Gesammelte Werke: Psychoanalytische Studien, Theoretische Schriften & Briefe. Sigmund Freud
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Ein junger Arzt, welcher in meinem Kolleg diesen Traum erzählen hörte, muß sich von ihm betroffen gefühlt haben, denn er beeilte sich, ihn nachzuträumen, dessen Gedankenform auf ein anderes Thema anzuwenden. Er hatte tags vorher sein Einkommenbekenntnis übergeben, welches vollkommen aufrichtig gehalten war, da er nur wenig zu bekennen hatte. Er träumte nun, ein Bekannter komme aus der Sitzung der Steuerkommission zu ihm und teile ihm mit, daß alle anderen Steuerbekenntnisse unbeanstandet geblieben seien, das seinige aber habe allgemeines Mißtrauen erweckt und werde ihm eine empfindliche Steuerstrafe eintragen. Der Traum ist eine lässig verhüllte Wunscherfüllung, für einen Arzt von großem Einkommen zu gelten. Er erinnert übrigens an die bekannte Geschichte von jenem jungen Mädchen, welchem abgeraten wird, ihrem Freier zuzusagen, weil er ein jähzorniger Mensch sei und sie in der Ehe sicherlich mit Schlägen traktieren werde. Die Antwort des Mädchens lautet: Schlüg’ er mich erst! Ihr Wunsch, verheiratet zu sein, ist so lebhaft, daß sie die in Aussicht gestellte Unannehmlichkeit, die mit dieser Ehe verbunden sein soll, mit in den Kauf nimmt und selbst zum Wunsch erhebt.
Fasse ich die sehr häufig vorkommenden Träume solcher Art, die meiner Lehre direkt zu widersprechen scheinen, indem sie das Versagen eines Wunsches oder das Eintreffen von etwas offenbar Ungewünschtem zum Inhalt haben, als »Gegenwunschträume« zusammen, so sehe ich, daß sie sich allgemein auf zwei Prinzipien zurückführen lassen, von denen das eine noch nicht erwähnt worden ist, obwohl es im Leben wie im Träumen der Menschen eine große Rolle spielt. Die eine Triebkraft dieser Träume ist der Wunsch, daß ich unrecht haben soll. Diese Träume 173 ereignen sich regelmäßig im Laufe meiner Behandlungen, wenn sich der Patient im Widerstand gegen mich befindet, und ich kann mit großer Sicherheit darauf rechnen, einen solchen Traum hervorzurufen, nachdem ich dem Kranken die Lehre, der Traum sei eine Wunscherfüllung, zuerst vorgetragen habe. Ähnliche »Gegenwunschträume« wurden mir in den letzten Jahren wiederholt von meinen Hörern berichtet als deren Reaktion auf ihr erstes Zusammentreffen mit der »Wunschtheorie des Traumes«.. Ja, ich darf erwarten, daß es manchem meiner Leser ebenso ergehen wird; er wird sich bereitwillig im Traume einen Wunsch versagen, um sich nur den Wunsch, daß ich unrecht haben möge, zu erfüllen. Der letzte Kurtraum dieser Art, den ich mitteilen will, zeigt wiederum das nämliche. Ein junges Mädchen, welches sich die Fortsetzung meiner Behandlung mühsam erkämpft hat, gegen den Willen ihrer Angehörigen und der zu Rate gezogenen Autoritäten, träumt: Zu Hause verbiete man ihr, weiter zu mir zu kommen. Sie beruft sich dann bei mir auf ein ihr gegebenes Versprechen, sie im Notfalle auch umsonst zu behandeln, und ich sage ihr: In Geldsachen kann ich keine Rücksicht üben.
Es ist wirklich nicht leicht, hier die Wunscherfüllung nachzuweisen, aber in all solchen Fällen findet sich außer dem einen Rätsel noch ein anderes, dessen Lösung auch das erste lösen hilft. Woher stammen die Worte, die sie mir in den Mund legt? Ich habe ihr natürlich nie etwas Ähnliches gesagt, aber einer ihrer Brüder, und gerade jener, der den größten Einfluß auf sie hat, war so liebenswürdig, über mich diesen Ausspruch zu tun. Der Traum will also erreichen, daß der Bruder recht behalte, und diesem Bruder recht verschaffen will sie nicht nur im Traume; es ist der Inhalt ihres Lebens und das Motiv ihres Krankseins.
Ein Traum, welcher der Theorie von der Wunscherfüllung auf den ersten Blick besondere Schwierigkeit bereitet, ist von einem Arzt (Aug. Stärcke, 1911) geträumt und gedeutet worden:
»Ich habe und sehe an meinem linken Zeigefinger einen syphilitischen Primäraffekt an der letzten Phalange.«
Man wird sich vielleicht von der Analyse dieses Traums durch die Erwägung abhalten lassen, daß er ja bis auf seinen unerwünschten Inhalt klar und kohärent erscheint. Allein, wenn man die Mühe einer Analyse nicht scheut, erfährt man, daß »Primäraffekt« gleichzusetzen ist einer »prima affectio« (erste Liebe) und daß das widerliche Geschwür nach 174 den Worten Stärckes »sich als Vertreter von mit großem Affekt belegten Wunscherfüllungen« erweist.
