Toxische Männlichkeit. Sebastian Tippe

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Toxische Männlichkeit - Sebastian Tippe

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genug dafür sein, sich auch aus männlicher Sicht mit dem Zusammenhang von Fürsorge, Care-Arbeit und Selbstsorge zu beschäftigen. Die durchschnittlich kürzere Lebenserwartung von Männern ist ein Problem, das wir angehen könnten, würden wir uns trauen, das aktuelle Männlichkeitsbild schon bei der Erziehung von Kindern infrage zu stellen. Es setzt auf Unabhängigkeit, Abenteuer und Coolness und vermittelt schon kleinen Jungen: Sei alles, bloß kein Mädchen! Empathie und Rücksichtnahme dagegen sei weiblich, so vermittelt nicht nur Werbung, die sich um Babynahrung oder Erkältungsmedizin dreht. Langfristig führt dieses Rollenbild dazu, dass Männer meinen, Schmerzen aushalten zu müssen bzw. nicht zugeben zu dürfen, dass sie infolge (zu) spät zu fachärztlichem Personal gehen, höhere Risiken eingehen und deshalb mehr Unfälle haben im Straßenverkehr und bei gewaltvollen Auseinandersetzungen. Anstatt Jungen andere Wege der Konfliktbewältigung oder des positiven Gefühlsausdrucks zu eröffnen, ihnen zu ermöglichen, Schwäche, Unsicherheit und Trauer zu zeigen, werden sie darin bestätigt, ein „echter Kerl“ zu sein“.

      Almut Schnerring, Autorin von „Die Rosa-Hellblau-Falle. Für eine Kindheit ohne Rollenklischees“ sowie „Equal Care: Über Fürsorge und Gesellschaft“

       „Das Patriarchat schadet allen Menschen – Frauen und Männern. Männer sind vordergründig Profiteure der einseitigen Machtverteilung. Das müssen sie auch reflektieren und lernen, sich zurückzunehmen, um sich von den Ideologien des Patriarchats zu befreien. Denn: Das traditionelle Bild des starken, ewig-potenten, erfolgreichen Mannes engt den Handlungsspielraum von Männern extrem ein. Nach wie vor fehlen für Jungen männliche Vorbilder, die ein vielseitiges Bild von Männlichkeit zeigen – zwischen den Abziehbildern des Superhelden und den angeblichen Opfern des Feminismus, die sich vor allem unter Väterrechtlern und Maskulisten zeigen. Dazu braucht es das Wissen um unsere vorpatriarchale Herkunft und unsere soziobiologische Veranlagung. Menschen haben nur aufgrund von Kooperation und Empathie in einer mutter- und damit lebenszentrierten (matrifokalen) Lebensweise so lange überleben können. Die massiven Probleme der heutigen Zeit wurzeln in der Entstehung des Patriarchats: Der Erkenntnis von Vaterschaft im Rahmen der Viehzucht vor ca. 6.500 Jahren. Dieser Zeitraum ist ein Wimpernschlag unserer Evolution, hat aber gereicht, uns an den Rand unserer Selbstzerstörung zu führen. Daher gehört auch Vaterschaft in der bis heute verherrlichten (sic!) und ideologisch verinnerlichten Form gehörig hinterfragt, damit wir wirklich tragfähige Konzepte des Zusammenlebens und Überlebens entwickeln können. Die heute noch auf wenigen Orten der Welt existenten matrifokalen Lebensgemeinschaften zeigen: Auch Männern geht es deutlich besser in dieser eigentlich unserer Veranlagung entsprechenden Lebensform. Gewalt – insbesondere geschlechtsspezifische Gewalt – existiert nicht, wenn Frauen wirtschaftlich dominieren. Die Menschen sind insgesamt glücklicher.“

      Rona Duwe, Patriarchatskritikerin

       Vorwort von Christina Mundlos

      Toxische Männlichkeit durchzieht unsere Gesellschaft in sämtlichen Bereichen. Die Auswirkungen spüren Frauen täglich. Egal, ob sie auf dem Bürgersteig ausweichen müssen oder die Beförderung nicht bekommen, ob sie vergewaltigt, belästigt oder gestalkt werden, ob sie ihre eigenen Bedürfnisse verdrängen und die aller anderen befriedigen müssen, ob sie mal wieder zum Hepeating des Kollegen applaudieren sollen oder massiv von Altersarmut bedroht sind. Ich selbst habe so gut wie alle der toxischen Verhaltensweisen von Männern, die im Buch beschrieben werden, schon erlebt. Viele davon mehrfach täglich. Diese Zustände sind eben nicht nur strukturell bedingt, sondern werden täglich von Millionen von Männern mit ihrem Alltagshandeln hergestellt und bestätigt. Wir könnten hier von DOING TOXIC MASCULINITY sprechen.

