Dialekt und Standardsprache in der Deutschdidaktik. Hubert Klausmann

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Dialekt und Standardsprache in der Deutschdidaktik - Hubert Klausmann

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der Auflösung der Territorien noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein bei der Partnerwahl eine bedeutende Rolle spielte. In den Familien wurde streng danach geschaut, dass keiner Partner aus der „falschen“ Religion nach Hause bringt.

      Die Bedeutung der Siedlungsgrenzen und der Territorialgrenzen für die Auseinanderentwicklung und Grenzbildung der Dialekte erreichen die heutigen politischen Grenzen nicht. Die Aufteilung in Bundesländer und Landkreise ist zu jung, als dass sie sich auf große sprachliche Prozesse auswirken könnte. Man sieht dies deutlich allein schon an der Tatsache, dass sich das SchwäbischeSchwäbisch sowohl in einem anderen Bundesland, nämlich Bayern (Bayerisch-Schwaben), als auch in einem anderen Nationalstaat, nämlich Österreich (Gebiet um Reutte/Tirol) fortsetzt. Solche Grenzen spielen nur bei neueren Begriffen aus der Verwaltung eine Rolle. So kennt man nur in Bayern das Wort Schulaufgabe in der Bedeutung „Klassenarbeit“, und die Staatsgrenze zu Österreich wird dann Wortgrenze, wenn es um die Bezeichnung für den Bürgermeister geht, der dort weder Schultes noch Bürgermeister, sondern Vorsteher heißt.

      Über alle Jahrhunderte hinweg spielt die Verkehrsanbindung für die sprachliche Entwicklung ebenfalls eine entscheidende Rolle. In der heutigen Dialektlandschaft sieht man das zum Beispiel im Raum Heilbronn, wo nach Norden die Verkehrsströme den Neckar entlang ziehen. Das Gebiet nördlich von Heilbronn, das in lautlicher Hinsicht und damit traditionell zum fränkischenFränkisch Sprachraum gehört, kennt aber auch zahlreiche schwäbische Wörter, deren Verbreitung eindeutig mit dem Neckar als Verkehrsachse zusammenhängt. Ein schönes Beispiel hierfür ist das typisch schwäbische Wort beigen „Holzscheiter aufschichten“, das erst außerhalb eines Keils um den Neckar herum auf das fränkische aufsetzen stößt. Eine andere wichtige Verkehrsachse bildet das Rheintal. Dort können sprachliche Besonderheiten, die eigentlich typisch für das Fränkische sind, bis weit nach Süden vordringen.1

      Schließlich ist aber auch noch das Prestige einer Bevölkerungsgruppe und damit ihrer Sprachform für den SprachwandelSprachwandel ausschlaggebend. Wir sehen dies deutlich an einem Prozess, der sich gerade im oberschwäbischen Raum abspielt. Dort ersetzt die Bevölkerung heute jenseits der jahrhundertealten schwäbischenSchwäbisch Außengrenze die alten alemannischen Lautungen Huus und Ziit durch schwäbische Lautungen wie Hous und Zeit. Den Anfang machen hierbei die Städte, wo offenbar das Schwäbische ein höheres Prestige besitzt als das AlemannischeAlemannisch. Da die städtische Sprechweise dann ihrerseits gegenüber der ländlichen Sprachform höheres Prestige besitzt, wird sie auf dem Land übernommen. Auf diese Weise bewegt sich die alemannisch-schwäbische Grenze in Oberschwaben heute in Richtung Bodensee.

      Große Dialektgrenzen bilden sich dann, wenn gleich mehrere der oben genannten Faktoren zusammenkommen. Und genau dies ist bei den drei starken Außengrenzen des SchwäbischenSchwäbisch am Kniebis, im Raum Ellwangen und am unteren Lech der Fall. Während aber die Kniebisgrenze aufgrund der neuen politischen Zugehörigkeit des gesamten Ortes Kniebis zum Raum Freudenstadt und der damit verbundenen Verkehrsanbindung heute eine völlig neue Orientierung nach Osten erfährt, die dazu führt, dass die schwäbisch-alemannische Grenze dort nach Westen verschoben wird, haben die beiden anderen genannten Außengrenzen nichts an ihrer Stärke und Bedeutung verloren. Dies hängt zweifellos mit einem Faktor zusammen, den wir als letztes in diesem Kapitel über Dialektgrenzen erwähnen wollen: Es ist das Bewusstsein, anders zu sein. Am Beispiel Ellwangen soll dies kurz illustriert werden. Die etwa 25000 Einwohner zählende Stadt Ellwangen liegt gleich weit von den vier Großstädten Stuttgart, Nürnberg, Ulm und Würzburg entfernt. Dennoch bevorzugen die Einwohner bei der Wahl des Ausbildungsortes, bei der Berufswahl, bei der Wahl der Einkaufsstadt eindeutig Stuttgart, gefolgt von Ulm. Beide Städte liegen im schwäbischen Sprachraum. Den Weg nach Würzburg oder Nürnberg findet kaum jemand. Auch die benachbarte Stadt Schwäbisch Hall, die ebenfalls im fränkischenFränkisch Sprachraum liegt und im Volksmund nach wie vor einfach nur Hall genannt wird, wird kaum beachtet. Für die Ellwanger und ihre Nachbarorte besteht offenbar nördlich und westlich der Stadt eine klare „Bewusstseinsgrenze“, die man nicht überschreitet. Und dass diese Bewusstseinsgrenze auch heute, in einer Zeit der großen Mobilität, immer noch lebendig ist, ist schon erstaunlich und zeigt aber auch, wie stark dieses Bewusstsein, zu welchem Raum man sich hingezogen fühlt, ist.

