Das Feuer brennt. Frankfurter Allgemeine Archiv

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mitbekam, wo die deutschen Florettdamen die Goldmedaille durch eine 6:9-Finalniederlage gegen Italien verpassten, waren die auch jenseits der sportlichen Kampfbahn hörbaren Sticheleien zwischen der nach ihrer Mutterschaft gerade noch rechtzeitig zurückgekehrten Anja Fichtel-Mauritz, der zweifachen Olympiasiegerin von Seoul, und ihren Mitstreiterinnen, unter denen die Tauberbischofsheimerin Zita Funkenhauser eine besonders spitze Zunge hatte. Als fast alle Reporter nach dem Wettkampf den Star Anja Fichtel-Mauritz umlagerten, zischte Zita Funkenhauser: „Sollen sie doch alle zu ihr gehen. Ich werde auch mal Mutter. Aber knapp nach den Olympischen Spielen.“

      Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Eine deutsche Silbermedaillengewinnerin bei den Seouler Sommerspielen vier Jahre zuvor ging mit ihren Erfolgserlebnissen ohne große Worte ziemlich still um: die Radrennfahrerin Jutta Niehaus. Die Pedaleurin, die völlig überraschend Zweite im Straßenrennen wurde, erfüllte so gar nicht das Klischee der vom eigenen Triumph überrumpelten Medaillengewinnerin. „Ich komme mir vor wie nach einem normalen Rennen“, kommentierte die Rheinländerin ihren größten Tag als Sportlerin, als wäre sie bei einem Kriterium irgendwo in Deutschland Zweite geworden. Der Versuchung, Jutta Niehaus zu etwas mehr Begeisterung zu verhelfen, widerstand ich in jenen Momenten zum Glück. Reporter sollten den Respekt aufbringen, Athletinnen und Athleten auf der Suche nach dem eigenen Glücksgefühl bei sich selbst zu lassen.

      Wie hell eine Bronzemedaille leuchten kann, erlebte ich in der Kabine der Olympiamannschaft des Deutschen Fußball-Bundes mit. Sie schaffte es 1988 als einzige aus der Bundesrepublik Deutschland, dank des 3:0-Sieges über Italien im Spiel um Platz drei, den Traum von Olympia zu einer Abenteuerreise mit Gewinn zu machen. Beseelt vom olympischen Geist und an den letzten Tagen beflügelt vom ganz besonderen Spirit des Olympischen Dorfs, genossen die zwei Jahre später als Weltmeister gefeierten Bundesligastars Frank Mill, Jürgen Klinsmann, Thomas Häßler und Karl-Heinz Riedle im Kreise ihrer Mannschaftskameraden ein Gemeinschaftsgefühl, das sie 1990 in noch intensiverer Weise beim Weltmeisterschaftstriumph in Italien umhüllte. Mill, der damals Kapitän der von Hannes Löhr trainierten Olympia-Auswahl war, schwärmt heute noch von zwei unvergesslichen Wochen in Südkorea. „Diese Eindrücke vergisst du nicht“, sagt er beim Blick zurück auf seine einprägsame olympische Episode.

      Und so ergeht es auch olympischen Zeitungsreportern, die in ihrem steten Drang und Eifer zu einem Teil der olympischen Bewegung werden, mögen sie auch hier und da auf dem rastlosen Weg zwischen Nähe und Distanz zu den Protagonisten an ihre eigenen Grenzen stoßen und Sieger mit Besiegten verwechseln. Egal. Sie waren dabei und haben zu spüren bekommen, dass sie sich dem ganz besonderen Reiz dieses größten und atmosphärisch dichtesten Sportfest der Welt nicht entziehen können. Warum auch?

      Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.07.2020, Nr. 170, S. 28

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Tokio 1964

      „Ich muss, muss, muss!“

      Willi Holdorf war der erste deutsche Olympiasieger im Zehnkampf. Sein Zusammenbruch nach dem 1500-Meter-Lauf 1964 in Tokio ist legendär geblieben.

      Von Hartmut Scherzer

      Wie betrunken torkelt Willi Holdorf auf den letzten zehn Metern. Der „Sterbende“, so die dramatische Metapher des französischen Journalisten Edouard Seidler in seiner preisgekrönten Reportage über die Olympischen Spiele 1964 in Tokio, taumelt quer über die Aschenbahn. Der wie ums Überleben kämpfende deutsche Athlet erreicht die Ziellinie hart an der Balustrade. Dann bricht er zusammen.

