Konstellationen und Transformationen reformatorischer Theologie. Группа авторов

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Konstellationen und Transformationen reformatorischer Theologie - Группа авторов Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie (VWGTh)

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Blumenbergs Reformationsdeutung zurück und kritisiert Letztere sowohl aus historischen wie aus systematischen Gründen. Die Schöpfungstheologie Luthers spreche eher gegen als für Barths These. Denn in ihr gehe die Allwirksamkeit Gottes tendenziell zu Lasten einer natürlichen Erklärung von Ereignissen, eine wahre Einsicht in die Abläufe der Natur vermittele allein der Gottesglaube und darum letztlich die Theologie. Entsprechend weite Luthers Zurückweisung des kopernikanischen Weltbilds mit dem Hinweis auf Josua 10 das Schriftprinzip auf jedwede Wissenschaft aus, so dass die Autorität des Wortes Gottes die Naturwissenschaft nicht freisetze, sondern zu dirigieren suche. Lindes reichhaltige Sammlung von Lutherzitaten unterstreicht, dass Luther ein mittelalterlich geprägter Mensch war, dessen Lebenswelt und Theologieverständnis nicht mit den Positionen verwechselt werden darf, für die er heute herangezogen wird. Statt von kontinuierlicher Transformation von Theologiegestalten möchte sie lieber vom definitiven Bruch und unüberwindbaren Graben zwischen Rationalitätskulturen sprechen, die unterschiedlicher nicht sein können.

      Aus der Perspektive der Kultursoziologie befasst sich Karl-Siegbert Rehberg mit der reformatorischen Institutionenlehre. Diese umgreift beide Reiche, das von Gott eingesetzte Predigtamt genauso wie basale weltliche Ämter, und sie führt hier wie dort die bestehende Ordnung auf göttliche Stiftungsakte zurück. Wie sich diese Vorstellung mit der protestantischen Selbstbeschreibung als einer nicht-institutionalisierten, ja anti-institutionellen Religion der Innerlichkeit und Freiheit verträgt, muss gefragt werden. Ein antirömischer Affekt alleine, der auf Abstand angelegte Selbstvergleich mit der römisch-katholischen Kirchenhierarchie als dem Inbegriff einer Hyper-Institution werden nicht ausreichen, um die eigene Faszination für institutionelle Ordnungen wirksam zu verschleiern. Die soziologische Außenperspektive provoziert daher auch die sogenannte aufgeklärte Religion zur Aufklärung – und das heißt hier zur Einsicht, dass sie sich nicht ausschließlich als permanente Transformation institutioneller Ordnungen in individuelle Praktiken liberaler Lebensführung präsentieren kann.

      Aufmerksamkeit für die eigene Deutungsmacht und Durchsetzungsroutinen, also für die Kultur der Ordnungen muss jedoch nicht Rückfall in konservative Muster der Stiftung starker Institutionen bedeuten. Der Dresdner Kultursoziologe plädiert für eine dynamische Theorie der Institutionalisierung, für prekäre Balancen aus Stabilisierung und Labilisierung von Ordnungen, die Außer-Ordentliches und Erwartbares verbinden. Sinn für die innere Dialektik zwischen Aufbau und Abbau der Ordnungen erlaubt ein gewandeltes protestantisches Selbstverständnis. Rehberg erinnert insbesondere an den Bedarf der Institutionalisierungsprozesse an Reinszenierung von Gründungserlebnissen und an aktueller Vergegenwärtigung von Selbstbildnissen. Die Kultur des Reformationsgedenkens kann als Symbolisierungs- und Visibilisierungsleistung verstanden werden, als ein Mittel, ein Gefühl der Zugehörigkeit gerade durch unbestimmte Verpflichtungen nacherlebbar zu machen. Die Rede von einer durchgreifenden Spiritualisierung und Verinnerlichung alles Kirchlichen erweist sich als moderner Mythos, der das institutionelle Wirken verdeckt und das Bewusstsein der Handelnden schwächt. Die Transformation von Ordnungen ist durch antiinstitutionelle Dauerreflexion nicht abgetan.

      Die beiden letzten Beiträge dieses Bandes widmen sich einem zentralen Problem reformatorischer Theologie: der Ausstrahlung des für die Rechtfertigungslehre unverzichtbaren Sündenbegriffs auf das Selbstverständnis des Menschen, also die (vermeintliche oder tatsächliche) Heraufbeschwörung einer schwarzen Anthropologie (Habermas), welche die Kräfte des Menschen lähme, ihn entmutige, das humane Subjekt der Negativität preisgebe.

