Das einfache Leben. Ernst Wiechert

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Das einfache Leben - Ernst Wiechert Klassiker bei Null Papier

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der im Su­chen sich hin und her wen­den­de Kopf mit dem lan­gen Schna­bel ge­ra­de über ih­nen, der sanf­te, wie tief aus der Keh­le drin­gen­de Ton … und nun al­les vor­über war, schon hin­ter ih­nen, im­mer lei­ser wur­de und ver­schwand.

      Tho­mas war auf­ge­sprun­gen und hat­te die Hand nach dem vor ihm Sit­zen­den aus­ge­streckt, doch ließ er sie be­schämt wie­der sin­ken, als er von der Sei­te das Ge­sicht sah, das ei­nem fer­nen Vor­gang zu­ge­wen­det schi­en, ei­nem Vor­gang, der weit hin­ter der Er­schei­nung des Vo­gels sei­ne Um­ris­se in den Abend­him­mel zu zeich­nen schi­en.

      »Sa­hen Sie … das Feu­er?« frag­te die lei­se Stim­me.

      »Ja.«

      »Aus dem vor­de­ren Turm?«

      »Ja, alle sa­hen es.«

      »Eine hohe Säu­le?«

      »Hö­her als die Mas­ten … aber nie­mand hat Schmerz ge­lit­ten dort, nie­mand. Es muss ge­we­sen sein wie un­ter ei­nem Blitz­schlag, vor­bei, ehe man ahnt, dass es trifft.«

      »So sa­gen sie, und so schrie­ben sie auch, aber kei­ner ist da­bei­ge­we­sen, den es nur ver­sengt hät­te, nur das Haar und die Au­gen­brau­en, und er hät­te es dann er­zäh­len kön­nen …«

      Nun leg­te Tho­mas doch lei­se die Hand auf die ge­beug­te Schul­ter vor ihm. »Man soll das nicht aus­den­ken«, sag­te er. »Wie soll­ten wir le­ben, tap­fer und or­dent­lich, wenn wir das tä­ten?«

      »Ja, ja … auch ich sage so, zu ihr, die dar­über wun­der­lich ge­wor­den ist … nur … er fürch­te­te sich so vor dem Feu­er, ver­ste­hen Sie? Da war so eine schreck­li­che Ge­schich­te in sei­ner Kind­heit … wir hat­ten den Back­ofen ge­heizt, zum Brot­ba­cken. Die Glut war schon her­aus­ge­nom­men und dann auch die Bro­te. Der Back­ofen stand al­lein im Gar­ten, ab­seits, wie auf al­len Förs­te­rei­en. Da kam er mit den Hun­den hin­ter der Kat­ze her, so im Spiel, und sie sprang hin­ein. Er lach­te und warf die Türe zu, er wuss­te nicht, dass es glü­hend heiß war. Und im sel­ben Au­gen­blick schoss ich am Gar­ten­zaun einen Hüh­ner­ha­bicht. Da ver­gaß er al­les, die Kat­ze, den Ofen, die Hun­de. Er leb­te im­mer im Au­gen­blick, ganz und gar … Erst nach zwei Ta­gen fiel es ihm ein. Wir hör­ten ihn schrei­en, so schreck­lich, dass ich es heu­te noch höre. Da hat­te er sie ge­fun­den … und nun er selbst, eben­so … das Was­ser ist kühl und tief, und ich den­ke, dass man dort schla­fen kann, auf dem Grun­de, wo die frem­den Pflan­zen we­hen … aber so, ver­kohlt und ver­brannt … Got­tes Eben­bild zer­stört und ge­schän­det …«

      Er hob nicht die Hand vor die Au­gen, er sah im­mer noch ge­ra­de­aus, dort­hin, wo der Abends­tern mit sanf­tem Strah­len über dem Wal­de stand.

      »Nein«, sag­te Tho­mas mit Ent­schie­den­heit, »dann hat man Ih­nen Fal­sches ge­sagt und ge­schrie­ben. Wir ha­ben es in den Ha­fen ge­bracht, das zer­schos­se­ne Schiff, und von mei­nen Ka­me­ra­den wa­ren ei­ni­ge da­bei, als sie die Tür­me öff­ne­ten … nichts war ge­schän­det, sie wa­ren … sie zer­fie­len in Staub und Asche, als man sie her­austrug … ich sage Ih­nen die Wahr­heit, und Sie müs­sen es mir glau­ben!«