      3.2 Die Entstehung der Standardsprache

      Die Frage, wo und wie die deutsche Schriftsprache entstanden ist, hat die deutsche Sprachwissenschaft von Anfang an beschäftigt. Das Grundlagenwerk für diese ganze Thematik ist nach wie vor – und hier schließen wir uns ElspaßElspaß, Stephan 2005 an1 – Werner BeschsBesch, Werner „Sprachlandschaften und Sprachausgleich im 15. Jahrhundert“2 Lange Zeit waren drei Thesen im Umlauf, die Besch in seinem Werk widerlegte.

      Die These von der Kontinuität der Schriftsprache seit althochdeutscher Zeit (K. MüllenhoffMüllenhoff, Karl). Müllenhoff nimmt eine kontinuierliche Entwicklung vom 9. bis zum 16. Jh. an, gebunden hauptsächlich an die Machtzentren. Für das 16. Jahrhundert sieht er die habsburgische und die sächsische Kanzlei als maßgebend. Dem Müllenhoffschen Erklärungsmodell stehen für BeschBesch, Werner die sich aus den Schriften ergebenden Raumstrukturen entgegen.

      Die These von Prag als dem Ursprungsort der deutschen Schriftsprache (K. BurdachBurdach, Konrad). Für Burdach erweist sich das humanistische Kanzleideutsch in Prag als eine Sprache der Bildung und des höheren Lebens. Unsere Schriftsprache sei also eine Schöpfung der Gebildeten am Hofe und in der Kanzlei Karls IV. in Prag. – BeschBesch, Werner ist der Ansicht, dass Burdach durchaus richtig erkannt hat, dass eine Kultursprache nicht ohne Weiteres aus einer Mundart hervorgehen könne. Richtig sei auch, dass sich in der Kanzlei Karls IV. ein beachtlicher schreibsprachlicher Ausgleich vollzogen habe, der schon in einer Reihe von Fällen auf die Schriftsprache hintendiere. Insgesamt gesehen ist aber für Besch die Schriftsprache das Produkt eines Ausgleichs mehrerer Regionen, nicht das Werk einiger gelehrter Humanisten, geschaffen in der Kanzleistube.3

      Die These von der ostmitteldeutscheOstmitteldeutschn Ausgleichsmundart (Th. Frings). Die Basis seiner Argumentation bildet die Tatsache, dass der ostmitteldeutsche Raum Obersachsen–Schlesien zwischen dem 11. und dem 13. Jh. kolonisiert wurde. Dort trafen sich Mundartsprecher aus dem Norden, dem Westen und dem Süden, was Frings zu der Annahme führte, dass es also zu einer Ausgleichssprache aus drei großen Sprachgebieten kommen musste. Mit dieser gesprochenen Ausgleichssprache der Siedler sei die Grundlage der deutschen Schriftsprache bereits geschaffen, lange vor den Humanisten in Prag und lange vor LutherLuther, Martin. Ab einer bestimmten Stufe hätten dann die Schreibtraditionen des Südens und Westens noch ihren Einfluss ausgeübt. – Zu Frings’ Ansatz weist BeschBesch, Werner lediglich darauf hin, dass eine dialektgeografische Rückführung von Mundartgegebenheiten des ausgehenden 19. Jahrhunderts auf die Verhältnisse früherer Jahrhunderte methodisch nicht zulässig ist.4

      Wenn man die Entstehung der deutschen Schriftsprache und damit auch der Standardsprache verstehen möchte, so muss man nach BeschBesch, Werner die drei Bezeichnungen Schreibsprache, Schriftsprache und Standardsprache und damit auch drei Phasen in der Entwicklung zur Standardsprache unterscheiden:

      Die Phase der Schreibsprache: Diese ist areal gebunden und kommt nicht über eine mittlere Reichweite hinaus. Für sie galt die sogenannte Regionalmaxime: Schreibe so, dass du in deiner Region verstanden wirst. Für BeschBesch, Werner muss man „in den Schreibdialekten dieser Art die eigentlichen Träger unserer deutschen Schriftlichkeit von den Anfängen bis in das 15. Jh. sehen.“5

      Die Phase der Schriftsprache: Sie hat für BeschBesch, Werner überregionalen Charakter, d. h. sie hat eine über den auslaufenden Schreibsprachen fixierte Norm. Das Stadium „Schriftsprache“ ordnet er dem Zeitraum zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert zu. Die deutsche Schriftsprache hat sich also im Vergleich mit den Nachbarländern relativ spät herausgebildet. Dies liegt nach Besch an der plurizentrischen Struktur des deutschen Sprachgebiets, womit das Fehlen eines über die Jahrhunderte hin dominierenden Zentrums politischer, wirtschaftlicher und kultureller Art gemeint ist.

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