      Der Este Rein Aun im roten Trikot der Sowjetunion hebt den Sieger auf, der nichts vom Goldgewinn weiß. Noch halb bewusstlos und noch immer schwankend, klammert sich Holdorf an ihn. Ich habe die Szene von der Pressetribüne im Medji-Nationalstadion aus beobachtet. Weil es ein „German final“ sei, hat der amerikanische Sportchef der Nachrichtenagentur United Press International (UPI) seinen deutschen Reporter zusätzlich – und erstmals – zu den Leichtathleten geschickt. „The balding German“ (balding = schütteres Haar) führt nach dem ersten Tag. „He could win.“ Chancen hatte auch Hans-Joachim Walde. Es ist der frühe Abend des 20. Oktober, kühl und feucht. Am Himmel hängt der gelbe Vollmond. Das Flutlicht ist eingeschaltet. Nur ein paar tausend schweigsame Japaner haben ausgeharrt. Deutsche Olympia-Teilnehmer und die Jungen und Mädchen des deutschen Jugendlagers machen sich lautstark bemerkbar.

      „Es muss ein Sadist gewesen sein, der den mörderischen 1500-Meter-Lauf an das Ende des Zehnkampfes gesetzt hat“, kommentiert die Frankfurter Journalisten-Legende Richard Kirn die finale Qual. Seidler hat das „Happy End“ wunderbar beschrieben: „Aun sagt zu Holdorf: ,Olympic champion – you olympic champion.’ Holdorf sah ihn fragend an, blieb aber stumm und brach abermals zusammen. Aun wartete lange. Er blieb wie ein Wachposten bei seinem siegreichen und ausgepumpten Rivalen. Dann hob er ihn ein zweites Mal auf und sagte ihm noch einmal, dass er gewonnen habe. Holdorf verstand ihn jetzt und lächelte ihm zu. Von Aun gestützt ging er einige Schritte auf den Rasen zu, wo der alte Meister Yang noch immer ausgestreckt lag. Jetzt richtete auch er sich auf, er war vielleicht noch erschöpfter. Yang hängte sich bei seinem jungen Bezwinger ein, und beide wankten fest umschlungen und taumelnd auf den Ausgang zu. Der olympische Zehnkampf klang mit einem ,Ballett zweier Betrunkener’ aus.“

      Yang Chuan-Kwang, 31 Jahre alt, startete für Formosa, wie Taiwan damals hieß, studierte und trainierte seit Jahren an der University of California in Los Angeles (UCLA). Rafer Johnson, der hünenhafte afroamerikanische Olympiasieger von 1960, war sein Trainingskamerad. C. K. Yang, Achter 1956 in Melbourne und Zweiter in Rom hinter seinem Freund, war der große Favorit gewesen. Für Tokio wurde aber kurzfristig eine neue Punktwertung eingeführt, um mehr Ausgeglichenheit bei den zehn Disziplinen zu schaffen.

      Ungünstig für Yang, dessen Weltrekord von 9121 auf 8089 Punkte schrumpfte. Er konnte nicht länger seine Wurfschwäche durch seine Sprungstärke ausgleichen – wie mit 4,84 Meter (Bestleistung) im Stabhochsprung. Im Kampf um die Medaillen hatte er kaum noch Chancen und wurde auch nur Fünfter. Willi Holdorf siegte mit der persönlichen Bestleistung von 7887 Punkten – als erster Deutscher. Der Vorsprung vor Aun: knappe 45 Punkte. Er beendete die Hegemonie der Amerikaner, die seit 1932 alle sechs olympischen Zehnkämpfe gewonnen hatten. Großen Wert legte Holdorf stets auf den Vergleich, „dass ich auch nach der alten Wertung Olympiasieger geworden wäre“. Mit 8119 Punkten.

      Willi Holdorf ist der „König der Leichtathleten“, mit 7887 Punkten gewann er die Goldmedaille im olympischen Zehnkampf. Über die Bronzemedaille freut sich ein weiterer Athleten der gesamtdeutschen Mannschaft: Hans-Joachim Walde. Silber ging an den für die Sowjetunion startenden Esten Rein Aun. Foto: picture alliance / dpa

      Dank Satellitenübertragung schaut die Welt zu – erstmals sogar in Farbe.

      Ausgerechnet in Yangs Spezialdisziplin, der drittletzten, droht Holdorf zu scheitern. Die Latte liegt in 4,10 Meter Höhe. Zweimal hat er sie heruntergerissen. Bei einem dritten Fehlsprung würden nur 3,70 Meter zu Buche stehen. Holdorf (Bestleistung 4,30 Meter) weiß: „Schaffe ich die Höhe nicht mehr, kann ich eine Medaille vergessen.“ Ihm sei „der Arsch auf Grundeis gegangen“, erzählte er mir bei einem Besuch in Achterwehr. Bundestrainer Friedel Schirmer habe ihm signalisiert, zum Anlauf den rechten Fuß zurückzunehmen. Walde, direkt bei ihm, rät: „Setze den rechten Fuß vor.“ Holdorf hört auf den Kameraden und genießt das „erlösende Gefühl, wenn man unten im Schaumgummi liegt und sieht, wie die Latte oben bleibt“.

      Das

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