DIE VERSCHWÖRUNG DER SCHATTEN. Sören Prescher

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DIE VERSCHWÖRUNG DER SCHATTEN - Sören Prescher

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es war mein Ort und ich wusste keinen anderen, an dem ich mich lieber aufhielt.

      »Wie läuft's mit deinem Job?«, fragte Joe nach einer Weile. »Immer noch so öde?«

      Ich winkte ab. »Heute Morgen untersuchten wir einen Typen, der drei Monate lang tot in seiner Wohnung lag, ohne dass ihn jemand vermisst hat. Sein Körper war mumifiziert und die Organe verfault.«

      »Igitt. Erspar mir bitte weitere Details.«

      »Im Grunde genommen war es nicht mal so spektakulär. Er war bloß einer, um den sich niemand gekümmert hat. Da gibt es andere Sachen, die dich viel mehr den Kopf schütteln lassen. Doch glaub mir, so lang du über den ganzen Scheiß nicht groß nachdenkst und die Arbeit dort lässt, wo sie hingehört, ist alles im grünen Bereich. Trotzdem wünsche ich mir an manchen Tagen, ich hätte meinen Facharzt lieber in einer anderen Studienrichtung gemacht. Plastische Chirurgie zum Beispiel. Dann könnte ich jetzt einen fetten BMW fahren und nach Feierabend Golf spielen. Aber nein, damals war ich hoch motiviert und wollte dazu beitragen, dass die Welt besser wird.«

      »Wir waren alle mal ziemlich naiv«, sagte Joe augenzwinkernd. »Ich dachte auch mal, dass ich mit dreißig meine eigene Klubkette besäße und längst ausgesorgt hätte. Und heute …«

      »… machen wir einfach unsere Arbeit, weil wir nichts Anderes können«, beendete ich den Satz. Der Vorteil an meinem Job war, dass es nicht so tragisch war, wenn mal ein Schnitt zu weit oder zu tief ging. Sofern meine Kollegen und ich keine wichtige Persönlichkeit auf dem Obduktionstisch liegen hatten, kümmerte es ohnehin keinen.

      Nach der Arbeit machte ich meist ein, zwei Solitär-Spiele am Computer oder hörte ein bisschen Radio. Eine solche Ablenkung war hilfreich, dennoch verfolgten mich die Gesichter der Toten manchmal auf dem Heimweg. Ein paar Mal war ich davon überzeugt, dass mir in der Stadt jemand entgegenkam, den ich erst kurz vorher obduziert hatte. Wirklich lustig waren solche Erfahrungen nicht. Aber meist genügte eine ausgiebige Dusche, um die Gedanken wegzuspülen.

      Mittlerweile hatte Mister Slowhand dem guten alten Chuck Berry die Gitarre in die Hand gedrückt. Sein Lied war nicht so schnulzig und traf meinen Musikgeschmack eher. Ich schaute mich um, in der Hoffnung, dass neue Gäste in die Bar gekommen waren. Im Idealfall wäre es mein Kumpel Lennie gewesen, der mir noch einen Batzen Geld schuldete. Aber niemand Neues war erschienen und von den acht bis zehn Biertrinkern kann ich nicht mal die Hälfte.

      »Nat«, rief plötzlich jemand. Ich fuhr herum. Erst eine Sekunde später dämmerte mir, dass ich eine Frauenstimme gehört hatte. Das Problem war nur, dass es hier niemand Weibliches gab. Nicht einmal ansatzweise.

      »Nathaniel …«, ertönte es wieder. Dieselbe Stimme, nur etwas leiser. Und die Dame rief mich auch nicht mehr, sie hauchte meinen Namen, als wäre dies keine Bar, sondern eines der Etablissements drei Straßen weiter. Mir jagte es eine Scheißangst ein.

      Neu angebrachte Lautsprecher gab es keine. Die Versteckte Kamera schloss ich ebenfalls aus. Für so einen Mist hätte sich Joe nie hergegeben. Als die Frau ein drittes Mal meinen Namen säuselte, verkrampften sich meine Muskeln. Die Stimme klang nah, als säße sie auf dem Barhocker neben mir. Für alle Fälle beugte ich mich sogar über den Tresen. Trotzdem sah ich niemanden.

      »Was zum Teufel geht hier vor?« War ich wirklich dermaßen überarbeitet, dass ich Stimmen hörte, wo gar keine waren? Vielleicht wurde ich langsam schizophren. Mein Magen zog sich zusammen und ich schnappte nach Luft.

