Die Jugend des Königs Henri Quatre. Heinrich Mann
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Читать онлайн книгу Die Jugend des Königs Henri Quatre - Heinrich Mann страница 27
„Soeben habe ich Befehl von Gott erhalten!“ kündigte er dem Prinzen an. „Eine Rede von mir wird Karl den Neunten bewegen, die Glaubensfreiheit zu errichten und die Sache der Niederlande gegen Spanien zu führen.“
„Gib deine Rede dem Herrn Adm|ral!“ riet Henri ihm. „Er wird sich Gehör verschaffen. Uns fürchten sie noch nicht. Aber ich hoffe, wir bringen es bald dahin.“
Dies konnten sie vertraulich verhandeln, weil ihre ganze Umgebung vollauf beschäftigt war mit der Herzählung der Genüsse, die bei Hof auf sie warteten. Auch die Gefahren wurden laut ausgesprochen und Beispiele angeführt. Der Name der gefürchteten Krankheit fiel: da kam in Philipp Mornay ein jäher Aufruhr alles Wesens; er stieß hervor:
„Mag ich sie bekommen! Karl der Neunte aber soll Glaubensfreiheit geben!“
„Scheußlich wirst du aussehen!“
„Wir sind zuweilen scheußlich: was tut es angesichts der Ewigkeit. Ist nicht auch Jesus es, ein scheußlicher Mensch, gekreuzigter Gott, und an ihn glauben wir! Glauben an seine Jünger, den Auswurf der Menschheit, sogar der Juden! Was hat er denn hinterlassen als ein elendes Weib, verächtliches Andenken, und hieß ein Narr in seinem Stamm. Wenn die Kaiser gegen seine Lehre gekämpft haben mit dem Schwert und dem Gesetz, wie dann erst jedermann im eigenen Innern gegen sich selbst! Das Fleisch gegen den Geist! Dennoch haben die Völker sich unterworfen dem Wort weniger Männer, und die Reiche beten an: einen gekreuzigten Jesus. Jesus!“ rief Mornay mit einer Macht, daß alle aufhorchten und sich umsahen, auf welcher Seite der Gerufene sichtbar würde. Denn keiner von ihnen zweifelte, daß er erscheinen und sich zu ihnen gesellen könnte, wann immer seine Stunde schlug.
Für sie alle waren seine Wunden frisch und bluteten noch, die Tränen der Marien rannen unversiegt. Golgatha — sie erblickten es von hier mit ihren leiblichen Augen, ein kahler, bleicher Hügel, dahinter schwärzliches Gewölk. Sie bewegten sieh dahin zwischen seinen eigenen Öl- und Feigenbäumen, hatten übrigens mit auf der Hochzeit von Kana gesessen. Seine Geschichte floß zusammen mit ihrer Gegenwart, sie zuerst erlebten ihn wie sich selbst. Er war einer von ihnen, nur daß er sie übertraf an Heiligkeit und auch, wie Du Plessis-Mornay auszusprechen gewagt hatte, an Abscheulichkeit. Angenommen, der Menschensohn bog aus dem nächsten Prospekt von Felsen, um sich an ihre Spitze zu setzen, dann war sein Reittier natürlich kein lächerlicher Esel, sondern ein kriegstüchtiges Pferd, er selbst trug Koller und Harnisch, und sie hätten ihn umringt und ihm zugerufen: Sire! Das vorige Mal sind Sie Ihren Feinden unterlegen und mußten sich kreuzigen lassen. Diesmal, mit uns, werden Sie siegen. Schlagt sie tot! Schlagt sie tot!
So hätten die Gewöhnlichen und Einfachen unter diesen Hugenotten gerufen beim körperlichen Auftreten Jesu. An die Stelle der ehemaligen Juden oder Kriegsknechte hätten sie ihre zeitgenössischen Papisten gesetzt und vor allem daran gedacht, sich auf deren Kosten zu bereichern. So leicht indessen war es dem Prinzen Henri nicht gemacht, und auch seinen nächsten Freunden nicht. Diese wurden bedrängt von Zweifeln für den Fall des Erscheinens des Herrn. Du Bartas fragte die andern, ob man Jesus, wenn er wiederkehrte und seine Geschichte von vorn begänne, eigentlich raten dürfte, sich der Kreuzigung zu entziehen, da sie ihm doch bestimmt und das Heil der Welt wäre. Er krümmte seine lange Gestalt, denn von niemand bekam er Antwort. Du Plessis malte noch greller als zuvor aus, was er die Scheußlichkeit des Gekreuzigten nannte, und eben darin beständen seine Macht und sein Ruhm. Du Plessis-Mornay war ein Geist, der zum Äußersten neigte, trotz seinem sokratischen Antlitz, und sich dabei so wohl befand, daß er es bis zu vierundsiebzig Jahren brachte. Den armen Du Bartas kränkten die Blindheit und Schlechtigkeit der Menschen, sowie die Unmöglichkeit, etwas zu bessern, etwas auch nur zu wissen; und so sollte er früh dahingehen, wenn auch im Lärm einer Schlacht. Was Agrippa d’Aubigné betraf, hatte sich seiner eine überstürzte innere Tätigkeit bemächtigt, und dies in dem Augenblick, als Du Plessis so stark nach Jesus gerufen hatte. Seit der Minute dichtete Agrippa und war auch schon so gut wie fertig und bereit, Jesus, sobald er sichtbar wurde, in Versen zu begrüßen. Alles, was Agrippa verfertigte, war geboren aus der Stunde und aus der Leidenschaft. Es machte ihn von Grund auf glücklich, und dadurch gefiel er seinem Prinzen. Andererseits wurde Henri angezogen von Du Bartas und seinem treubekümmerten Sinn. Du Plessis mit seiner Neigung zum Äußersten riß ihn hin.
