Das einfache Leben. Ernst Wiechert
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Читать онлайн книгу Das einfache Leben - Ernst Wiechert страница 11
Thomas war aufgesprungen und hatte die Hand nach dem vor ihm Sitzenden ausgestreckt, doch ließ er sie beschämt wieder sinken, als er von der Seite das Gesicht sah, das einem fernen Vorgang zugewendet schien, einem Vorgang, der weit hinter der Erscheinung des Vogels seine Umrisse in den Abendhimmel zu zeichnen schien.
»Sahen Sie … das Feuer?« fragte die leise Stimme.
»Ja.«
»Aus dem vorderen Turm?«
»Ja, alle sahen es.«
»Eine hohe Säule?«
»Höher als die Masten … aber niemand hat Schmerz gelitten dort, niemand. Es muss gewesen sein wie unter einem Blitzschlag, vorbei, ehe man ahnt, dass es trifft.«
»So sagen sie, und so schrieben sie auch, aber keiner ist dabeigewesen, den es nur versengt hätte, nur das Haar und die Augenbrauen, und er hätte es dann erzählen können …«
Nun legte Thomas doch leise die Hand auf die gebeugte Schulter vor ihm. »Man soll das nicht ausdenken«, sagte er. »Wie sollten wir leben, tapfer und ordentlich, wenn wir das täten?«
»Ja, ja … auch ich sage so, zu ihr, die darüber wunderlich geworden ist … nur … er fürchtete sich so vor dem Feuer, verstehen Sie? Da war so eine schreckliche Geschichte in seiner Kindheit … wir hatten den Backofen geheizt, zum Brotbacken. Die Glut war schon herausgenommen und dann auch die Brote. Der Backofen stand allein im Garten, abseits, wie auf allen Förstereien. Da kam er mit den Hunden hinter der Katze her, so im Spiel, und sie sprang hinein. Er lachte und warf die Türe zu, er wusste nicht, dass es glühend heiß war. Und im selben Augenblick schoss ich am Gartenzaun einen Hühnerhabicht. Da vergaß er alles, die Katze, den Ofen, die Hunde. Er lebte immer im Augenblick, ganz und gar … Erst nach zwei Tagen fiel es ihm ein. Wir hörten ihn schreien, so schrecklich, dass ich es heute noch höre. Da hatte er sie gefunden … und nun er selbst, ebenso … das Wasser ist kühl und tief, und ich denke, dass man dort schlafen kann, auf dem Grunde, wo die fremden Pflanzen wehen … aber so, verkohlt und verbrannt … Gottes Ebenbild zerstört und geschändet …«
Er hob nicht die Hand vor die Augen, er sah immer noch geradeaus, dorthin, wo der Abendstern mit sanftem Strahlen über dem Walde stand.
»Nein«, sagte Thomas mit Entschiedenheit, »dann hat man Ihnen Falsches gesagt und geschrieben. Wir haben es in den Hafen gebracht, das zerschossene Schiff, und von meinen Kameraden waren einige dabei, als sie die Türme öffneten … nichts war geschändet, sie waren … sie zerfielen in Staub und Asche, als man sie heraustrug … ich sage Ihnen die Wahrheit, und Sie müssen es mir glauben!«
»Staub und Asche«, flüsterte der alte Mann, »das ist besser, viel besser … das ist, wie Gott es vorgeschrieben hat in der Bibel … Staub und Asche, das ist gut, und ich brauche nicht mehr zu hadern …«
Er blieb noch sitzen, bis der Waldkauz lautlos über ihnen kreiste. Dann gingen sie den dunklen Weg zurück. »Gruber hieß er«, sagte er, »Valentin Gruber … aber Sie haben ihn nicht gekannt? Nein, die Schiffe waren ja auch so groß … keiner von uns weiß, weshalb er so aufs Meer wollte, niemals gab es das in unserer Familie … Der See hat es ihm angetan, dort am Hause, nicht der Wald, nur der See. Sie werden noch merken, dass er einen Zauber über den Menschen wirft … Valentin hieß er, weil ich katholisch bin, und in meinem Glauben wurde er getauft und aufgezogen. Die Frau hat immer gesagt, wir hätten einen falschen Gott, und davon sei es alles gekommen … sagen Sie ihr nichts und wundern Sie sich auch nicht. Wer leidet, ist in allem entschuldigt, nicht?«
»Ja«, sagte Thomas leise.
Der Tisch war schon gedeckt, aber die Frau stand am Fenster und sah hinaus. Sie wendete sich erst um, als Gruber sagte, ein Gast sei da. »Willkommen!« sagte sie und streckte ihre Hand aus. Die Hand war kalt und fast wie Holz, und ihre Stimme kam wie aus einem Automaten heraus. Dann ließ sie die Hand wieder fallen und ging an Thomas vorbei, um ein drittes Gedeck zu holen. Sie sah ihn nicht. Ihr Gesicht war nicht vergrämt oder versteint, sondern erloschen. Es war erblindet und ertaubt, ausgehöhlt vom Schmerz, und nur die Hülle war noch zurückgeblieben, brüchig und tot wie die Haut einer Larve.
Als sie an den Tisch traten und die Frau die Hände zum Gebet zusammenlegte, machte Gruber eine Bewegung, als wollte er sie hindern, aber dann sah er nur vor sich nieder. Die Frau blickte auf den Brotkorb in der Mitte des Tisches, und ihre Lippen bewegten sich, wie von einer verborgenen Maschine getrieben. Sie betete:
»Lieber Gott, sei unser Gast
und sieh, was du angerichtet hast.
Sollen die Toten dir gut bekommen,
alle Heiden und alle Frommen,
und was du ertränkt hast und verbrannt,
nimm es fröhlich in deine Hand!
Amen.«
Dann setzte sie sich. Ihr schwarzes, zerschlissenes Seidenkleid knisterte bei jeder Bewegung, und wenn sie einen Bissen zu sich nahm, sah es aus, als fütterten fremde, nicht ihr gehörige Hände ein starres, totes Götzenbild. Sie sprach kein Wort und sah auch Thomas nicht an. Sie wusste sicherlich nicht, dass ein Fremder am Tisch saß. Sie hatte es längst vergessen. Vielleicht sah sie ein Kind, das mit dem Ruder durch den Wald lief, zum Seeufer hinunter, oder sie sah die Feuersäule aus den Geschütztürmen brechen, oder sie sah die Gestalt eines Gottes, der mit blutigen Händen seine Toten aß. Sie war hinausgetreten aus allem Menschlichen, und Thomas schien es, als gehe ein kühler Hauch von ihrem Kleide aus, wie von einem Grabgewölbe. Es fröstelte ihn, und er schwieg.
Nach dem Essen räumte sie den Tisch ab und kam nicht wieder.
»So ist es nun«, sagte Gruber, als sie ihre Pfeifen angezündet hatten. »Sieben Jahre, mein lieber Herr … sieben Jahre … andere würden trinken oder fluchen, aber ich kann das nicht. Er war doch auch mein Sohn, nicht wahr? Und so bin ich doch auch schuldig, nicht wahr? Sehen Sie, manchmal im Walde, wenn ich so vor mich hingehe, dann spreche ich für mich, laut und lange, um zu sehen, ob ich es noch kann, und ich lächle auch, denn das will man doch nicht verlernen. Ich spreche mit ihm, wie früher, als wir zusammen