Professor Unrat. Heinrich Mann
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Was musste nun einem Lohmann der hölzerne Hanswurst dort auf dem Katheder für einen Eindruck machen; dieser an einer fixen Idee leidende Tölpel. Wenn Unrat ihn aufrief, trennte er sich ohne Eile von seiner der Klasse fernstehenden Lektüre, und die breite, gelbblasse Stirn in befremdeten Querfalten, prüfte er aus verächtlich gesenkten Lidern die ärmliche Verbissenheit des Fragestellers, den Staub in des Schulmeisters Haut, die Schuppen auf seinem Rockkragen. Schließlich warf er einen Blick auf seine eigenen geschliffenen Fingernägel. Unrat hasste Lohmann beinahe mehr als die anderen, wegen seiner unnahbaren Widersetzlichkeit, und fast auch deshalb, weil Lohmann ihm nicht seinen Namen gab; denn er fühlte dunkel, das sei noch schlimmer gemeint. Lohmann vermochte den Hass des armen Alten beim besten Willen nicht anders zu erwidern als mit matter Geringschätzung. Ein wenig von Ekel beträufeltes Mitleid kam auch hinzu. Aber durch die Kränkung von Ertzums sah er sich persönlich herausgefordert. Er empfand, als der einzige unter dreißig, Unrats öffentliche Lebensbeschreibung des von Ertzumschen Onkels als eine niedrige Handlung. Zu viel durfte man dem Schlucker dort oben nicht erlauben. Lohmann entschloss sich also. Er stand auf, stützte die Hände auf den Tischrand, sah dem Professor neugierig beobachtend in die Augen, als habe er einen merkwürdigen Versuch vor, und deklamierte vornehm gelassen:
»Ich kann hier nicht mehr arbeiten, Herr Professor. Es riecht auffallend nach Unrat.«
Unrat machte einen Sprung im Sessel, spreizte beschwörend eine Hand und klappte stumm mit den Kiefern. Hierauf war er nicht vorbereitet gewesen – nachdem er noch soeben einem Verworfenen die Relegation in Aussicht gestellt hatte. Sollte er nun auch diesen Lohmann »fassen«? Nichts wäre ihm erwünschter gekommen. Aber – konnte er es ihm »beweisen«? … In diesem atemlosen Augenblick reckte der kleine Kieselack seine blauen Finger mit den zerbissenen Nägeln in die Höhe, knallte mit ihnen und keifte gequetscht:
»Lohmann lässt einen nicht ruhig nachdenken, er sagt immer, hier riecht es nach Unrat.«
Es entstand Kichern, und einige scharrten. Da ward Unrat, der schon den Wind des Aufruhrs im Gesicht spürte, von Panik ergriffen. Er fuhr vom Stuhl auf, machte über das Pult hinweg eckige Stöße nach allen Seiten, wie gegen zahllose Anstürmende, und rief:
»Ins Kabuff! Alle ins Kabuff!«
Es wollte nicht ruhig werden; Unrat glaubte, sich nur noch durch einen Gewaltstreich retten zu können. Er stürzte sich, ehe jener es vermuten konnte, auf Lohmann, packte ihn am Arm, zerrte und schrie erstickt:
»Fort mit Ihnen, Sie sind nicht länger würdig, der menschlichen Gesellschaft teilhaftig zu sein!«
Lohmann folgte, gelangweilt und peinlich berührt. Zum Schluss gab Unrat ihm einen Ruck und versuchte, ihn gegen die Tür des Garderobengelasses zu schleudern; doch dies misslang. Lohmann staubte sich ab an der Stelle, wo Unrat ihn angefasst hatte, und verfügte sich besonnenen Schrittes in das »Kabuff«. Darauf sah der Lehrer sich nach Kieselack um. Der aber hatte sich hinter seinem Rücken an ihm vorbeigewunden und drückte sich schon, mit einer Fratze, in das Arrestlokal. Der Primus musste den Professor darüber aufklären, wo Kieselack sei. Unvermittelt verlangte nun Unrat, die Klasse solle durch den Zwischenfall keinen Augenblick von der Jungfrau abgelenkt worden sein.
»Warum schreiben Sie nicht? Fünfzehn Minuten noch! Und die unfertigen Arbeiten werde ich – immer mal wieder – nicht zensieren!«
Infolge dieser Drohung fiel den meisten überhaupt nichts mehr ein, und es entstanden angstvolle Mienen. Unrat war zu erregt, um eine rechte Freude daran zu haben. In ihm war der Drang, jeden je möglichen Widerstand zu brechen, alle bevorstehenden Attentate zu vereiteln, es ringsumher noch stummer zu machen, Kirchhofsruhe herzustellen. Die drei Rebellen waren beseitigt, aber ihre Hefte, aufgeschlagen auf den Bänken, schienen ihm noch immer den Geist der Empörung auszuströmen. Er raffte sie zusammen und begab sich mit ihnen auf das Katheder.
Von Ertzums und Kieselacks Arbeiten waren mühselige und ungelenke Satzgefüge, die nur zu sehr von gutem Willen zeugten. Bei Lohmann war es sogleich unbegreiflich, dass er keine »Disposition« gemacht hatte, keine Einteilung seiner Abhandlung in A, B, C, a, b, c und 1, 2, 3. Auch hatte er nur eine einzige Seite fertiggebracht, die Unrat mit schnell wachsender Entrüstung zur Kenntnis nahm. Es stand dort:
Die dritte Bitte des Dauphins (»Jungfrau von Orleans« I 10).
Die junge Johanna führt sich, geschickter als ihre Jahre und ihre bäurische Vergangenheit es vermuten ließen, durch ein Taschenspielerkunststück bei Hofe ein. Sie gibt dem Dauphin einen Inhaltsauszug aus den drei Bitten, die er in der letzten Nacht an den Himmel gerichtet hat, und macht durch ihre Fertigkeit im Gedankenlesen natürlich starken Eindruck auf die unwissenden großen Herren. Ich sagte: aus den drei Bitten; aber tatsächlich wiederholt sie nur zwei: die dritte erlässt ihr der überzeugte Dauphin. Zu ihrem Glück: denn sie würde die dritte schwerlich noch gewusst haben. Sie hat ihm bei den beiden ersten ja schon alles gesagt, worum er seinen Gott gebeten haben kann, nämlich: wenn eine noch ungebüßte Schuld seiner Väter vorhanden sei, ihn selbst als Opfer anzunehmen statt seines Volkes; und wenn er schon Land und Krone verlieren solle, ihm wenigstens Zufriedenheit, seinen Freund und seine Geliebte zu lassen. Auf das Wichtigste, auf die Herrschaft, hat er somit schon verzichtet. Was soll er also noch erbeten haben? Suchen wir nicht lange: er weiß es selbst nicht. Johanna weiß es auch nicht. Schiller weiß es auch nicht. Der Dichter hat von dem, was er wusste, nichts zurückbehalten und dennoch ›und so weiter‹ gesagt. Das ist das ganze Geheimnis, und für den mit der wenig bedenklichen Natur des Künstlers einigermaßen