Auf dem Schachbrett der Sowjetunion, die DDR. Thilo Koch

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Auf dem Schachbrett der Sowjetunion, die DDR - Thilo Koch страница 2

Auf dem Schachbrett der Sowjetunion, die DDR - Thilo Koch

Скачать книгу

sowie die Unantastbarkeit der Grenzen unserer Staaten zu prüfen, der muß im voraus wissen: er wird sofort und vernichtend zurückgeschlagen unter Einsatz der gesamten Macht . . . ich wiederhole, der gesamten Macht der Streitkräfte der Sowjetunion und der ganzen sozialistischen Gemeinschaft.«

      Walter Ulbricht ergänzte: »Wenn wir zurückblicken auf unserem Weg, von der Beseitigung der Trümmer bis zum sozialistischen Aufbau, so sind wir uns bewußt, daß unsere großen Erfolge nicht möglich gewesen wären ohne die Befreiertat des Sowjetvolkes.«

      Welche politischen Absichten stehen hinter diesen Worten? Sind es überhaupt klare, vorausschauende Absichten, die das ganze komplizierte Schachspiel der weltpolitischen Verflechtung im Auge haben? Handelt Moskau nach einem sorgfältig programmierten Konzept, und wird dieses Konzept Zug um Zug verwirklicht – ähnlich exakt und berechenbar wie die Entsendung des ersten Sputnik und des ersten Menschen – Juri Gagarin – in den Weltraum? Oder machen auch die Russen nur eine opportunistische Politik, richten sie ihre Handlungen und Schachzüge nach dem Stand des Spiels, wie es sich aus den tausend Unvorhersehbarkeiten der lebendigen Geschichte ergibt? Ferner: sind die Russen immer »die Russen«, d. h. geht die politische Willensbildung in einem kommunistisch-totalitären System ohne innere Widersprüche vor sich?

      Natürlich nicht. Der Sturz Chruschtschows 1964 ist ein Beispiel für die Spannungen in den obersten Führungskadern. Auch Russen sind Menschen. Und Menschen irren. Menschen handeln unlogisch. Menschen müssen sich arrangieren – innerhalb des eigenen Herrschaftsapparates und nach außen. Geben wir also getrost erst einmal die Vorstellung auf, Lenin und Stalin und ihre Nachfolger hätten immer alles richtiger vorausgeplant und verwirklicht als Churchill, Roosevelt, de Gaulle, Kennedy.

      Gewiß, die Sowjetunion ist zur Weltmacht aufgestiegen, zur zweitstärksten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Das ist eine Leistung. Aber dieser Aufstieg war nicht geradlinig, verlief vielmehr dialektisch, um es marxistisch auszudrücken, d. h. im dramatischen Prozeß zwischen Pro und Kontra, These und Antithese und jenem Dritten, das daraus resultiert, und immer so fort . . . Lassen wir gleich auch die andere Stereotype hinter uns, als handelten die Führer der Sowjetunion in erster Linie als Kommunisten und erst in zweiter Linie als Russen. Es ist umgekehrt.

      Spätestens seit der Invasion der ČSSR ist dieser Punkt klar. Hierzu äußert sich Kamil Winter, der bis zur Okkupation der Tschechoslowakei Chefredakteur der Fernsehtagesschau in Prag war; heute lebt er in England, wohin er schon einmal emigrieren mußte: 1939, damals auf der Flucht vor der deutschen Okkupationsarmee:

      »Die DDR, so glaube ich, erfüllt gleich mehrere Funktionen zu gleicher Zeit. Wenn ich die Rolle der DDR oder besser gesagt des Ulbricht-Regimes vom Gesichtspunkt der Tschechoslowakei aus betrachte, aufgrund unserer eigenen langjährigen Erfahrungen, so würde ich sagen: das Ulbricht-Regime fühlt und handelt als Gendarm der Sowjetunion im Ostblock – natürlich nicht nur in deren, sondern auch in seinem eigenen Interesse. Lassen Sie mich daran erinnern, daß es das DDR-Regime war, das als allererstes gegen die ersten Schwalben des ›Prager Frühlings‹ zu Felde zog, lange vor 1968, zur Zeit, als der Versuch unternommen wurde bei uns, die Rolle des Prager Dichters Franz Kafka neu, positiv einzuschätzen. Damals wurde eine wüste Propagandakampagne vom Stapel gelassen von der SED-Führung, und besonders hat sich der Chefideologe Professor Hager hervorgetan. Die Methode, die hierbei angewandt wurde, war derartig, daß sie selbst den damaligen tschechischen Staatspräsidenten Novotný in Harnisch gebracht hat.

      Sehr beliebt waren auch die unablässigen Warnungen, die das DDR-Regime Bruderparteien und Regierungen anderer Ostblockstaaten erteilte, wann immer es vermutete, eine Abweichung von der Linie des reinen Marxismus-Leninismus feststellen zu können. Und besonders tat sich das Regime in Denunzierungen hervor, wenn es um Ansätze einer selbständigen nationalen Außenpolitik dieser anderen Länder ging, insbesondere in ihren zweiseitigen Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland. Ich würde in dieser Tätigkeit, für die ich nur einige Beispiele angeführt habe, auch den bedeutendsten Beitrag der DDR speziell zu der Initiative sehen, die der Vorbereitung des bewaffneten Angriffes gegen die Tschechoslowakei im August 1968 gedient hat.

