DIE VERSCHWÖRUNG DER SCHATTEN. Sören Prescher

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DIE VERSCHWÖRUNG DER SCHATTEN - Sören Prescher

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noch New York. Hingen sie vielleicht mit der ominösen Frauenstimme zusammen? Ich hatte nicht den geringsten Schimmer.

      Schließlich ließ der Schock nach und ich konzentrierte mich wieder auf die Straße. Erstaunt stellte ich fest, dass mich mein Unterbewusstsein in Lennies Stadtviertel kutschiert hatte. Ich schmunzelte und entspannte mich.

      So wie Joe kannte ich auch Lennie seit Urzeiten. Dennoch war er mir in mancherlei Hinsicht noch immer ein Rätsel. Einer richtigen Arbeit ging er nicht nach, sondern hielt sich stattdessen mit Gelegenheitsjobs und seinem Hobby, der Hellseherei, über Wasser. Ob Lennie wirklich über seherische Fähigkeiten verfügte, wusste ich nicht. Er selbst bejahte es vehement und gelegentlich traf er mit seinen Voraussagungen ins Schwarze. Aber eben nicht immer, sodass meine Zweifel durchaus berechtigt waren.

      Ein passendes Beispiel dafür, dass er kein besonders guter Hellseher war, war die Tatsache, dass er permanent bis zum Hals in Geldschulden steckte. Egal, ob Pferdewetten oder Boxkämpfe, der gute alte Lennie war stets hundertprozentig davon überzeugt, eine todsichere Vorahnung zu haben. In fünfundneunzig Prozent der Fälle stellte es sich als Irrtum heraus. Ich selbst hatte einige Male den Fehler begangen und ihm Geld anvertraut. Deshalb war ich vorsichtig geworden und lieh ihm nur noch in den seltensten Fällen etwas.

      Ich suchte mir einen Parkplatz direkt hinter Lennies Mietskaserne. Als ich die Scheinwerfer abstellte, fiel mir zwischen den Ganggraffiti ein ganz bestimmter Spruch auf: Der König ist tot.

      Schon wieder.

      Auf Joes Klo hatte ich es für die Versuche eines gelangweilten Hobbypoeten gehalten. Oder als Anspielung auf das Zitat: Der König ist tot, es lebe der König, wer auch immer das gesagt hatte. Jetzt war ich mir nicht mehr so sicher.

      Möglicherweise hatte sich derselbe Künstler an zwei Orten mit seiner Spraydose ausgetobt. Wirklich plausibel erschien mir das jedoch nicht. Außerdem war die Handschrift hier krakeliger.

      Ich überlegte, Lennie auf die Schmiererei anzusprechen, vergaß es beim Klopfen an seiner Wohnungstür aber sofort wieder. Die hagere, blasse Gestalt auf der anderen Seite der Türschwelle bekam große Augen. »Nathaniel Jackson?! Mit dir hätte ich heute Abend am allerwenigsten gerechnet.«

      Laut Personalausweis war Lennie zwei Jahre älter als ich. Rein vom Aussehen her hätte aber jeder auf mindestens zehn getippt. Er war komplett ergraut und sein hinterlistiges Echsengesicht besaß mehr Falten als glatte Stellen.

      »Ich freue mich auch, dich zu sehen«, sagte ich ungerührt und betrat die Wohnung. Flur und Wohnzimmer präsentierten das mittlerweile vertraute Chaos. Ich kämpfte mich an einem flachen Beistelltisch vorbei, auf dem ein halb verdrücktes Asia-Menü, ein leere Flasche Wurzelbier und etliche Zeitschriften standen, und ließ mich auf einem beigefarbenen Couchrelikt aus den Achtzigern nieder. Das einzig Neue in dieser Bruchbude war der Flachbildschirm an der rechten Wand, in dem eine Dokumentation über Autoschrauber lief. Erst jetzt fiel mir auf, dass mich mein Freund zweifelnd musterte.

      »Was ist denn mit dir passiert?«, fragte er. »Wolltest du der Straßenreinigung die Arbeit abnehmen oder hat dich Joe rausgeworfen, weil du dein Bier nicht bezahlen konntest?«

      »Ja, weil ich mein ganzes Geld an dich verliehen habe.« Kurz fragte ich mich, ob der Angreifer von vorhin wieder bei Bewusstsein war. Vielleicht lag er noch immer auf dem nassen Boden und wurde selbst Opfer eines Verbrechens. Verdient hätte er es allemal.

