Professor Unrat. Heinrich Mann

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Professor Unrat - Heinrich Mann

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es noch­mals, warf es gleich wie­der un­ter die bei­den an­de­ren, at­me­te im Kampf. Er emp­fand zwin­gend: da wur­de es Zeit, der muss­te »ge­fasst« wer­den! Ein Mensch, mit dem es da­hin ge­kom­men war, dass er die­se – ge­wiss denn frei­lich – Künst­le­rin Rosa – Rosa – Er griff zum drit­ten Mal nach Loh­manns Heft. Da klin­gel­te es schon.

      »Ab­lie­fern!« stieß Un­rat aus, in der hef­ti­gen Be­sorg­nis, ein Schü­ler, der bis­her nicht fer­tig ge­wor­den war, kön­ne viel­leicht im letz­ten Au­gen­blick noch zu ei­ner be­frie­di­gen­den Note ge­lan­gen. Der Pri­mus sam­mel­te die Auf­sät­ze ein; ei­ni­ge be­la­ger­ten die Tür nach der Gar­de­ro­be.

      »Weg dort! War­ten!« rief Un­rat, in neu­er Angst. Am liebs­ten hät­te er ab­ge­schlos­sen, die drei Elen­den un­ter Ver­schluss be­hal­ten, so­lan­ge, bis er ih­ren Un­ter­gang ge­si­chert ha­ben wür­de. Das ging nicht so rasch, hier muss­te lo­gisch nach­ge­dacht wer­den. Der Fall Loh­mann blen­de­te ihn vor­läu­fig noch durch ein Über­maß von Ver­wor­fen­heit.

      Meh­re­re von den Kleins­ten pflanz­ten sich in be­lei­dig­tem Rechts­ge­fühl vor das Ka­the­der hin.

      »Un­se­re Sa­chen, Herr Pro­fes­sor!«

      Un­rat muss­te das »Ka­buff« frei­ge­ben. Aus dem Ge­drän­ge wi­ckel­ten sich nach­ein­an­der die drei Ver­bann­ten, schon in ih­ren Män­teln. Loh­mann stell­te gleich von der Schwel­le her fest, dass sein Heft in den Hän­den Un­rats sei, und be­dau­er­te ge­lang­weilt den Übe­rei­fer des al­ten Töl­pels. Jetzt muss­te sich mög­li­chen­falls sein Er­zeu­ger in Be­we­gung set­zen und mit dem Di­rek­tor re­den!

      Von Ertz­um zog nur die rot­blon­den Brau­en ein Stück hö­her in sei­nem Ge­sicht, das sein Freund Loh­mann den »be­sof­fe­nen Mond« nann­te. Kie­se­lack sei­ner­seits hat­te sich im »Ka­buff« auf eine Ver­tei­di­gung vor­be­rei­tet.

      »Herr Pro­fes­sor, es ist nicht wahr, ich hab’ nicht ge­sagt, dass es nach Un­rat riecht. Ich hab’ nur ge­sagt, er sagt im­mer –«

      »Schwei­gen Sie!« herrsch­te Un­rat, be­bend, ihn an. Er schob den Hals vor und zu­rück, hat­te sich ge­fasst und setz­te ge­dämpft hin­zu:

      »Ihr Schick­sal hängt jetzt nun­mehr im­mer­hin ganz dicht über Ihren Köp­fen. Ge­hen Sie!«

      Da­rauf gin­gen die drei zum Es­sen, je­der mit sei­nem Schick­sal über sich.

      Auch Un­rat aß, und dann leg­te er sich auf das Sofa. Aber wie es alle Tage ging, warf im rech­ten Mo­ment, als er ein­ni­cken woll­te, ne­ben­an sei­ne Haus­häl­te­rin ein Ge­schirr hin. Un­rat fuhr auf und griff so­fort wie­der nach Loh­manns Auf­satz­heft, wäh­rend er sich rosa färb­te, als läse er das die Scham Ver­let­zen­de, das dar­in stand, zum ers­ten Mal. Da­bei ließ es sich schon gar nicht mehr schlie­ßen, so sehr aus­ein­an­der­ge­bo­gen war es an der Stel­le, wo die »Hul­di­gung an die heh­re Künst­le­rin Fräu­lein Rosa Fröh­lich« sich be­fand. Der Über­schrift folg­ten ei­ni­ge un­le­ser­lich ge­mach­te Zei­len, dann ein frei­er Raum und dann:

       Du bist ver­derbt bis in die Kno­chen,

       Doch bist du ’ne große Künst­le­rin;

       Und kommst du erst mal in die Wo­chen –

      Den Reim hat­te der Se­kun­da­ner noch zu fin­den. Aber der Kon­di­tio­na­le im drit­ten Vers sag­te viel. Er ließ ver­mu­ten, Loh­mann sei an ihm per­sön­lich be­tei­ligt. Dies aus­drück­lich zu be­stä­ti­gen, war viel­leicht die Auf­ga­be des vier­ten Ver­ses ge­we­sen. Un­rat mach­te zur Er­ra­tung die­ses feh­len­den vier­ten Ver­ses gra­de sol­che ver­zwei­fel­ten An­stren­gun­gen, wie sei­ne Klas­se ge­macht hat­te zur Auf­fin­dung der drit­ten Bit­te des Dau­phins. Der Schü­ler Loh­mann schi­en sich, durch die­sen vier­ten Vers, über Un­rat lus­tig zu ma­chen, und Un­rat rang mit dem Schü­ler Loh­mann, in wach­sen­der Lei­den­schaft, voll des drin­gen­den Be­dürf­nis­ses, ihm zu zei­gen, er selbst sei zu­letzt doch der Stär­ke­re. Er woll­te ihn schon hin­ein­le­gen!

