Der Untertan. Heinrich Mann
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Der Untertan - Heinrich Mann страница 18
Ein Augenblick verging, dann stand Agnes auf, als habe sie jetzt begriffen. Sie war tief errötet. Sie ging zur Tür. Diederich holte sie ein. »Aber Agnes, so hab ich es doch nicht gemeint. Es war doch nur, weil ich dich viel zu sehr achte –. Und ich kann ja auch wiederkommen Sonntag.« Sie ließ ihn reden, mit unbewegter Miene. »Nun sei doch wieder gemütlich«, bat er. »Du hast noch nicht mal deinen Hut abgenommen.« Sie tat es. Er verlangte, sie solle sich auf den Divan setzen, und sie setzte sich. Sie küßte ihn auch, wie er es wollte. Aber indes ihre Lippen lächelten und küßten, blieben ihre Augen starr und unbeteiligt. Plötzlich riß sie ihn in ihre Arme: er erschrak, er wußte nicht, ob es Haß war. Aber dann fühlte er sich heißer geliebt als je.
»Heute war es aber wirklich schön. Was, meine kleine süße Agnes?« sagte Diederich, zufrieden und gutmütig.
»Adieu«, sagte sie, hastend nach Schirm und Beutel, während er sich erst ankleidete.
»Du hast es aber eilig.« – »Weiter kann ich wohl nichts für dich tun.« Sie war schon bei der Tür, – plötzlich fiel sie mit der Schulter gegen den Pfosten und rührte sich nicht mehr. »Was ist denn los?« Wie Diederich näher kam, sah er sie schluchzen. Er berührte sie. »Ja, was hast du denn?« Da ward ihr Weinen laut und krampfhaft. Es hörte nicht auf. »Aber Agnes«, sagte Diederich von Zeit zu Zeit, »was ist auf einmal geschehen, wir waren doch so vergnügt.« Und ganz ratlos: »Hab ich dir was getan?« Zwischen den Krisen und halb erstickt, brachte sie hervor: »Ich kann nicht. Entschuldige.« Er trug sie auf den Divan. Als es endlich vorbei war, schämte Agnes sich. »Verzeih! Ich kann nicht dafür.« – »Kann denn ich dafür?« – »Nein, nein. Es sind die Nerven. Verzeih!«
Mitleidig und geduldig brachte er sie bis zu einem Wagen. Nachträglich aber erschien ihm auch der Anfall als halbe Komödie und als eins der Mittel, die ihn endgültig einfangen sollten. Das Gefühl verließ ihn nicht mehr, daß Ränke gesponnen wurden gegen seine Freiheit und seine Zukunft. Er wehrte sich dagegen vermittelst schroffen Auftretens, Betonung seiner männlichen Selbständigkeit und durch Kälte, sobald die Stimmung weich ward. Sonntags bei Göppels war er auf seiner Hut, wie in Feindesland: korrekt und unzugänglich. Wann seine Arbeit denn nun fertig werde? fragten sie. Er könne die Lösung morgen finden oder erst in zwei Jahren, das wisse er selbst nicht. Er betonte, daß er auch künftig finanziell abhängig von seiner Mutter bleibe. Er werde noch lange für nichts Zeit haben als einzig für das Geschäft. Und da Herr Göppel die idealen Werte des Lebens zu bedenken gab, lehnte Diederich barsch ab. »Noch gestern hab ich meinen Schiller verkauft. Denn ich habe keinen Sparren und laß mir nichts vormachen.« Wenn er nach solchen Worten Agnes’ stummen und betrübten Blick auf sich fühlte, hatte er wohl einen Augenblick die Empfindung, als habe nicht er selbst gesprochen, als gehe er im Nebel, rede falsch und handle wider Willen. Aber das verging.
Agnes kam, so oft er sie bestellte, und ging fort, wenn es Zeit für ihn war, zu arbeiten oder zu kneipen. Sie verführte ihn nicht mehr zu Träumereien vor Bildern, seit er einmal an einem Wurstgeschäft angehalten und ihr erklärt hatte, das sei für ihn der schönste Kunstgenuß. Ihm selbst fiel es endlich auf das Herz, wie selten sie sich nur noch sahen. Er warf ihr vor, daß sie nicht darauf dringe, öfter zu kommen. »Früher warst du ganz anders.« »Ich muß warten«, sagte sie. »Worauf?« »Daß auch du wieder so wirst. O! ich weiß ganz sicher, es wird kommen.«
Er schwieg aus Furcht vor Auseinandersetzungen. Dennoch kam es, wie sie gesagt hatte. Seine Arbeit war endlich beendet und gutgeheißen, er hatte nur noch eine belanglose mündliche Prüfung zu bestehen und war in der gehobenen Stimmung einer Lebenswende. Wie Agnes ihm ihren Glückwunsch brachte und Rosen dazu, brach er in Tränen aus und sagte, daß er sie immer, immer liebhaben werde. Sie berichtete, daß Herr Göppel soeben eine mehrtägige Geschäftsreise antrete. »Und nun ist das Wetter so wunderschön …« Diederich fiel sofort ein: »Das müssen wir benutzen! Solche Gelegenheit haben wir noch nie gehabt!« Sie beschlossen, aufs Land hinauszufahren. Agnes wußte von einem Ort namens Mittenwalde; es mußte einsam dort sein und romantisch wie der Name. »Den ganzen Tag werden wir beisammen sein!« – »Und die Nacht auch«, setzte Diederich hinzu.
