Ein Kerl wie Samt und Seide. Will Berthold

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Ein Kerl wie Samt und Seide - Will Berthold

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wollte absetzen, aber sein Peiniger schüttelte den Kopf.

      »Be a good sport«, forderte er den Drangsalierten mit perfider Jovialität auf.

      »The next one!« befahl er, als der Mann die erste Saftkonserve geschafft hatte.

      Seine Arbeitskollegen standen herum. Ihre Gesichter ließen erkennen, daß sie ihm nur zu gerne beim Austrinken der aufgereihten Dosen geholfen hätten, aber Pigskin würde es nie erlauben, deshalb schluckten sie nur trocken mit.

      Bei der dritten Büchse ließ der gefeuerte Oberlehrer die erste Mühsal erkennen; bei der vierten schoß ihm der Tomatensaft wieder zu den Nasenlöchern heraus. Er hustete und prustete, während der Master-Sergeant wie zufällig mit seinem Gummiknüppel spielte.

      »Go on, son of a bitch!« sagte er, nicht unfreundlich, und der 50jährige mit den nassen Augen, der keinen Durst mehr hatte, mußte weitermachen.

      Er schnaufte heftig: »Ich – ich kann nicht mehr«, stöhnte er, »unmöglich –«

      »Shut up and drink!« erwiderte Master-Sergeant Pigskin.

      Dem Internierten traten die Augen aus den Höhlen, ängstlich, großaufgerissen. Sein Gesicht quoll auf wie Hefeteig, er setzte ab, er würgte. Er stemmte sich gegen den Brechreiz, aber sein Magen war stärker, die rote Brühe schoß über die Speiseröhre wieder nach oben. Ein paar Sekunden hielt sich der Zwangsverpflichtete die Hände vor den Mund.

      Dann kotzte er die rote Brühe heraus, auf den Boden, seinem Peiniger vor die Füße.

      »Scum of the earth«, tobte der Angetrunkene: »Du Abschaum der Welt.« Seine Lippen platzten auseinander wie eine faule Frucht: »Don’t be a sissy!« Er schwankte auf unsicheren Beinen: »The next one!« befahl er mit meckernder Stimme und wies auf die weiteren elf Büchsen: »That’ll teach you a lesson!«

      Der Oberlehrer a. D. war am Ende. Er konnte nicht mehr. Der Master-Sergeant ließ jetzt die falsche Jovialität fallen; er holte die ›Smith and Wesson‹ aus der Tasche, entsicherte sie, fuchtelte mit der Pistole herum, Finger am Druckpunkt.

      Hastig griff sich der Internierte die fünfte Dose. Während er zu trinken versuchte, schoß gleichzeitig vom Magen her die Flüssigkeit hoch. Er begriff, daß ihn Schweineschwarte weiterschinden würde, daß er Tomatensaft trinken müßte, und trinken und trinken, bis der ganze Schuppen besudelt wäre.

      Sein Entsetzen schlug von einer Sekunde auf die andere in Haß um. Sein Zorn explodierte wie eine Stichflamme.

      Der untersetzte, kräftige Mann zog den Kopf an, als er sich mit einem Satz auf Pigskin stürzte und ihn rammte. Der Master-Sergeant fiel um. Der Internierte lag über ihm, entriß ihm die Pistole und kam wieder auf die Beine.

      »Du Dreckskerl!« keuchte er und griff nach der ersten Büchse, schleuderte sie, ohne zu treffen, nach dem Amerikaner. »Du Schweinehund!« Die nächste erfaßte den Master-Sergeant am Kinn, die dritte an der Schläfe.

      »Mach’ keinen Quatsch!« rief Horst Schöller, einer der Internierten, dem Ex-Oberlehrer zu, aber das Bangen um seinen Kumpel wurde von der Schadenfreude überlagert, und der Mann war auch nicht mehr zu bremsen.

      Die anderen standen stumm herum mit hängenden Armen. Einige stahlen sich aus dem Schuppen, um später nicht als Zeugen für eine Steinigung mit Konservenbüchsen belangt zu werden. Andere waren unvorsichtiger: Sonst eher kriecherisch, hatte sich ihre Wut auf Schweineschwarte angehäuft. So verfolgten sie, ohne einzugreifen, wie bei einem von ihnen der Damm gebrochen war.

      Immer wieder von Büchsen getroffen, rappelte sich der Master-Sergeant wimmernd hoch. Er war allein. Er hatte keine Chance gegen den Rasenden mit der Pistole. Um Hilfe brüllend, wetzte er aus dem Schuppen, von einem Amokläufer verfolgt.