Das andere Motiv der Gegenwunschträume liegt so nahe, daß man leicht in Gefahr kommt, es zu übersehen, wie mir selbst durch längere Zeit geschehen ist. In der Sexualkonstitution so vieler Menschen gibt es eine masochistische Komponente, die durch die Verkehrung ins Gegenteil der aggressiven, sadistischen entstanden ist. Man heißt solche Menschen »ideelle« Masochisten, wenn sie die Lust nicht in dem ihnen zugefügten körperlichen Schmerz, sondern in der Demütigung und seelischen Peinigung suchen. Es leuchtet ohne weiteres ein, daß diese Personen Gegenwunsch-und Unlustträume haben können, die für sie doch nichts anderes als Wunscherfüllungen sind, Befriedigung ihrer masochistischen Neigungen. Ich setze einen solchen Traum hieher: Ein junger Mann, der in früheren Jahren seinen älteren Bruder, dem er homosexuell zugetan war, sehr gequält hat, träumt nun nach gründlicher Charakterwandlung einen aus drei Stücken bestehenden Traum: I. Wie ihn sein älterer Bruder »sekkiert«. II. Wie zwei Erwachsene in homosexueller Absicht miteinander schön tun. III. Der Bruder hat das Unternehmen verkauft, dessen Leitung er sich für seine Zukunft vorbehalten hat. Aus letzterem Traume erwacht er mit den peinlichsten Gefühlen, und doch ist es ein masochistischer Wunschtraum, dessen Übersetzung lauten könnte: es geschähe mir ganz recht, wenn der Bruder mir jenen Verkauf antäte, zur Strafe für alle Quälereien, die er von mir ausgestanden hat.
Ich hoffe, die vorstehenden Beispiele werden genügen, um es – bis auf weiteren Einspruch – glaubwürdig erscheinen zu lassen, daß auch die Träume mit peinlichem Inhalt als Wunscherfüllung aufzulösen sind. Es wird auch niemand eine Äußerung des Zufalls darin erblicken, daß man bei der Deutung dieser Träume jedesmal auf Themata gerät, von denen man nicht gerne spricht oder an die man nicht gerne denkt. Das peinliche Gefühl, welches solche Träume erwecken, ist wohl einfach identisch mit dem Widerwillen, der uns von der Behandlung oder 175 Erwägung solcher Themata – meist mit Erfolg – abhalten möchte und welcher von jedem von uns überwunden werden muß, wenn wir uns genötigt sehen, es doch in Angriff zu nehmen. Dieses im Traum also wiederkehrende Unlustgefühl schließt aber das Bestehen eines Wunsches nicht aus; es gibt bei jedem Menschen Wünsche, die er anderen nicht mitteilen möchte, und Wünsche, die er sich selbst nicht eingestehen will. Anderseits finden wir uns berechtigt, den Unlustcharakter all dieser Träume mit der Tatsache der Traumentstellung in Zusammenhang zu bringen und zu schließen, diese Träume seien gerade darum so entstellt und die Wunscherfüllung in ihnen bis zur Unkenntlichkeit verkleidet, weil ein Widerwillen, eine Verdrängungsabsicht gegen das Thema des Traumes oder gegen den aus ihm geschöpften Wunsch besteht. Die Traumentstellung erweist sich also tatsächlich als ein Akt der Zensur. Allem, was die Analyse der Unlustträume zutage gefördert hat, tragen wir aber Rechnung, wenn wir unsere Formel, die das Wesen des Traumes ausdrücken soll, in folgender Art verändern: Der Traum ist die (verkleidete) Erfüllung eines (unterdrückten, verdrängten) Wunsches. Ein großer unter den lebenden Dichtern, der, wie mir gesagt wurde, von Psychoanalyse und Traumdeutung nichts wissen will, findet doch aus eigenem eine fast identische Formel für das Wesen des Traumes: »Unbefugtes Auftauchen unterdrückter Sehnsuchtswünsche unter falschem Antlitz und Namen.« C. Spitteler (1914, 1). Vorgreifend führe ich hier die von Otto Rank herrührende Erweiterung und Modifikation der obigen Grundformel an: »Der Traum stellt regelmäßig auf der Grundlage und mit Hilfe verdrängten infantil-sexuellen Materials aktuelle, in der Regel auch erotische Wünsche in verhüllter und symbolisch eingekleideter Form als erfüllt dar.« (Rank, 1910.) Ich habe an keiner Stelle gesagt, daß ich diese Ranksche Formel zur meinigen gemacht habe. Die kürzere, im Text enthaltene Fassung scheint mir zu genügen. Aber daß ich die Ranksche Modifikation überhaupt erwähnte, hat genügt, um der Psychoanalyse den ungezählte Male wiederholten Vorwurf einzutragen: sie behaupte, alle Traume haben sexuellen Inhalt. Wenn man diesen Satz so versteht, wie er verstanden werden will, so beweist er nur, wie wenig Gewissenhaftigkeit Kritiker bei ihren Geschäften zu verbrauchen pflegen und wie gerne Gegner die klarsten Äußerungen übersehen, wenn sie ihrer Neigung zur Aggression nicht taugen, denn wenige Seiten vorher hatte ich die mannigfaltigen Wunscherfüllungen der Kinderträume erwähnt (eine Landpartie oder Seefahrt zu machen, eine versäumte Mahlzeit nachzuholen usw.), an anderen Stellen von den Hungerträumen, den Träumen auf Durstreiz, auf Exkretionsreiz,