      Noch etwas fiel mir auf: Die Frau rief meinen Namen bloß, wenn sie sicher sein konnte, dass Chuck Berry sie nicht übertönte. Dies brachte mich auf eine verrückte Idee: Was, wenn die Stimme aus dem Radio kam? Einerseits wäre dies eine logische Erklärung, anderseits wiederum nicht. Wenn die Frauenstimme tatsächlich von da stammte, weshalb hörte nur ich sie? Ich kannte zwar nicht alle Gäste, aber zumindest Joe hätte mich sofort darauf hingewiesen.

      Nach Chuck Berry versuchte sich Neil Young an seiner Stelle. Normalerweise hätte mir dies ein breites Lächeln ins Gesicht gezaubert, aber die Stimmensache ging mir unverändert an die Nieren.

      Ich atmete auf, als ich zwei Minuten lang nichts außer der Musik hörte. Zwar wusste ich noch immer nicht, was gerade vorgefallen war, aber es war beruhigend, dass es nicht wieder passierte. Ich klammerte mich an mein Bierglas und starrte vor mich hin. Was tat ich jetzt am besten? Die Sache einfach auf sich beruhen lassen?

      Einen Moment später rief mich die Frauenstimme erneut und machte jegliche Freude zunichte.

      »Joe, hast du das eben gehört?«

      Mein alter Kumpel schaute mich irritiert an. »Was soll ich gehört haben?«

      »Na, das Radio!«

      »Ja, ich weiß. Is' Neil Young, der alte Haudegen. In den Achtzigern ist er mehrfach hier aufgetreten und wir haben nach den Auftritten das eine oder andere Bier gezischt. Aber das war vor seinem Swing-Album und allem, was danach kam.«

      »Nein, das meine ich nicht.«

      »Was dann?«

      In dem Moment wusste ich definitiv, dass Joe nichts gehört hatte. Ebenso die anderen Gäste.

      »Ach, nichts«, wehrte ich ab und nahm einen großen Schluck aus meinem Glas. Als die Frau ein fünftes Mal nach mir rief, wollte ich sie bloß noch ignorieren. Trotzdem entging mir ihr gequälter Tonfall nicht. Vielleicht brauchte sie Hilfe.

      Was nun?

      Wenn ich ihr antwortete, würden mich alle anderen in der Bar zweifelnd ansehen und Joe würde seinen Standardspruch vom Stapel lassen: »Ich glaube, du hattest genug Bier für heute.« Aber verdammt, ich war nicht betrunken. Nicht nach anderthalb Bier! Vielleicht tat mir ja etwas Luftveränderung gut.

      Durch die Toilettentür hindurch war die Musik nicht mehr als ein leises Hintergrunddudeln. Ich hoffte, dass auf die Frauenstimme dasselbe zutraf. War sie tatsächlich bloß Einbildung? Oder doch ein erstes Anzeichen von Schizophrenie? Von meiner Arbeit her wusste ich, dass weitere Krankheitssymptome unter anderem soziale Isolation, Beeinträchtigung der persönlichen Hygiene und Depressionen waren. Zwar war ich nicht unbedingt als Spaßkanone bekannt, als isoliert oder depressiv bezeichnete ich mich dennoch nicht. Zudem waren nicht vorhandene Hygiene und Gerichtsmedizin zwei Dinge, die sich gegenseitig ausschlossen.

      Während ich mein Geschäft verrichtete, machte ich mir einen Spaß daraus, die an die Wände gekritzelten Toilettenweisheiten zu überfliegen. Die Frau regiert die Fotze und du bist bloß ihr Untertan und A blowjob is better than no job waren noch die harmlosesten Sprüche. Dann fiel mein Blick auf eine Zeile, die sich so grundlegend von allen anderen Weisheiten unterschied: Der König ist tot.

      Die Nachricht enthielt keine sexuelle Anspielung und passte überhaupt nicht an diese Wand. Gestern Abend war sie noch nicht hier gewesen. Da war ich sicher. Kopfschüttelnd betätigte ich die Spülung.

      Beim Händewaschen betrachtete ich die bedauernswerte Gestalt im Spiegel. Die dunklen Augenringe und das blasse, eingefallene Gesicht des verwitweten Mittvierzigers waren mir zwar vertraut, dennoch deprimierte sie mich jedes Mal.

      Auf halbem Wege zum Barhocker merkte ich, dass ich keine Lust auf ein weiteres Bier verspürte. Es war bereits nach halb zehn und wenn Lennie nicht zu mir kam, konnte ich genauso gut zu ihm fahren. Ich bezahlte und verließ die Kneipe.

      Es war Mitte November und das Wetter bestand aus eisigem Wind und feinem Nieselregen. Also ideale Voraussetzungen für

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