Nelly - Ein Goldfuchs auf dem Hof. Ursula Isbel-Dotzler
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Lady, unsere graue Stute, wiehert leise, als sie mich kommen sieht. Wie immer bin ich total stolz, denn das macht sie nur bei mir. Jetzt heben auch Franzi und Sammeli, die Ponys, ihre Köpfe und sehen herüber. Ein Schwarm Fliegen surrt um sie herum.
Sammy zieht ein paar zerkrümelte Kekse aus ihrer Jeanstasche. Ich habe Pferde-Leckerlis dabei und gehe zu Lady auf die Koppel. Sie kann nicht zum Zaun kommen, denn sie ist mit dem Anbindestrick und einer Laufleine an den Apfelbaum gebunden.
Lady ist vor ein paar Wochen am linken Hinterbein operiert worden. Sie darf sich nur wenig bewegen, bis der Knochenbruch richtig verheilt ist. Ihr Bein sieht schon viel besser aus. Es ist fast wieder normal. Nur eine leichte Schwellung verrät noch, wo ihre Knochen mit einer Platte zusammengeschraubt wurden.
Im Spätfrühling, als wir Lady bekamen, war das Bein nach einer schweren Sprungverletzung doppelt so dick wie jetzt. Sie schleppte es beim Gehen mühsam hinterher. Lady ist so lieb und sanft. Sie erträgt es geduldig, dass sie angebunden sein muss, während Franzi und Sammeli frei herumlaufen dürfen und sich im Gras wälzen können, so viel sie wollen.
„Du, Nelly!“, ruft Sammy vom Gatter her. „Wann wird Lady endlich losgebunden?“
„In zwei bis drei Wochen, meint Großvater“, sage ich. „Wenn ihr Bein weiter so gut heilt.“
Sammy füttert die Ponys mit den Bröselkeksen. Die sandfarbene Norwegerstute Sammeli ist total wild auf Süßes. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass sie trächtig ist. Im Oktober soll ihr Fohlen zur Welt kommen.
Lady dagegen ist ganz wild darauf, dass man sie streichelt und an ihr herumpusselt und sie an einer ganz bestimmten Stelle unter dem Kinn krault. Sie kriegt dann so einen verträumten Gesichtsausdruck und zupft und schnuppert zärtlich an einem herum. Wahrscheinlich ist sie von ihrer früheren Besitzerin nie liebevoll behandelt worden. Großvater meint, Lady hätte einen Nachholbedarf an Streicheleinheiten.
Dani schleppt die ausziehbare Aluleiter um die Hausecke. Emma tapert hinterdrein. Sie hält das Ende der Leiter locker fest wie eine Brautjungfer einen Schleier.
„Wo sind überhaupt die Lampions?“, fragt Dani, als wir uns beim Kirschbaum treffen.
„Keine Ahnung“, sage ich. „Hast du sie nicht besorgt?“
„Nö, wieso? Ich dachte, du besorgst sie.“
Wir starren uns an. „Na wunderbar!“, sagt Dani.
„Mist!“, murmle ich. „Was machen wir jetzt?“
Dani sieht auf die Uhr. „Es ist gleich elf. In eineinhalb Stunden schließen die Läden. Das schaffen wir nicht mehr.“
„Und heute ist Samstag“, fügt Emma unheilvoll hinzu.
Sammy sagt: „Beim Supermarkt in Schwarzbach haben sie sowieso keine Lampions.“
Wir wechseln ratlose Blicke. Dann kommt mir eine Idee.
„Ich rufe Onkel Jaro an“, sage ich. „Der könnte vielleicht noch schnell ein paar Lampions besorgen und sie dann abends mitbringen.“
Onkel Jaro, der Bruder unseres Vaters, wohnt in Neustadt. Wie der Blitz bin ich im Haus und am Telefon. Zum Glück meldet sich diesmal nicht der Anrufbeantworter, sondern Onkel Jaro persönlich. Er verspricht sein Bestes zu tun.
