Dialekt und Standardsprache in der Deutschdidaktik. Hubert Klausmann

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Dialekt und Standardsprache in der Deutschdidaktik - Hubert Klausmann

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alt=""/>Abb. 4:

      Verbreitung der Formen als ein siech(e), als ein blinde) gegenüber als ein blinder, als ein siecher in einem Satz wie Ich ging zu ihm als … in den Handschriften des 15. Jhs. (nach Besch 1967: Karte 87 vereinfachte Darstellung durch Flächen statt einzelner Ortssymbole).

      Abb. 5:

      In dieser Grafik stehen Standardsprache und Dialekte nicht untereinander, sondern nebeneinander. Damit soll verhindert werden, dass allein schon optisch die Standardsprache als höherwertig angesehen wird. Aus dem gleichen Grund sprechen wir auch von Standardsprache und nicht von Hochsprache oder Hochdeutsch.

      Zunächst galt die Standardsprache nur für den schriftlichen Bereich (1. Phase). Ihre Umsetzung ins Lautliche führte zu regional unterschiedlichen Varianten. Dies galt auch noch für den Beginn des 20. Jahrhunderts. Im niederdeutschenNiederdeutsch Raum richtete man sich nach der Übernahme der einheitlichen Schriftsprache auch im Mündlichen nach dieser aus, man sprach also „nach der Schrift“. Da das Niederdeutsche wegen der Nicht-Teilnahme an der Zweiten LautverschiebungZweite Lautverschiebung lautlich sehr weit von der – wie wir gesehen haben – vorwiegend im ostoberdeutschen-ostmitteldeutschenOstmitteldeutsch Raum entstandenen Standardsprache entfernt war, konnten sich dort regionale Besonderheiten weniger „einschleichen“. Der Weg vom niederdeutschen Dialekt (= Platt) zur gesprochenen deutschen Standardsprache kam praktisch dem Erlernen einer Fremdsprache gleich.

      Mit der Entstehung der Tragödie um 1800 bemühte man sich schließlich, eine über allen RegionalsprachenRegionalsprache stehende einheitliche Lautung zu finden. Am Ende setzten sich zwei Auffassungen durch: 1. Das beste Hochdeutsch wird im norddeutschen Raum gesprochen. 2. Das beste Hochdeutsch wird im ernsten Drama gesprochen. 1898 erschien dann die „Deutsche Bühnenaussprache“ von Theodor SiebsSiebs, Theodor. Sie wurde zur Richtlinie für die korrekte Aussprache der deutschen Sprache weit bis in das 20. Jahrhundert hinein. Für den einen oder anderen Sprachtrainer gilt sie noch immer.

      Mit der Übernahme der zunächst nur schriftlichen Standardsprache in den mündlichen Bereich (2. Phase) ist eine völlig neue sprachliche Aufteilung entstanden, die je nach Region ganz anders aussieht. Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein hatte nämlich die Standardsprache nur einen geringen Einfluss auf die Dialekte. Dies zeigte sich besonders im lautlichen Bereich, wo die Dialekte konsequent auf ihre mittelhochdeutschen Lautungen zurückzuführen waren. Nun mischte sich aber mehr und mehr die Standardsprache in die lautliche Entwicklung der Dialekte ein, so dass sich neue Dialekte, regional weiter verbreitete Dialekte, entwickelten. Dies hängt damit zusammen, dass die Standardsprache immer mehr in den Alltag der Menschen eindrang und sich Dialekt und Standardsprache die verschiedenen Bereiche aufteilten. Im süddeutschen Raum (Saarland, Rheinland-Pfalz, südliches Hessen, Bayern, Baden-Württemberg) kommt es in der Folgezeit zu einer mehrschichtigen Aufteilung zwischen dem alten Basisdialekt, der jahrhundertelang für viele die einzige Sprachform war, und der Standardsprache (3. Phase). Im norddeutschen Raum mit seiner großen Distanz zwischen Dialekt und Standardsprache sieht die Situation dagegen anders aus.

      In der Schweiz liegt wiederum eine ganz andere Situation vor. Dort beherrschen die Ortsdialekte nahezu den kompletten mündlichen Bereich, also in allen Situationen, während man im schriftlichen Bereich an der deutschen Standardsprache festhält. Man spricht daher hier auch von einer medialen DiglossieDiglossie, d.h. die Aufteilung von Dialekt und Standardsprache richtet sich nach dem Medium. In Österreich scheint die Situation ähnlich wie in Süddeutschland zu sein, wobei die Verwendung der regionalen Varietät allerdings in weit mehr offiziellen Bereichen möglich ist als im süddeutschen Raum.