      Der Bulle keuchte und heulte; er flitzte in Richtung West-Ausgang. Niemand kam Schweineschwarte zu Hilfe. Selbst die Polen mit den Blauhelmen gönnten ihm die Abreibung. Dutzende von Zeugen standen herum und beobachteten die Verfolgung amüsiert, als versuchte hier nur ein herausgefressener Bauer zur Volksbelustigung auf der Dorfstraße die entlaufene Sau wieder einzufangen.

      Erst als der rabiate Safttrinker im Laufen die ›Smith and Wesson‹ abdrückte, begriff der Master-Sergeant, daß er um sein Leben lief. Der Verfolger fuchtelte mit den Armen. Schwer zu sagen, ob er gezielt feuerte.

      Hinter dem nächsten Stapel warf sich Pigskin plötzlich in Dekkung. Der Verfolger sah es zu spät und fiel über ihn. Beide waren ineinander verkeilt, versuchten gleichzeitig nach oben zu kommen. Während des erbitterten Handgemenges richtete sich die Maschinenpistole eines Militär-Polizisten auf den Internierten.

      »Nein!« keuchte der genötigte Amokläufer, als er dem Tod in die Mündung sah: »Nein!«

      Es war zu spät.

      Ein Feuerstoß wuchtete in seinen Körper. Der Mann machte noch rudernde Bewegungen mit den Armen, aber es waren bereits postmortale Zuckungen, auch wenn seine linke Hand die Pistole immer noch festhielt. Aus dem zerfetzten Hemd quoll Blut. Der Stoff saugte sich damit voll, vermengte sich mit den Flecken des Tomato-Juice – zweierlei Rot, doch das dunklere war endgültig.

      Der MP rief einen Arzt herbei, obwohl er wußte, daß hier nichts mehr zu machen war; er zuckte die Schultern. Ein klarer Fall von Notwehr. Keiner machte ein Aufhebens davon, einer weniger von den 75000, die von der Besatzungsmacht zur Zeit unter automatischem Arrest gehalten und in Lagern zusammengepfercht wurden.

      Die Arbeit im Alabama-Depot ruhte einen Moment. Lagerarbeiter, polnische Hilfspolizisten und GIs standen um den Zusammengeschossenen herum. Sogar die Posten am Westtor waren einen Augenblick lang abgelenkt und sahen den Besucher, der behende aus einem Jeep sprang und an der Außenmauer der Schleißheimer Straße auf sie zukam, erst im letzten Moment, einen großen, schlanken Mann mit lässigen Bewegungen. Er war offensichtlich kein Amerikaner, aber, seltsam unberührt von der Zeit, sah er auch nicht wie ein Deutscher des Jahres 45 aus. Obwohl er eine demobilisierte Wehrmachtshose und eine gefärbte US-Windjacke trug, wirkte er flott, fast adrett. Er hatte braune Augen, die offensichtlich gewohnt waren, in weite Fernen zu sehen, und dunkle Haare. Seine unzeitgemäße Lässigkeit hatte etwas Aufreizendes; irgendwie wirkte der Mann hintergründig und zielstrebig. Viel Energie und viel Verstand.

      Er wies einem der beiden Posten die schriftliche Genehmigung der Militär-Regierung vor, das Alabama-Lager zu betreten und hier mit einem Internierten namens Horst Schöller zu sprechen.

      »No«, sagte der DP und schüttelte den Kopf. »Off limits.« »Look it through«, forderte ihn der Mann in der Windbluse auf, wies erneut die Autorisierung vor, dabei zog er ein Päckchen Chesterfield aus der Tasche und zündete sich eine Zigarette an, sicher hatte er auch eine Erlaubnis, amerikanische Glimmstäbchen zu besitzen.

      Der linke DP – Displaced Persons nannte man die Millionenschar ausländischer Zwangsarbeiter, die nach dem Zusammenbruch nicht mehr in ihre kommunistische Heimat zurückwollten oder konnten – zögerte; er war nicht auf den Kopf gefallen: Wenn ein Deutscher in dieser Zeit in einem Jeep der Besatzungsmacht vorfuhr, ein halbes Päckchen Zigaretten in der Tasche hatte, ihm der Hunger nicht aus den Augen sah und er am Eingang zum US-Sperrgebiet nicht den Rücken krumm machte, dann mußte er wohl verdammt gute Beziehungen zum Military Government haben.

      Nach einigem Hin und Her kam ein US-MP und las die Ermächtigung: »To whom it may concern?«

      »Mr. Peter Maletta is allowed …«

      »Wait

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