„Ohne Lampions tauche ich nicht bei euch auf“, versichert er. „Gibt’s denn was Anständiges zu essen, Nelly?“
„Klar“, sage ich. „Jede Menge Nudelsalat.“
Geburtstagssocken
Alles ist fix und fertig. Wir haben Bänke und Stühle hinter dem Haus aufgestellt und einen langen Tisch mit Windlichtern darauf. Chris hat die Stereoanlage ans Wohnzimmerfenster gerückt, damit wir draußen Musik hören können. Kukirol ist in seinen Käfig verbannt worden. Unser Schäferhund August springt wie ein Gummiball um uns herum. Natürlich merkt er, dass das ein besonderer Abend wird.
In der Küche haben wir ein ganz großes Büfett hergerichtet. Das heißt, alles, was so im Laufe des Tages von Sammy, Frau Pflaumer, der Mattenhofbäuerin und den Eltern von Emmas Freundinnen an Futter angeliefert worden ist, steht auf dem Küchentisch und der Anrichte bereit. Auf den Fensterbrettern türmen sich Teller und Servietten und Schalen mit Besteck.
„Ob das reicht?“, sagt Emma immer wieder und schleicht um den Tisch herum.
„Sicher, wenn du die Finger davon lässt“, erwidere ich. „Tante Hanna, Onkel Jaro, Svenja und Anna bringen sicher auch noch was mit. Du kriegst den Kragen schon voll, keine Panik.“
Zum Trinken stehen Saft, eisgekühlter Pfefferminztee, Limonade und eine Bowle aus Früchten bereit. Die Bowle ist ohne Alkohol, damit nicht nur die Erwachsenen davon trinken können. Kathi, unsere Mutter, hat sie angesetzt. So etwas kann sie gut, auch wenn sie kein Talent zum Kochen hat.
Noch ist es draußen hell, aber der Mond hängt schon über dem Bärentalwald. Sammy, Emma und ich breiten Decken und Kissen im Gras aus. Natürlich sind Milly und Molly die Ersten, die sich auf den Kissen niederlassen, gerade so, als hätten wir sie eigens für sie hergeschleppt. August wälzt sich auf der schottisch karierten Decke, die Ladys Pferdedecke werden soll. Er streckt alle vier Pfoten in die Luft und reibt seinen Rücken mit Schlangenbewegungen auf dem blaugrünen Karo.
Ich schmücke Großvaters Platz am langen Tisch mit Ranken von wildem Wein und den gelben und roten Blüten der Kapuzinerkresse. Dabei denke ich darüber nach, dass er heute siebzig Jahre alt geworden ist.
Siebzig! Das ist schon ziemlich alt. Eigentlich furchtbar alt, wenn man es sich richtig überlegt. Ich muss aufpassen, dass ich in all den Festvorbereitungen an diesem schönen warmen Sommerabend keine Angst kriege.
Denn manche Leute sterben schon mit siebzig. Und Großvater ist mir wichtig. Eigentlich mag ich ihn am liebsten von allen Menschen, die ich kenne. Ich wünschte, er würde uralt werden, oder er wäre noch so jung wie Dani und ich, damit es ihn immer in meinem Leben gibt.
Aber das geht natürlich nicht. Mit zwölf oder vierzehn wäre Großvater nicht so, wie er jetzt ist, so klug und stark. Und so ein guter geschickter Tierarzt. Außerdem wäre er dann natürlich auch nicht mein Großvater, das ist logisch.
Ich habe ihm zum Geburtstag Socken gestrickt. Eigenhändig, auch wenn das keiner von mir glauben würde. Sie sind aus blauer Wolle und ich habe ein Muster aus kleinen roten Herzen hineingestrickt – zwischen der Ferse und den Stulpen. Das war nicht einfach. Ich bin verflixt stolz darauf.
„Toll sind die geworden!“, sagt auch Sammy, die neben mir steht, als ich die Socken noch schnell einpacke. „So was könntest du mir auch zum Geburtstag stricken. Meiner ist im Oktober. Nur damit du’s nicht vergisst.“
Ich antworte, das müsste ich mir noch überlegen. „Die haben saumäßig viel Arbeit gemacht“, erkläre ich ihr.
„Für seine Freunde kann man schon mal was tun.“
„Okay, dann wünsch ich mir von dir zu Weihnachten Norwegerhandschuhe. Mit Elchen drauf. Und zwar von dir eigenhändig gestrickt.“
Sammy starrt mich mit ihren hellen Husky-Augen