Schon der Bahnhof, von dem man abfuhr, war entlegen und der Zug ganz klein und altmodisch. Sie blieben allein in ihrem Wagen; es dunkelte langsam, der Schaffner zündete ihnen eine trübe Lampe an, und sie sahen, eng umschlungen, stumm und mit großen Augen hinaus in das flache, eintönige Ackerland. Da hinausgehen, zu Fuß, weit fort, und sich verlieren in der guten Dunkelheit! Bei einem Dorf mit einer Handvoll Häuser wären sie fast ausgestiegen. Der Schaffner holte sie jovial zurück; ob sie denn auf Stroh übernachten wollten. Und dann langten sie an. Das Wirtshaus hatte einen großen Hof, ein weites Gastzimmer mit Petroleumlampen unter der Balkendecke, und einen biederen Wirt, der Agnes »gnädige Frau« nannte und schlaue slavische Augen dazu machte. Sie waren voll heimlichen Einverständnisses und befangen. Nach dem Essen wären sie gern gleich hinaufgegangen, wagten es aber nicht und blätterten gehorsam in den Zeitschriften, die der Wirt ihnen hinlegte. Wie er den Rücken wandte, warfen sie einander einen Blick zu, und, husch, waren sie auf der Treppe. Noch war kein Licht im Zimmer, die Tür stand noch offen, und schon lagen sie einander in den Armen.
Ganz früh am Morgen schien die Sonne herein. Im Hof drunten pickten Hühner und flatterten auf den Tisch vor der Laube. »Dort wollen wir frühstücken!« Sie gingen hinab. Wie herrlich warm! Aus der Scheuer duftete es köstlich nach Heu. Kaffee und Brot schmeckten ihnen frischer als sonst. So frei war einem um das Herz, das ganze Leben stand offen. Stundenweit wollten sie gehen; der Wirt mußte die Straßen und Dörfer nennen. Sie lobten freudig sein Haus und seine Betten. Sie seien wohl auf der Hochzeitsreise? »Stimmt«; – und sie lachten herzhaft.
Die Pflastersteine der Hauptstraße streckten ihre Spitzen nach oben, und die Julisonne färbte sie bunt. Die Häuser waren höckrig, schief und so klein, daß die Straße zwischen ihnen sich ausnahm wie ein Feld mit Steinen. Die Glocke des Krämers klapperte lange hinter den Fremden her. Wenige Leute, halb städtisch gekleidet, schlichen durch den Schatten und wandten sich um nach Agnes und Diederich, die stolze Gesichter machten, denn sie waren die Elegantesten hier. Agnes entdeckte das Modengeschäft mit den Hüten der feinen Damen. »Nicht zu glauben! Das hat man in Berlin vor drei Jahren getragen!« Dann traten sie durch ein Tor, das wacklig aussah, in das Land hinaus. Die Felder wurden gemäht. Der Himmel war blau und schwer, die Schwalben schwammen darin wie in trägem Wasser. Die Bauernhäuser dort drüben waren eingetaucht in heißes Flimmern, und ein Wald stand schwarz, mit blauen Wegen. Agnes und Diederich faßten sich bei den Händen, und ohne Verabredung fingen sie zu singen an: ein Lied für wandernde Kinder, das sie noch aus der Schule kannten. Diederich machte seine Stimme tief, damit Agnes ihn bewundere. Als sie nicht weiter wußten, wandten sie einander die Gesichter zu und küßten sich, im Gehen.
»Jetzt seh ich erst recht, wie hübsch du bist«, sagte Diederich und sah zärtlich in ihr rosiges Gesicht, mit den blonden Wimpern um diese blonden, goldgestirnten Augen. »Der Sommer steht mir gut«, – und Agnes atmete frei auf, daß ihre Hemdbluse geschwellt ward. Schlank ging sie dahin, mit schmalen Hüften und dem blauen Schleier, der ihr nachwehte. Diederich hatte es zu warm, er zog den Rock aus, dann auch die Weste, und endlich gestand er, daß er sich Schatten wünsche. Sie fanden welchen, am Rand eines Feldes, worauf noch das Korn stand, und unter einem Akazienbusch, der noch duftete. Agnes setzte sich und legte Diederichs Kopf in ihren Schoß. Sie spielten noch miteinander und scherzten: plötzlich merkte sie, daß er einschlief.
Er wachte auf, sah um sich, und als er Agnes’ Gesicht fand, erglänzte er selig. »Lieber«, sagte sie. »Was du für ein gutes, dummes Gesicht machst.« – »Erlaub mal! Ich habe doch höchstens fünf Minuten – nein, wahrhaftig, eine Stunde hab ich geschlafen. Hast du dich gelangweilt?« Aber sie war erstaunter als er, daß so viel Zeit vergangen war. Seinen Kopf zog er unter der Hand hervor, die sie ihm auf das Haar gelegt hatte, als er einschlief.
Zwischen den Feldern gingen sie zurück. In einem