      Selbstverständlich liegen dieser Tätigkeit des SED-Regimes und der DDR nicht nur ihre subjektiven Wünsche und Interessen zugrunde, sondern sie wird auch mitbestimmt von den objektiven Bedingungen der Existenz des Regimes im Rahmen des gesamten Ostblocks. Das ändert allerdings nichts an der Tatsache, daß die DDR-Führung heute der verläßlichste Wachhund des Sowjetgefängnisses ist, in dem Moskau die Nationen Mittel- und Osteuropas abgeriegelt hat.«

      Ulbricht wäre also jetzt gewissermaßen der deutsche Schäferhund Moskaus, der die Satellitenherde der Sowjetunion zusammenzuhalten hätte. Das ist eine These, die der Auffassung zu widersprechen scheint, die DDR sei zu allererst der westliche Brückenkopf der Sowjetunion, ihre Lanzenspitze, mit der sie auf das Herz Mitteleuropas ziele.

      Welche Bedeutung haben die 300 000 Mann Rote Armee – 20 Divisionen –, die zwischen Elbe und Oder stehen, und dazu die Nationale Volksarmee? Hat der deutsche »Läufer« oder »Bauer« auf dem Schachbrett der Sowjetunion einen offensiven oder einen defensiven Auftrag?

      Diese Frage beantwortet General Graf Kielmansegg. Er war bis 1968 als NATO-Oberbefehlshaber der verbündeten Streitkräfte für die militärische Verteidigung des Abschnitts Europa-Mitte verantwortlich:

      »In das Bild vom Schachbrett der Sowjetunion ist die DDR mit ihrer Volksarmee wohl am richtigsten als Bauer zu ordnen, das heißt als Damen-Bauer, denn der Stein deckt zunächst die wichtigste Figur auf dem Brett, dann öffnet er ihr den Weg und, wenn möglich, begleitet er sie. Die Position dieses Bauern ist wichtig, aber sie kommt erst ganz heraus, wenn man die Position der DDR mit derjenigen der Tschechoslowakei zusammen sieht, denn beide zusammen ergeben ein sehr günstiges Vorfeld mit einer doppelten Eigenschaft: mit der politischen Eigenschaft des Riegels und der militärischen Eigenschaft der Plattform für einen möglichen Angriff.

      Daraus muß sich auch der Auftrag für die sechs Divisionen der Volksarmee und die 18 bis 20 Flugzeugstaffeln ableiten, wobei es auf die Einzelheiten nicht so sehr ankommt, die wir ja auch nicht wissen. Worauf es aber ankommt, ist, daß man mit Sicherheit annehmen kann, daß der Auftrag der Volksarmee auf der gleichen Linie liegen wird wie der der sowjetischen Streitkräfte.

      Die Gesamtstärke der Streitkräfte des Warschauer Paktes auf dem Boden der DDR und der Tschechoslowakei liegt nur geringfügig unter derjenigen, die für einen Angriff notwendig wäre, d. h. es bedarf nur einer geringen und rasch heranführbaren Verstärkung, um eine Aggression beginnen zu können. Dann nämlich, wenn die Sowjetunion sich einmal entschließen sollte, politische Ziele mit Waffengewalt zu erreichen, und insbesondere dann, wenn der Westen durch zunehmende Schwäche sie in diese Versuchung führen würde. Ohne die DDR-Plattform wäre das alles sehr viel schwieriger. Die strategische Bedeutung der DDR liegt also darin, daß sie der Sowjetunion die Aufrechterhaltung einer latenten Drohung ermöglicht, die jederzeit in militärische Aktion umgesetzt werden kann. Der DDR-Bauer ist also besonders für die Eröffnung wichtig. Aber er kann auch eine entscheidende Rolle im Endspiel haben, wenn die Partie nach den Vorstellungen der Sowjets verläuft, und diese Rolle würde dann nicht nur militärisch sein, sondern vor allem auch politisch.«

      Ihr defensives Interesse an einer militärischen Riegelstellung zwischen der Ostsee und den deutschen Mittelgebirgen können die Russen aus der Geschichte herleiten. Immer wieder wurden Angriffe gegen Rußland aus der norddeutschen Tiefebene heraus vorgetragen. Nicht nur 1941 und 1914 von den Deutschen, sondern schon 1812 von Napoleon, übrigens mit vielen zwangsrekrutierten deutschen Soldaten. Auch damals gingen ungezählte deutsche Männer in den russischen Steppen und im russischen Winter elend zugrunde.

      Das Sicherheitsbedürfnis der Russen, ihre Furcht vor Überfällen, kann historisch gerechtfertigt werden. Entschuldigt dieses Sicherheitsbedürfnis aber den aggressiven Imperialismus der Sowjetunion? Entschuldigt es die Gewalt, mit der Moskau seine deutsche

Скачать книгу