      »Ich bin überfallen worden«, sagte ich, weil ich wusste, dass Lennie ohnehin keine Ruhe geben würde.

      »Ach, du Kacke.« Einen Moment lang schien er echt betroffen zu sein. Aber wirklich nur einen Moment lang. »Wie konnte das passieren? Wie viele waren es? Ist dir was passiert?«

      Zunächst geizte ich mit Informationen, doch Lennie war wie ein Bluthund und ließ nicht locker. Schließlich gab ich klein bei und erzählte die ganze Geschichte. Selbst jenen Teil mit den geheimnisvollen Fremden, den ich selbst nicht ganz verstanden hatte. Bloß den Punkt mit der Dunkelheit ließ ich aus. Lennie hätte mir ohnehin nicht geglaubt.

      »Und du hast keine Ahnung, was für Typen das gewesen sind?«

      »Nein, nicht die Geringste.«

      »Na ja, sei froh, dass sie da waren. Wer weiß, wie die Sache sonst ausgegangen wäre.«

      Damit war das Thema erledigt. Sich am Kopf kratzend, suchte Lennie den Tisch ab und verschwand in Richtung Küche. »Was deine Kohle angeht …«, rief er auf halben Wege, »… ich hab sie noch nicht zusammen.«

      »Was für eine Überraschung.«

      »Hey, die Zeiten sind hart. Das ganze verdammte Leben ist hart.«

      »Erspar mir die Leier. Du könntest dir mal was Originelleres einfallen lassen.«

      Lennie kehrte aus der Küche zurück und winkte mit zwei ungeöffneten Bierflaschen. Als ich ihm zunickte, fiel mir erneut auf, wie blass er war. Noch blasser als ich, und das wollte was heißen. Unter seinen Augen waren dunkle Furchen, als hätte er seit Wochen nicht mehr geschlafen.

      »Bist du okay?« Ich musterte ihn mit besorgtem Blick. Er schien im ersten Moment nicht zu verstehen und sah mich verständnislos an.

      »Dein bleiches Gesicht«, verdeutlichte ich.

      Mein Freund winkte ab. »Ich fühle mich nur etwas matt. Wahrscheinlich fehlt mir einfach ein bisschen Schlaf.«

      »Wahrscheinlich ist gut. Du siehst aus, als hättest du die ganze Woche durchgemacht.«

      »Ich schlafe schlecht. Nichts Besonderes.«

      Ich betrachtete ihn skeptisch und gab ihm die Zeit, mir mehr über sein Problem zu erzählen. Als nichts passierte, nickte ich. »Nicht, dass du mir krank wirst. Dann kann ich noch ewig auf mein Geld warten.« Ich zwinkerte ihm zu, aber er sah es nicht.

      »Keine Sorge, wirst sehen, bald bin ich wieder in Topform.«

      »Du warst noch nie in Topform, Lennie.«

      Er setzte sich neben mich aufs Sofa und reichte mir ein Bier. Eigentlich hatte ich nur auf einen Sprung vorbeischauen wollen, aber seit ich saß, waren meine Arme und Beine schwer geworden. So schnell bekamen mich keine zehn Pferde mehr hoch.

      Es war weit nach Mitternacht, als ich nach Hause fuhr. Noch immer schmerzte mein ganzer Körper vom Angriff, und mein Schädel fühlte sich an wie eine Kirchenglocke, die zu oft geläutet wurde. Darüber, wie ich morgen den Tag überstehen sollte, dachte ich lieber nicht nach.

Zweiter Tag

      3 – Norman

      Der Morgen begann so, wie der Abend davor geendet hatte. Die Blessuren und Schürfwunden versicherten mir beim Aufstehen, dass sie mich den ganzen Tag an den Überfall erinnern würden. Kopfschmerz und Müdigkeit begleiteten mich ins Badezimmer. Hinzu kam, dass mir der Kaffee ausgegangen war. Auch der Arbeitstag entwickelte sich zur mittleren Katastrophe.

      Obwohl ich meinen Job seit fast zwanzig Jahren ausübte, war ich noch immer nicht so abgebrüht, dass mir manche Dinge nicht trotzdem an die Nieren gingen. Wenn, so wie heute, die Leiche eines kleinen Mädchens gebracht wurde, das die Eltern hatten verhungern lassen, und ich auch noch jener Unglückselige war, der die Obduktion vornehmen musste, kamen

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