      Dieses Buch ist ein Wegweiser für Männer, die Unterstützung brauchen bei der Suche nach all ihren toxischen und sexistischen Verhaltensweisen und der Veränderung dieser. Insbesondere der erste Teil bietet einen umfassenden Überblick über die verschiedenen Aspekte toxischer Männlichkeit. Im zweiten Teil geht es dann ans Eingemachte: Männer werden zu einer „Entgiftungskur“ aufgefordert, die es in sich hat. An schlechten Tagen befürchte ich, dass man das Gift vermutlich nur noch mit einem sehr großen Bunsenbrenner wegflammen kann. An guten Tagen setze ich auf den Einfluss der wenigen radikalfeministischen Männer wie Sebastian Tippe. Das vorliegende Buch ist daher ein sehr guter Anfang. Schlussendlich zeigen die vielfältigen Erfahrungsberichte von Frauen und Männern, dass toxische Männlichkeit mitten unter uns ist.

      Es mag für Männer ein heilsamer Schock sein, wenn ihnen beim Lesen des Buches und der Auseinandersetzung mit dem Ausmaß toxischer Männlichkeit das Lachen vergeht. Leserinnen sollten aber gewarnt sein: Es empfiehlt sich nicht unbedingt, das Buch am Stück zu lesen, denn die Fülle an Benachteiligungen und das Ausmaß der Gewalt gegen unser Geschlecht kann sehr aufwühlen und belasten. Auch wenn viele Aspekte toxischer Männlichkeit bekannt sind, ist es bedrückend und frustrierend, sich mit allen gleichzeitig zu befassen. Ich habe bereits selbst sieben Bücher über Sexismus und Diskriminierungen geschrieben und musste beim Lesen pausieren, da das gesamte Bild, das aus den einzelnen Puzzle-Teilen entsteht, erschreckend ist. Deshalb ist dieses Buch so bitter nötig. Sebastian Tippe hält mit seinem Buch Männern den Spiegel vor und bietet damit einen Blick auf die negativen Einflüsse von toxischer Männlichkeit auf unsere Gesellschaft, die die meisten wohl lieber verdrängen möchten.

      Es bleibt zu hoffen, dass dieses Buch von vielen Männern gelesen UND beherzigt wird. Auch, wenn vielleicht die weiblichen Leserinnen überwiegen werden. Männer werden von Sebastian Tippe zum Umdenken ermutigt. Frauen könnte die Lektüre dazu anregen, ihre angestaute Wut in feministische Aktivitäten zu kanalisieren. Zudem kann es entlastend wirken, dass sich ein Mann hier derart deutlich solidarisch mit Frauen positioniert. Schließlich bleiben feministische Statements von Männern oftmals Lippenbekenntnisse – spätestens, wenn es um die eigenen Privilegien geht. Das wird beispielsweise auch am Thema Pornografie und Prostitution deutlich. Selten sind Männer bereit, auf das Privileg zu verzichten, einen Frauenkörper kaufen und benutzen zu können. Tippe positioniert sich aber auch hier klar und bereichert sein Buch mit einem Bericht von Huschke Mau.

      Darüber hinaus sind vor allem auch die Tipps und Methoden für die Mädchen- und Jungenarbeit sehr wertvoll und sollten daher bei SozialarbeiterInnen, Schulen und Jugendämtern Beachtung finden.

      Das Buch stellt einen sehr wichtigen Beitrag dar für die Problematisierung und das Aufbrechen der schädlichen typisch männlichen Verhaltensweisen.

      Christina Mundlos

       1. Einführung in das Thema

       1.1 EINLEITUNG

      Toxische Männlichkeit – der Begriff ist in aktuellen Diskursen über übergriffiges Verhalten von Männern und (sexuelle) Gewalt gegen Frauen durch Männer in den sozialen Netzwerken, in journalistischen Artikeln, aber auch in anderen Formaten wie in Podcasts, im Radio oder TV angekommen und wird kontrovers diskutiert. Seit der #metoo-Bewegung, die ihren Anfang mit dem Weinstein-Skandal Mitte Oktober 2017 nahm und eine weltweite Bewegung anstieß, im Rahmen derer Mädchen und Frauen erstmals öffentlich das enorme Ausmaß sexueller Belästigungen und sexueller Übergriffe/Vergewaltigungen sichtbar machten, werden patriarchale Strukturen, strukturelle Benachteiligungen von Frauen und Sexismus sowie Gewalt durch Männer mehr und mehr thematisiert.

      Die Firma Gillette präsentierte 2019 einen Werbeclip mit dem Titel „We Believe: The Best Men Can Be“, der problematische Anteile männlicher Sozialisation aufzeigt. Auffällig sind die enormen Gegenreaktionen auf den Clip und die Kommentare in den sozialen Netzwerken von Männern, die sich vehement gegen die Kritik an dem Konstrukt „Männlichkeit“ wehren. Der Begriff „Toxische Männlichkeit“ wird von vielen als Angriff gegen sie selbst, ihre „Männlichkeit“ und ihre Identität verstanden und als „Kampfbegriff“ abgetan.

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