Bei sich selbst wußte Henri am genauesten von allen, daß an die wirkliche Gesellschaft des Herrn Jesu für ihn und die Seinen kaum zu denken war. Sie hatten nach seiner Meinung nicht mehr Aussicht auf eine solche Auszeichnung, als wenn sie katholisch gewesen wären. Ihm war nicht bewiesen, daß der Herr sie bevorzugte, obwohl sie ihn wahrscheinlich mehr liebten. Unabhängig von dieser Geistesart, die nur seine eigene war, beteiligte er sich an allen Gefühlen des berittenen Haufens. Seit der geschehenen Anrufung Jesu hatte Henri die Augen voll Tränen. Indessen war es nicht sicher, daß sie wirklich dem Herrn galten. Während sie die Brust hinanstiegen: wohl noch. Als sie in die Lider traten: nicht mehr. Da war das Bild Jesu verdrängt durch den Anblick der Königin Jeanne, und Henri weinte, weil seine Mutter seinem inneren Auge blaß erschien wie noch niemals. Seit langer Zeit war sie mit ihren Pastoren, die predigten, durch das Land gereist, ohne zu haben, wohin sie ihr Haupt legte, wie Jesus, war gehaßt und verachtet worden gleich ihm, hatte auf sich genommen Kampf, Wechsel des Kriegsglücks, Unruhe und Flucht: sie, eine Frau, seine liebe Mutter. Schwerer Weg, den sie für die Religion ging! Vielleicht hatte er sie jetzt auf Golgatha geführt. Denn alles in allem, sie befand sich in den Händen Katharinas, da der Herr Admiral das protestantische Heer nach Hause geschickt hatte und der alten Königin nur noch drohte. Solange, bis der nächste Feldzug sie nochmals in Gefahr brachte, befahl Katharina. Sogar die Reise zu seiner Hochzeit machte Henri im Grunde auf ihren Befehl: er täuschte sich darüber nicht. Dieser junge Mann hielt gewöhnlich an den Tatsachen fest, ihn lenkte weder der Glaube ab, wie Coligny, noch der hohe Eigensinn, wie seine Mutter, Jeanne.
Ihr neues Gesicht
Unter seinem Wams trug er die Briefe und wünschte sehr, sie alle wieder zu lesen, samt denen seiner kleinen Schwester. Aber er lebte völlig in diesem berittenen Haufen, unter der Sonne vergingen ihm die Tage, die Nächte unter den Sternen, und er war nie allein. Wochenlang ritten sie, die Landschaft war inzwischen nördlich verändert, daraus machte Henri sich jetzt nichts mehr. Unter den Hufen seines Pferdes bewegte sich sein Leben lang das ganze Königreich, denn es lag nicht still, während er ritt: es lebte, lief, nahm ihn mit. Er hatte das Gefühl einer Bewegung ohne Anfang und Ende, und nicht immer hielt er sie nur für seine eigene: das war der Ablauf des Königreichs, in dessen noch dunkle Geschicke er selbst eingehen sollte. So lagerte auch fernhin auf dem Wege die Nacht unter den Baumkronen und erwartete ihn.
„Agrippa, was erwartet uns eigentlich am Hof von Frankreich?“
„Eigentlich?“ wiederholte d’Aubigné. „Nebenbei deine Hochzeit, die gewiß ein schönes Fest sein wird. Eigentlich aber, wenn du es denn wissen willst: alle Nöte der Heiligen.“
„Sagst du: alle, weil du nicht sagen könntest, welche?“
„So ist es, Henri. Auch du fühlst etwas, da in dieser Stunde um unsere Köpfe die Fledermäuse und die Leuchtkäfer fliegen. Bei Tageslicht ist es fort.“
Sie flüsterten dies, es war für sonst niemand bestimmt.
„Wir werden heute nacht in einem Dorf schlafen?“
„Chaunay, mein Prinz.“
„Chaunay in Poitou. Gut. Dort werde ich mich entscheiden.“
„Worüber?“
„Ob ich Weiterreise. Ich