. Sein Gesicht war weniger fett als aufgetrieben, und es wurde bedeckt von einem gestutzten, undichten Bart. Über die Oberlippe hing dieser in rötlichen Strähnen, die Unterlippe aber; sonst aus Abneigung gegen die Welt fest angedrückt, fiel jetzt herab, weil der arme Mensch große Angst litt. Bei „Schlag sie tot!“ stieß er unbeherrscht den Kopf ans der gestärkten Halskrause hervor, wobei in seinen großen Ohren die beiden dicken Perlen schaukelten und schimmerten.

      Die alte Frau sagte: „Der Herr Admiral, den du deinen Vater nennst —. Aber nenn ihn nur so, das täuscht ihn. Der Empörer bedroht mich ganz offen, und seine armselige Ziegenkönigin hat mir ins Gesicht gesagt, daß sie mich nicht fürchtet. ,Ich weiß, daß Sie keine kleinen Kinder fressen‘, so hat sie sich ausgedrückt. Aber ich versichere dir, daß die Pyrenäenziege es nicht im geringsten weiß. Zum Beispiel, sie selbst hat Kinder, und die denke ich allerdings zu verzehren. Das kleine Mädchen hat diesen rührenden Brief geschrieben, und der Junge soll ihn richtig bekommen. Um so sicherer wird sein ritterlicher Sinn und Mut ihn herführen, dann aber dient er mir als Lockvogel für alle die gefährlichen Hugenotten. Paris wimmelt schon jetzt von ihnen, aber im Gefolge ihres munteren Prinzen werden erst recht viele von ihnen hier einrücken.“

      Sie hatte die Stimme vollends gesenkt, sie flüsterte nur noch. „Dann haben wir sie. Alle Gascogner Schreier werden zusammen nur noch einen Hals haben: der ist leicht abzuschneiden. Still!“ herrschte sie ihn an, denn Karl wollte wieder loslegen: Schlag sie tot! Es war ihm anzusehen. Indessen auch Madame Catherine war im Geist über einen Abgrund gespannt, unwissend, ob die Tat den Gedanken jemals nachfolgen sollte. Sie erinnerte sich, langsam und Wort für Wort:

      „Der Herzog von Alba sagte mir einst: Zehntausend Frösche sind noch kein Lachs‘, und ich erwiderte ihm: ,Sie können mit dem Lachs zwei Personen meinen.‘ “

      Sie sah ihn lange und aufmerksam an, obwohl sie nur seinem Seitenblick begegnete. „Allerdings sind auch wir nur zwei“, äußerte sie plötzlich, ließ auf einmal wieder ihre fette, behäbige Stimme hören. Darüber erschrak er dermaßen, daß er, in der Absicht, nach einem nicht vorhandenen Stuhl zu greifen, sich vor sie hin auf den Boden setzte. „Bleib ruhig sitzen!“ sagte seine Mutter, und von jetzt an sprach sie ihm unmittelbar ins Ohr — so lange, daß der Maimorgen hinter den Vorhängen schon dämmerte, als der König fortging von Madame Catherine.

      Um nicht mehr fahl

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