Maigret kämpft um den Kopf eines Mannes. Georges Simenon
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Читать онлайн книгу Maigret kämpft um den Kopf eines Mannes - Georges Simenon страница 3
»Na, dann schieß los!«
»Sie haben ihn ja abhauen sehen … Er ist weggerannt, als ob er eine Mordsangst hätte, wieder geschnappt zu werden. Und er hat sich nicht mehr eingekriegt bis zum Löwen von Belfort, den er ganz entsetzt angestarrt hat.«
»Hat er gemerkt, dass ihr ihn beschattet?«
»Bestimmt nicht! Er hat sich kein einziges Mal umgedreht …«
»Und dann?«
»Nur ein Blinder oder einer, der noch nie in Paris war, kann so rumrennen wie der … Auf einmal biegt er in eine Straße ein, die durch den Friedhof Montparnasse führt. Den Namen hab ich vergessen. Da war keine Menschenseele. Richtig zum Fürchten. Anscheinend wusste er nicht, wo er war, denn als er die Gräber hinter dem Zaun sah, ist er sofort wieder losgerast.«
»Weiter!«
Mit vollem Mund wirkte Maigret gleich viel entspannter.
»Irgendwann kamen wir zum Montparnasse. Die großen Cafés waren zu, nur ein paar Bars hatten noch geöffnet … Ich erinnere mich, dass er vor einer stehen blieb, aus der man Jazzmusik hörte. Eine Blumenverkäuferin ist mit ihrem Korb auf ihn zu, da ist er weiter …«
»In welche Richtung?«
»In gar keine irgendwie! Erst ist er den Boulevard Raspail entlang, dann durch eine Querstraße zurück, und schließlich stand er wieder vor dem Bahnhof Montparnasse.«
»Und was für ein Gesicht hat er gemacht?«
»Auch irgendwie gar keins! Genau wie bei der Vernehmung und vor Gericht: ganz bleich mit so einem ängstlichen, unsteten Blick. Schwer zu beschreiben … Eine halbe Stunde später waren wir bei den Markthallen.«
»Hat ihn jemand angesprochen?«
»Nein, niemand.«
»Hat er einen Brief aufgegeben?«
»Nein, Chef, das kann ich beschwören! Janvier ist ihm auf der einen Straßenseite gefolgt, ich auf der anderen. Nicht die kleinste Bewegung ist uns entgangen … Ach, warten Sie! Einmal ist er vor einem Wurststand stehen geblieben, hat kurz gezögert und ist dann weitergegangen, vielleicht weil er einen uniformierten Polizisten gesehen hat.«
»Hattest du nie den Eindruck, dass er nach einer bestimmten Adresse sucht?«
»Überhaupt nicht! Man hätte ihn eher für einen Betrunkenen halten können, der dorthin torkelt, wo Gott ihn hinschubst … Bei der Place de la Concorde kamen wir wieder an die Seine. Auf einmal fällt ihm ein, die Quais entlangzugehen … Zwei-, dreimal hat er sich hingesetzt.«
»Wo?«
»Einmal auf der Brüstung, dann auf einer Bank. Ich kann es nicht beschwören, aber ich glaube, er hat geweint. Jedenfalls hat er das Gesicht in den Händen vergraben.«
»Saß da sonst noch wer?«
»Nein … Dann ging es weiter … bis Moulineaux, stellen Sie sich das mal vor! Ab und zu ist er stehen geblieben, um aufs Wasser zu schauen. Die ersten Frachtkähne sind vorbeigeschippert. Dann strömten die Fabrikarbeiter auf die Straßen. Und er ist immer weitergegangen, immer weiter, wie einer, der überhaupt keine Idee hat, was er machen soll.«
»War’s das?«
»So ziemlich … Warten Sie! Am Pont Mirabeau hat er was aus der Tasche genommen …«
»Zehn-Franc-Scheine?«
»Ja, so sah es aus. Dann hat er sich umgeschaut, wahrscheinlich nach einem Bistro. Am rechten Ufer war aber nichts offen. Also ist er rüber auf die andere Flussseite und hat dort in einer kleinen Bar unter lauter Taxifahrern einen Kaffee und ein Glas Rum getrunken.«
»Im Citanguette?«
»Nein, noch immer nicht! Janvier und ich waren schon ganz schwach auf den Beinen. Und wir konnten nicht mal was trinken, um uns aufzuwärmen! … Dann ist er wieder los … über viele Wege und Umwege. Janvier hat sich alle Straßen notiert und wird Ihnen einen detaillierten Bericht abliefern … Schließlich sind wir wieder auf den Quais gelandet, in der Nähe einer großen Fabrik. Dort ist es völlig ausgestorben.
Ein paar Büsche und eine Wiese zwischen zwei Haufen Baumaterial … Um einen Kran herum hatten vielleicht zwanzig Frachtkähne festgemacht.
Jedenfalls würde man dort nie so einen Gasthof erwarten wie das Citanguette: ein kleines Bistro, in dem man auch was essen kann … rechts ein Schuppen mit einem Pianola und einem Schild: Samstags und sonntags Tanz.
Unser Mann trinkt noch einen Kaffee und einen Rum. Dann bestellt er Würstchen, auf die er sehr lange warten muss. Er spricht mit dem Wirt, und eine Viertelstunde später sehe ich die beiden in den ersten Stock verschwinden.
Wie der Wirt runterkommt, bin ich rein und habe ihn direkt gefragt, ob er Zimmer vermietet.
›Warum?‹, fragt er. ›Stimmt was nicht mit dem?‹
Anscheinend hat er schon öfter mit der Polizei zu tun gehabt. Täuschungsmanöver zwecklos. Also hab ich ihn lieber eingeschüchtert. Und ihm gedroht: Wenn er seinem Gast auch nur ein Wort sagt, wird seine Bude dichtgemacht.
Er hat ihn vorher nicht gekannt, da bin ich mir sicher. Die Stammkundschaft besteht aus Flussschiffern und Arbeitern aus der Fabrik nebenan, die um Punkt zwölf auf einen Aperitif vorbeischauen.
Heurtin hat sich wohl, kaum dass er im Zimmer war, aufs Bett geworfen und nicht einmal seine Schuhe ausgezogen. Als der Wirt ihn darauf aufmerksam gemacht hat, hat er sie von sich geschleudert und ist sofort eingeschlafen.«
»Ist Janvier noch dort?«, fragte Maigret.
»Ja. Man kann ihn anrufen, das Citanguette hat Telefon, weil die Flussschiffer sich oft mit ihren Auftraggebern in Verbindung setzen müssen.«
Der Kommissar nahm den Hörer ab. Ein paar Augenblicke später war er mit Janvier verbunden.
»Hallo! Was macht unser Mann?«
»Schläft.«
»Niemand Verdächtiges?«
»Nichts. Alles ruhig. Man hört sein Schnarchen bis ins Treppenhaus.«
Maigret legte auf und maß den kleinen Kerl vor sich von Kopf bis Fuß.
»Du lässt ihn doch nicht entkommen?«
Dufour wollte protestieren. Aber der Kommissar legte ihm die Hand auf die Schulter und fuhr mit ernsterer Stimme fort: »Hör zu, mein Bester! Ich weiß, dass du dein Möglichstes tust. Aber ich riskiere damit meine Stellung! Und noch einiges mehr … Andererseits kann ich nicht selbst dorthin, weil der blöde Kerl mich ja kennt …«
»Ich schwöre Ihnen, Kommissar …«
»Schwör lieber nicht! Geh jetzt!«
Schnell schob Maigret die Unterlagen wieder in den Ordner und steckte diesen in eine Schublade.
»Vor