Tod dem Management. Siegfried Kaltenecker

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Tod dem Management - Siegfried Kaltenecker

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die Augen. »Jetzt auch noch Fitnesstraining!«

      »Tür 24«, erinnerte sich Nemecek. »Bei unserem Glück wahrscheinlich ganz oben.«

      Vier Stockwerke später wussten sie, dass die Einschätzung richtig war. »Schön, dass wir den maximalen Trainingseffekt auskosten dürfen«, bemerkte Obermayr keuchend.

      Nemecek war verwundert. Setzte ihr das Treppensteigen tatsächlich so zu? Sie war doch immer ganz gut in Form gewesen? Oder war das heute einfach nicht ihr Tag? Bevor Nemecek zu einer Antwort gekommen war, drückte seine Kollegin bereits den Schalter mit der kleinen Glocke. Von innen ertönte nicht mehr als ein leises Klingeln. Ansonsten gab es keinerlei Geräusche, die darauf schließen ließen, dass sich jemand näherte. Sicherheitstür, registrierte Nemecek automatisch, während er überlegte, ob die Witwe ihren Termin verschwitzt haben könnte. Instinktiv spitzte er die Ohren. War da ein Geräusch gewesen?

      Als sich die Tür schließlich öffnete, musste Nemecek unwillkürlich blinzeln. Vor ihm stand eine stattliche Frau in einem schwarzen Kleid, dem man ansah, dass es nicht von der Stange war. Mitte 40, etwa 1 Meter 70 groß, schätzte Nemecek, zumindest wenn er die roten Stöckelschuhe abzog, mit denen sie jetzt fast so groß war wie er selbst. Ihr rundliches Gesicht war stark geschminkt, vor allem die schwarz umrandeten Augen stachen hervor, die zusammen mit den übernatürlich langen Wimpern ihre hellgrüne Iris noch stärker zur Geltung brachte. Dazu hatte sie einen kirschroten Lippenstift aufgetragen und trug kugelförmige Ohrringe im selben Farbton. Am Auffälligsten war indes dieser scharfe Kontrast zwischen ihrer Trauerkleidung und den wasserstoffblonden Haaren, die sie offensichtlich auftoupiert hatte, um für noch mehr Volumen zu sorgen. Dadurch wirkte die ganze Frisur wie ein überdimensionierter Helm. Ob sie sich extra für ihren Besuch so aufgedonnert hatte? Oder lief sie die ganze Zeit so durch die Gegend? Für Nemecek hatte Joschaks ganze Erscheinung etwas ungeahnt Grelles und er musste an sich halten, um nicht die Augen zusammenzukneifen.

      »Frau Joschak?«, rettete ihn Obermayr aus seiner Verlegenheit. »Chefinspektor Nemecek, Bezirksinspektorin Obermayr. Dürfen wir hereinkommen?«

      Wortlos trat Joschak zur Seite und gab den Blick auf den dahinter liegenden Flur frei. Kiefer? Buche? Eiche?, versuchte Nemecek die Holzart zu identifizieren, die hier dominierte. Während er weiter ins Wohnungsinnere vordrang, stieg ihm eine Wolke von schwerem Parfüm in die Nase. Dior kam ihm in den Sinn, obwohl er keine Ahnung hatte, ob das wirklich so roch. Aus irgendeinem Grund schien Dior perfekt zu der extravaganten Erscheinung zu passen.

      Als er wenige Augenblicke später die Küche betrat, wusste er zumindest, woran ihn bereits der Eingangsbereich erinnert hatte – nämlich an die Ferienwohnung, die sie seit Jahren für ihren Sommerurlaub am Faaker See buchten. Also an genau jenes Quartier, in dem seine Familie derzeit ihren Urlaub verbrachte. Kärntner Landhausstil, pries dieses Quartier an, und das war es auch, was er hier vorfand: helles Holz so weit das Auge reichte, dunkle Maserung, glänzende Oberflächen und dazu dieser süßliche Geruch nach Bienenwachs, der dem Ganzen eine ganz besondere Note verlieh. Auf der rechten Seite stand eine mindestens zwei Meter hohe und wohl ebenso breite Kredenz, auf der linken eine Eckbank mit roten Sitzbezügen. Dazu gab es passende Tischdecken, Lampenschirme und Zierpolster. Es war kaum zu übersehen, dass hier eine versierte Gestalterin am Werk gewesen war.

      »Nehmen Sie doch Platz.«

      »Danke«, murmelte Obermayr, bevor sie einen der massiven Holzstühle unter dem Tisch hervorzog.

      »Ich muss sagen, dass ich ein wenig überrascht bin«, eröffnete Joschak. Nemecek fiel auf, dass ihr Oberkörper dabei leicht hin und her pendelte.

      »Sie sind überrascht?« Obermayr staunte. »Unsere Kollegin hat Ihnen doch unser Kommen angekündigt?«

      »Was haben Sie herausgefunden?«, antwortete Joschak mit einer Gegenfrage, während der sie ihren Kopf zweimal auf- und abwippen ließ.

