DIE VERSCHWÖRUNG DER SCHATTEN. Sören Prescher
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Ich machte mich auf dem Weg zu meinem Auto. Einem in die Jahre gekommenen Buick mit Dreigangautomatik, der abgesehen vom CD-Radio keinen einzigen Komfort aufwies. Auf einmal beschlich mich das Gefühl, beobachtet zu werden. War es vielleicht die ominöse Frau, die in der Bar zu mir gesprochen hatte? Dann könnte sie mir bei der Gelegenheit verraten, was für einen Trick sie vorhin angewendet hatte.
Doch so gründlich ich mich auch umschaute, außer Finsternis und dem bläulichen Schimmern von Joes Reklametafel sah ich nicht viel. Der Großteil der heruntergekommenen Bauten und der graffitibeschmierten Wände lag im Dunkeln. Eine Pfütze schimmerte im trüben Reklameblau.
Normalerweise brannten hier Straßenlaternen, doch entweder streikten die Stadtwerke oder ein paar Halbstarke hatten sie für Zielübungen verwendet. Wahrscheinlicher für diese Gegend war Letzteres. Entsprechend vorsichtig lief ich die Straße entlang. Auf keinen Fall wollte ich pickligen Schmalspurgangstern mit entsicherten Knarren und nervösen Zeigefingern in die Arme laufen. In diesem Teil der Stadt war alles möglich.
Links und rechts parkten Autos, die ein ideales Versteck boten. Nicht weit von hier befand sich zudem die Howard Street, in der vor einiger Zeit ein tollwütiger Hund sein Unwesen getrieben hatte. Mehr als ein halbes Dutzend Menschen hatte das Mistvieh angefallen, bevor es auf Nimmerwiedersehen verschwunden war.
Das Gefühl, beobachtet zu werden, verstärkte sich. Mein Magen zog sich unangenehm zusammen und ich riskierte abermals einen Schulterblick. Noch immer war niemand zu sehen und vielleicht war auch dieser Vorfall meinen überreizten Nerven zuzuschreiben. Heute war einfach nicht mein Tag.
Zehn Meter weiter vernahm ich ein Tapsen hinter mir. Ich fuhr herum und sah eine Gestalt mit Skimütze. Sie war einen halben Kopf kleiner als ich und komplett in schwarz gekleidet. Fast im selben Moment schnellte eine Faust nach vorn. Instinktiv riss ich den Kopf zur Seite. Der Angreifer verfehlte mich.
»Scheiße«, fluchte ich. In der rechten Hand hielt der Mistkerl ein Butterflymesser. Die Haare auf meinen Unterarmen stellten sich auf. Panik schnellte hoch. Keuchend wich ich weiter zurück. Die nächste Attacke folgte. Ich spürte, wie die Klinge wenige Zentimeter vor mir die Luft zerschnitt.
»Gib mir deine Kohle und du siehst mich nie wieder«, schlug er vor und winkte mit dem Messer in meine Richtung. Der Stimme nach zu urteilen war es ein Jugendlicher, vermutlich gerade alt genug zum Autofahren.
»Ich hab doch nichts«, erwiderte ich wahrheitsgemäß.
»Du lügst, du elender Hurensohn!«
Er sprang nach vorn und zielte mit der Klinge auf meinen Oberkörper. Ich sprang beiseite und bekam sein Handgelenk zu fassen. Das war meine Chance. Trotz immenser Angst versuchte ich, Skimasken-Johnny mit dem linken Arm in den Schwitzkasten zu nehmen. Mit der anderen Hand wollte ich ihm das Messer wegschlagen. Leider war der Typ stärker als angenommen. Weder konnte ich ihn in die Mangel nehmen, noch die Waffe loswerden. Nur eines gelang mir: ihm das Gleichgewicht zu rauben.
Mir allerdings ebenso.
Der Aufprall war hart und mein rechtes Knie tanzte vor Freude La Paloma. Bevor der Angreifer wusste, wie ihm geschah, umfasste ich sein rechtes Handgelenk und schlug damit so lang auf den Asphalt, bis er das Messer losließ. Seine Knöchel knackten. Er heulte vor Schmerz.
Gleichzeitig machte ihn die verletzte Hand erst richtig wütend. Wie eine Furie schlug er um sich und wir wälzten uns auf dem nassen Asphalt. Die ganze Situation geriet immer weiter außer Kontrolle. Nässe drang durch meine Hose und Jacke. Ebenso die Faust des Angreifers, die zielsicher meine Niere traf. Sofort wiederholte er die Attacke zwei weitere Male. Mir ging endgültig die Luft aus. Die Schmerzen in meiner Seite waren höllisch.