      Die noch un­förm­li­chen Ent­wür­fe künf­ti­ger Hand­lun­gen be­weg­ten sich in Un­rat. Sie lie­ßen ihn nicht mehr still­hal­ten, er muss­te sei­nen al­ten Rad­man­tel um­hän­gen und aus­gehn. Es reg­ne­te dünn und kalt. Er schlich, die Hän­de auf dem Rücken, die Stirn ge­senkt und ein gif­ti­ges Lä­cheln in den Mund­fal­ten, um die La­chen der Vor­stadt­stra­ße her­um. Ein Koh­len­wa­gen und ein paar klei­ne Kin­der, sonst be­geg­ne­te ihm nichts. Beim Krä­mer an der Ecke hing hin­ter der Tür eine An­kün­di­gung des Stadt­thea­ters: »Wil­helm Tell«. Un­rat, von ei­ner Idee ge­trof­fen, schoss mit ein­ge­knick­ten Kni­en dar­auf zu … Nein, eine Rosa Fröh­lich kam auf dem Zet­tel nicht vor. Trotz­dem konn­te jene Frau­ens­per­son in die­sem Kuns­t­in­sti­tut be­schäf­tigt sein. Herr Drö­ge, der Krä­mer, der das Pro­gramm an sein Fens­ter hing, war ver­mut­lich in den ein­schlä­gi­gen Din­gen be­wan­dert. Un­rat hat­te schon die Hand auf dem Tür­griff; aber er hol­te sie er­schro­cken zu­rück und mach­te sich da­von. Nach ei­ner Schau­spie­le­rin fra­gen, in sei­ner ei­ge­nen Stra­ße! Er durf­te die Klatsch­sucht sol­cher tief­ste­hen­den, in den hu­ma­nis­ti­schen Wis­sen­schaf­ten un­er­fah­re­nen Bür­ger nicht au­ßer acht las­sen. Bei der Ent­lar­vung des Schü­lers Loh­mann muss­te Un­rat ge­heim und ge­schickt zu Wer­ke gehn … Er bog in die Al­lee nach der Stadt.

      Ge­lang es ihm, dann zog Loh­mann im Sturz auch von Ertz­um und Kie­se­lack nach sich. Vor­her woll­te Un­rat dem Di­rek­tor kei­ne An­zei­ge er­stat­ten dar­über, dass man ihn bei sei­nem Na­men ge­nannt hat­te. Es wür­de sich von selbst zei­gen, dass sol­che, die das ta­ten, auch je­der an­de­ren Un­sitt­lich­keit fä­hig wa­ren. Un­rat wuss­te es; er hat­te es an sei­nem ei­ge­nen Sohn er­fah­ren. Die­sen hat­te Un­rat von ei­ner Wit­we, die ihn einst als Jüng­ling mit den Mit­teln zu fer­ne­rem Stu­di­um ver­se­hen hat­te, die er da­für ver­trags­mä­ßig, so­bald er im Amt war, ge­hei­ra­tet hat­te, die kno­chig und streng ge­we­sen war, und nun tot war. Sein Sohn sah nicht schö­ner aus als er selbst und war über­dies noch ein­äu­gig. Trotz­dem hat­te er sich als Stu­dent bei Be­su­chen in der Stadt, auf of­fe­nem Markt mit zwei­deu­ti­gen Frau­en­zim­mern bli­cken las­sen. Und wenn er ei­ner­seits in schlech­ter Ge­sell­schaft viel Geld ver­tat, so war er an­de­rer­seits nicht we­ni­ger als vier­mal durch das Ex­amen ge­fal­len, so­dass er zwar im­mer noch ein brauch­ba­rer Be­am­ter hat­te wer­den kön­nen: doch nur auf Grund sei­nes Abi­tu­ri­en­ten­zeug­nis­ses. Ein pein­li­cher Ab­stand schied ihn von dem hö­he­ren Men­schen, der das Staats­ex­amen be­stan­den hat­te. Un­rat, der sich ent­schlos­sen von dem Sohn ge­trennt hat­te, be­griff al­les Ge­sche­he­ne; ja, er hat­te es fast vor­aus­ge­se­hen, seit er einst den Sohn be­lauscht hat­te, wie er im Ge­spräch mit Ka­me­ra­den den ei­ge­nen Va­ter bei sei­nem Na­men ge­nannt hat­te!

      Ein ähn­li­ches Ge­schick durf­te er also für Kie­se­lack, von Ertz­um und Loh­mann er­hof­fen, be­son­ders aber für Loh­mann, bei dem es ja, dank der Künst­le­rin Rosa

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