      3.3 Die Verteilung von Dialekt, RegionalspracheRegionalsprache und Standardsprache im süddeutschen Raum

      KönigsKönig, Werner Abbildung im „dtv-Atlas Deutsche Sprache“1 zeigt, dass es im süddeutschen Raum eine Art Kontinuum vom Dialekt bis zur Standardsprache gibt. Andere Sprachwissenschaftler sprechen auch von Zwischenstufen. Die Zahl dieser Zwischenstufen ist im süddeutschen Raum aber nicht immer gleich. In vielen Fällen des Alltagswortschatzes gibt es keine regionale Alternative zur Standardsprache, so etwa bei Wörtern wie Haus, Wand, Tisch, Stuhl usw., in manchen Fällen aber gleich mehrere Alternativen, so dass es zu einer fünffachen Abstufung kommen kann. In Anlehnung an den Tübinger Sprachforscher Arno RuoffRuoff, Arno werden am Beispiel von „ich habe“ für das SchwäbischeSchwäbisch einmal diese fünf Möglichkeiten illustriert werden: (s. Abb. 6).2

      Wann wechseln die Süddeutschen nun eigentlich von Stufe zu Stufe oder innerhalb des Kontinuums auf der Skala vom bodenständigen Ortsdialekt zur Standardsprache? Um diese Frage für Baden-Württemberg zu beantworten, wurde in den Jahren 2010–2012 am Ludwig-Uhland-Institut der Universität Tübingen eine Umfrage durchgeführt, bei der über das ganze Bundesland verteilt Rathäuser mit der Bitte angeschrieben wurden, auf einer Skala von A bis G anzukreuzen, in welcher Situation man im jeweiligen Ort mehr Ortsdialekt (A) oder mehr „Hochdeutsch“ (G) spricht. 136 Ortschaften beteiligten sich. Wenn man die beiden Extreme A und B sowie F und G jeweils zusammenfasst, kommt man zu folgendem Ergebnis: Der Anwendungsbereich der bodenständigen Ortsmundart (Stufen A, B) ist in Baden-Württemberg zunächst einmal überall die Familie, wobei mit den Großeltern noch „stärker“ Dialekt gesprochen wird als mit den Geschwistern, und mit den Geschwistern wiederum noch „stärker“ Dialekt gesprochen wird als mit den eigenen Kindern. Des Weiteren wird der Ortsdialekt noch relativ häufig mit den Freunden, guten Bekannten und im Verein gesprochen. Die Stufen C und D, die man mit einer Art RegionalspracheRegionalsprache und regionaler UmgangsspracheUmgangssprache gleichsetzen kann, werden nach Angaben unserer Gewährspersonen in den Ortschaften Baden-Württembergs im Gespräch mit dem Briefträger, mit dem Metzger und Bäcker sowie auf dem Rathaus eingesetzt, insofern dieses noch im Ort ist. Die Stufen E, F und G, die zunehmend in Richtung Standard gehen, findet man bei uns in den Schulen, wobei man in der Grundschule noch etwas dialektaler spricht (Stufe E) als im Gymnasium (Stufe F). Die Stufe F ist dann auch die sprachliche Ebene, auf der man Fremden, Norddeutschen wie Ausländern, begegnet. Sie ist aber auch auf den Ämtern in der Stadt angebracht. Die letzte Stufe auf dem Weg zur HochspracheHochsprache (Ebene G) ist schließlich für einen Anruf bei einer Mitmachsendung im Radio reserviert.

      Abb. 6:

      Beispiel für Zwischenstufen im Schwäbischen.

      Die Ergebnisse der Umfrage machen deutlich, wie differenziert die sprachliche Situation in Baden-Württemberg ist, und wir können davon ausgehen, dass eine Umfrage zum Beispiel in Bayern zu ähnlichen Ergebnissen, vermutlich sogar mit noch stärkerer Dialektverwendung, kommen würde.

       Welche sprachliche Ebene wählt man in Baden-Württemberg im Gespräch …? (Angaben in %)

      Abb. 7:

      Verwendung von Dialekt und Standard im Alltag in Baden-Württemberg: Freizeit.

       Welche sprachliche Ebene wählt man in Baden-Württemberg im Gespräch …? (Angaben in %)

      Abb. 8:

      Verwendung von Dialekt und Standard im Alltag in Baden-Württemberg: Schule.

      3.4 Die Zukunft der Dialekte

      Die Entwicklung einer Sprache vorherzusagen, ist eigentlich unmöglich. Wie oft wurde schon der Untergang der Dialekte beklagt – und dennoch existieren sie weiterhin. Sogar

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