      »Die Untersuchungen laufen noch«, erklärte Nemecek mit einer Polizeifloskel und legte gleich eine zweite nach. »In der Zwischenzeit durchleuchten wir das Umfeld des Toten.«

      Mit geschlossenen Augen erwiderte Joschak: »Ich habe eigentlich nicht mehr damit gerechnet, dass die Polizei noch ihrer Arbeit nachgehen würde.«

      »Lassen wir das«, wies Nemecek den Vorwurf in aller Entschiedenheit zurück. Er staunte selbst über seinen strengen Tonfall, doch er wollte sich keinesfalls auf das klassische Rechtfertigungsspiel einlassen. Stattdessen erklärte er, dass sie hier seien, um mehr über das Umfeld des Toten zu erfahren.

      »Was können Sie uns über Ihren Mann erzählen?«, übersetzte Obermayr.

      »Was genau wollen Sie wissen?« Wieder dieses leichte Pendeln mit dem Oberkörper. Hatte Joschak Probleme mit ihrem Gleichgewichtssinn?

      »Was war er für ein Mensch?«

      Die grelle Witwe faltete ihre Hände, trennte sie jedoch gleich wieder, als erinnere sie diese Berührung an ein Gebet. Gleich darauf fuhr sie sich vorsichtig über ihr Haar, als prüfe sie den Sitz ihrer Frisur. Sie öffnete ihre Lippen, blieb allerdings weiterhin eine Antwort schuldig. Dafür begann sie nun laut durch den Mund ein- und auszuatmen.

      Verblüfft verfolgte Nemecek die seltsame Darbietung. Irgendwie erinnerte ihn das Ganze an das Spiel Activity, bei dem es um das Erklären und Erraten bestimmter Begriffe ging. Joschak schien die Karte mit dem Wort Unentschlossenheit gezogen zu haben und sich in der Phase zu befinden, in der man das Gesuchte pantomimisch darstellen musste. Je länger Nemecek die grelle Witwe betrachtete, umso befremdlicher kam ihm ihr Schauspiel vor. Irgendwie wirkte das Ganze einstudiert, wie eine Choreografie der Trauer, die Marina Joschak vor dem Spiegel eingeübt hatte. Doch von einem Moment zum anderen schien sie die Unentschlossenheit abgelegt und stattdessen den Begriff Verzweiflung in Arbeit zu haben. Jedenfalls griff sie sich nun an die Stirn und stöhnte theatralisch. »Das darf doch alles nicht wahr sein!« Aus den Augenwinkeln bemerkte Nemecek, wie ihm Obermayr einen vielsagenden Blick zuwarf. Während sich die Stirn seiner Kollegin in Falten legte, murmelte ihr Gegenüber: »Das ist alles nur ein böser Traum!« Ganz langsam nahm sie ihr Gesicht in beide Hände und schüttelte dann den Kopf: »Nein! Nein! Nein!«

      Nemecek spürte seine wachsende Unruhe. Konnte Joschak ihren Schmerz nur auf diese exaltierte Weise zum Ausdruck bringen? Rang sie plötzlich derart heftig mit ihrer Trauer, nachdem sie vor ein paar Tagen noch höchst aggressiv aufgetreten war? Demonstrativ schüttelte Nemecek den Kopf. Im Laufe seiner Karriere hatte er ja schon vieles gesehen, doch Joschaks Verhalten kam ihm ebenso dick aufgetragen vor wie ihre Schminke. Maske, Kostüm, Bühne und sie als geduldige Zuschauer – passte doch alles wunderbar zusammen.

      Obermayr warf ihm einen genervten Blick zu, als ginge ihr gerade genau dasselbe durch den Kopf. Lange würde sie sich diese Vorstellung nicht mehr bieten lassen. Schon verformte sich ihre linke Augenbraue zu einem zornigen Ausrufezeichen, als Joschak die Hände vom Gesicht riss und unvermittelt zu reden begann.

      »Was war er für ein Mensch?«, wiederholte sie die ursprüngliche Frage, während sie ihren wackligen Oberkörper energisch aufrichtete. Ihre Augen waren jetzt nicht mehr auf die Tischplatte vor ihr fixiert, sondern starrten geradewegs nach oben, als fände sie die Antwort irgendwo an der Küchendecke. »Als ich ihn kennenlernte, hatte Marco gerade die Schule abgebrochen. Im Grunde war er damals ohne jede Perspektive, ein klassischer Kandidat für die Straße.« Mit dieser Erinnerung schien sich Joschaks Blick neuerlich in der Ferne zu verlieren.

      »Aber es kam anders«, setzte Obermayr nach, um ihren Redefluss in Gang zu halten.

      »Er hat es immerhin bis zum Abteilungsleiter gebracht, der für über 100 Leute verantwortlich war«, sprang Joschak

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