Irgendwie bekam ich seine Finger zu fassen und riss sie nach hinten. Scheinbar gleichzeitig hörte ich seinen Aufschrei und wie seine Fingerknochen brachen. Es hörte sich an, als wäre ich auf ein Stück uraltes Holz getreten. Das genügte, damit ich wieder auf die Beine kam.
»Ich hoffe, du hast endlich genug«, keuchte ich. Jeder einzelne Muskel wummerte und ich spürte eine Scheißangst. Bisher hatte ich Glück gehabt. So was hielt erfahrungsgemäß nicht ewig.
»Noch lange nicht!«
In der Dunkelheit bewegte sich etwas. Dies warf mich vollends aus der Bahn. Die Butterflyklinge schoss auf mich zu. Ich hielt vor Schrecken die Luft an und überzeugt davon, gleich sterben zu müssen.
Nichts dergleichen geschah.
Aus der Finsternis traten vier Gestalten, allesamt in schwarze Mäntel oder dunkle Kapuzenkutten gehüllt. Sie sahen aus wie das Klischee eines Satanisten. Wie zur Hölle passte das hierher? Wurde ein Film gedreht oder setzte mein Verstand nun vollends aus? Doch es wurde noch verrückter: Ganz gleich, wie nah die Gestalten Joes Reklametafel kamen, ihre Gesichter blieben in der Dunkelheit verborgen. Ein eisiger Schauer kroch meinen Rücken hinauf.
Mir blieb nicht die Zeit, darüber nachzudenken. Eine der Gestalten sprang vor. Mein Herz setzte einen Schlag aus. Nun war es endgültig vorbei.
Dachte ich.
Für mich interessierte er sich seltsamerweise überhaupt nicht. Sein Ziel war der Angreifer. Die anderen drei folgten.
Gemeinsam rissen sie den Jungen zu Boden und entwendeten ihm das Messer, bevor er überhaupt registriert hatte, dass er nicht mehr auf den Beinen stand. Erst als das Butterfly über den Asphalt schlitterte, fiel mir auf, dass bei der ganzen Aktion kein einziger Laut zu hören gewesen war. Der Skimaskentyp blieb bewusstlos liegen, meine Retter standen wieder.
Ich hatte den Eindruck, dass sie mich anschauten, doch ihre Gesichter waren nicht bloß von Dunkelheit umgeben, sondern schienen regelrecht damit verschmolzen zu sein. Ich sah nicht mal genau, wo ihre Körper aufhörten und die nächtliche Schwärze begann. Dies verstärkte meine Angst und mein Puls hämmerte schier wahnsinnig.
Nach zwei Sekunden wichen die Männer einer nach dem anderen in die Dunkelheit zurück. Auch diesmal ohne jedwede Laute. Die ganze Aktion hatte nicht mal eine Minute gedauert.
Mein Angreifer lag nach wie vor regungslos auf dem nassen Asphalt. Sollte ich schauen, wie es um ihn stand? Als Mediziner wäre es meine Pflicht. Aber Teufel noch eins, der Schweinehund hatte mich angegriffen und hätte keine Sekunde gezögert, mich abzustechen. Die ganze Situation verwirrte und überforderte mich. Also sah ich zu, dass ich Land gewann. Diesmal hielt mich nichts und niemand davon ab.
2 – Lennie
Auch eine halbe Stunde später war ich noch immer völlig von der Rolle und registrierte das Verkehrsgeschehen bloß nebenbei. Unzählige Autos kamen mir mit grellen Scheinwerfern entgegen, doch ich beachtete sie kaum. Dank langjähriger Fahrpraxis reagierte ich rein instinktiv, setzte den Blinker, wenn es notwendig war, oder bremste ab, wenn die Ampel vor mir auf Rot umsprang. Ich achtete nicht einmal darauf, wohin ich fuhr.
Noch immer wollte sich mein Denken nicht mit solch banalen Fragen beschäftigten. Nicht, nachdem ich eben dem Tod von der Schippe gesprungen, und gerade erst von neuen Freunden gerettet worden war. Im Viertel von Joes Bar achtete normalerweise niemand auf das, was sich wenige Meter vor seinen Augen abspielte. Wenn jemand überfallen wurde, war das sein Problem und nicht das desjenigen, der zufällig vorbeikam.
Was waren das für seltsame Menschen gewesen, die mir geholfen hatten? Woher waren sie so unvermittelt aufgetaucht? Weshalb waren sie gleich