      Knut Wenzel diskutiert die Frage, ob die lutherische Variante des Rechtfertigungsglaubens ohne die Figur einer Annihilation des Subjekts auskommen könne, ob also die Rede von einer vollständigen Passivität des sich Rechtfertigung ab extra gefallen lassenden Subjekts nicht auf Abschaffung von Subjektivität, auf Leugnung der Aktivität des Menschen hinauslaufe. Um die Affirmation des Lebens durch Gott zum Ausdruck zu bringen, seien andere Begriffe (wie der Begriff der Schöpfung, der Gnade und schließlich der der Liebe) als Grund- oder Zentralbegriff des Glaubens attraktiver. Insbesondere von der Liebe gelte, dass in ihr eine Einheit von äußerster Selbstbeteiligung und Aktivität einerseits, von Hingabe an den Anderen (bzw. die Andere) und Attraktivität andererseits liegt. In und an der Liebe eröffnet sich ein Raum zwischen Aktivität und Passivität, zwischen Machenmüssen und Handlungsunfähigkeit, zwischen Konservierung von Identität und Selbstverlust. In Orientierung an diesem Phänomen sei eine andere Form der Fundamentaltheologie und Anthropologie möglich – um willen des Menschseins freilich auch nötig, denn weder annihilatio des Subjekts noch eine abrogatio guter Werke komme infrage.

      Knut Wenzel hat die Aufgabe, sich als katholischer Theologe in den Transformationsdiskurs der protestantischen Theologie einzumischen, nicht nur mit dieser Erinnerung an die Brüche und Unvereinbarkeiten, die zwischen modernem Selbstverständnis und (alt)protestantischer Theologie klaffen, erfüllt, sondern macht mit seinem Beitrag auch den Vorschlag, den Transformationsbegriff auf das interkonfessionelle Verhältnis selbst zu beziehen, ihn also nicht (fortschritts-)geschichtsphilosopisch, sondern pluralitätstheoretisch zu gebrauchen. Die verschiedenen Konfessionen seien für einander je eigene und selbständige Transformationsgestalten eines Christentums, das keine für sich haben und repräsentieren kann. Der Überschuss an Sinn und der Reichtum des Glaubens kann von keiner Form des Christentums vollständig erfasst, sondern immer nur transformiert werden.

      Auch Dietrich Korsch sieht die Crux der Rechtfertigungslehre in ihrem negativen Menschenbild, das, anthropologisch unplausibel geworden, den Abstand unserer Zeit und ihrer Lebenswelt gegenüber der Reformation vor Augen stelle. Freilich nehme sich die Distanzvermessung anders aus, wenn man Luthers Denken im Verhältnis zu der Sünden-, Buß-, Reue- und Wiedergutmachungstheologie und -praxis betrachte, von der es sich absetzt. Korsch verweist auf Unschärfen und Unbestimmtheiten, die durch die Kirche nur oberflächlich verdeckt wurden, dem Einzelnen aber zu schaffen machten – und zwar ganz unabhängig davon, ob wenig oder viel von göttlicher Gnade und Vergebung die Rede war. Demgegenüber konzentriert sich Luthers theologisches Denken auf das Gottesverhältnis des Menschen, an dem es eine eigentümliche Dialektik herausarbeitet: das Selbstsein des Menschen fordert die Negation Gottes und ist doch mit ihr unvereinbar, darum der Aufhebung bedürftig. Letztere findet ihren Ausdruck im simul iustus et peccator, nicht in einer Synthese zwischen Gott und Mensch. Die Negativität im Selbstverhältnis und also auch im Menschenbild sei ein Moment dieser Dialektik. Korsch erneuert die von Wenzel kritisierte, in Luthers Lehre vom Gesetz fundierte Auffassung, der sich selbst behauptende Mensch müsse untergehen (annihiliert werden), um Rechtfertigung zu empfangen. Aber er verweist auf den Gewinn an Allgemeinheit und Universalität, welcher die Rede von Sünde und Schuld kennzeichne, ja die im Grunde überhaupt erst gemeinsame Angelegenheiten aller Menschen entdecke. Auch teile die reformatorische mit der modernen Anthropologie die Überzeugung, dass es stets um den ganzen Menschen geht, aber sie denke Totalität weder als Harmonie von Natur und Freiheit noch als gegebene. Der Pessimismuseindruck entstehe im Übergang der Totalitätsfiguren, im Rückblick von hier nach dort. Ihm produktiv zu begegnen, ohne die Rechtfertigungslehre preiszugeben, setze eine Transformation der reformatorischen Theologie voraus, in der die Sündenerkenntnis als Einsicht in eine der conditio humana eigentümliche Differenzerfahrung zu rekonstruieren sei. Wie eine solche Begrenzung Transformation aussieht, kann Dietrich Korsch an dieser Stelle nur skizzieren. Aber diese Begrenzung trifft auf den hier vorgelegten Band als Ganzen zu. Für ihn stimmt auch in dieser Hinsicht: Die Reformation geht noch fort.

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