      »Staub und Asche«, flüs­ter­te der alte Mann, »das ist bes­ser, viel bes­ser … das ist, wie Gott es vor­ge­schrie­ben hat in der Bi­bel … Staub und Asche, das ist gut, und ich brau­che nicht mehr zu ha­dern …«

      Er blieb noch sit­zen, bis der Wald­kauz laut­los über ih­nen kreis­te. Dann gin­gen sie den dunklen Weg zu­rück. »Gru­ber hieß er«, sag­te er, »Va­len­tin Gru­ber … aber Sie ha­ben ihn nicht ge­kannt? Nein, die Schif­fe wa­ren ja auch so groß … kei­ner von uns weiß, wes­halb er so aufs Meer woll­te, nie­mals gab es das in un­se­rer Fa­mi­lie … Der See hat es ihm an­ge­tan, dort am Hau­se, nicht der Wald, nur der See. Sie wer­den noch mer­ken, dass er einen Zau­ber über den Men­schen wirft … Va­len­tin hieß er, weil ich ka­tho­lisch bin, und in mei­nem Glau­ben wur­de er ge­tauft und auf­ge­zo­gen. Die Frau hat im­mer ge­sagt, wir hät­ten einen falschen Gott, und da­von sei es al­les ge­kom­men … sa­gen Sie ihr nichts und wun­dern Sie sich auch nicht. Wer lei­det, ist in al­lem ent­schul­digt, nicht?«

      »Ja«, sag­te Tho­mas lei­se.

      Der Tisch war schon ge­deckt, aber die Frau stand am Fens­ter und sah hin­aus. Sie wen­de­te sich erst um, als Gru­ber sag­te, ein Gast sei da. »Will­kom­men!« sag­te sie und streck­te ihre Hand aus. Die Hand war kalt und fast wie Holz, und ihre Stim­me kam wie aus ei­nem Au­to­ma­ten her­aus. Dann ließ sie die Hand wie­der fal­len und ging an Tho­mas vor­bei, um ein drit­tes Ge­deck zu ho­len. Sie sah ihn nicht. Ihr Ge­sicht war nicht ver­grämt oder ver­steint, son­dern er­lo­schen. Es war er­blin­det und er­taubt, aus­ge­höhlt vom Schmerz, und nur die Hül­le war noch zu­rück­ge­blie­ben, brü­chig und tot wie die Haut ei­ner Lar­ve.

      Als sie an den Tisch tra­ten und die Frau die Hän­de zum Ge­bet zu­sam­men­leg­te, mach­te Gru­ber eine Be­we­gung, als woll­te er sie hin­dern, aber dann sah er nur vor sich nie­der. Die Frau blick­te auf den Brot­korb in der Mit­te des Ti­sches, und ihre Lip­pen be­weg­ten sich, wie von ei­ner ver­bor­ge­nen Ma­schi­ne ge­trie­ben. Sie be­te­te:

       »Lie­ber Gott, sei un­ser Gast

       und sieh, was du an­ge­rich­tet hast.

       Sol­len die To­ten dir gut be­kom­men,

       alle Hei­den und alle From­men,

       und was du er­tränkt hast und ver­brannt,

       nimm es fröh­lich in dei­ne Hand!

       Amen.«

      Dann setz­te sie sich. Ihr schwar­zes, zer­schlis­se­nes Sei­den­kleid knis­ter­te bei je­der Be­we­gung, und wenn sie einen Bis­sen zu sich nahm, sah es aus, als füt­ter­ten frem­de, nicht ihr ge­hö­ri­ge Hän­de ein star­res, to­tes Göt­zen­bild. Sie sprach kein Wort und sah auch Tho­mas nicht an. Sie wuss­te si­cher­lich nicht, dass ein Frem­der am Tisch saß. Sie hat­te es längst ver­ges­sen. Vi­el­leicht sah sie ein Kind, das mit dem Ru­der durch den Wald lief, zum Seeu­fer hin­un­ter, oder sie sah die Feu­er­säu­le aus den Ge­schütz­tür­men bre­chen, oder sie sah die Ge­stalt ei­nes Got­tes, der mit blu­ti­gen Hän­den sei­ne To­ten aß. Sie war hin­aus­ge­tre­ten aus al­lem Men­sch­li­chen, und Tho­mas schi­en es, als gehe ein küh­ler Hauch von ih­rem Klei­de aus, wie von ei­nem Gr­ab­ge­wöl­be. Es frös­tel­te ihn, und er schwieg.

      Nach dem Es­sen räum­te sie den Tisch ab und kam nicht wie­der.

      »So ist es nun«, sag­te Gru­ber, als sie ihre Pfei­fen an­ge­zün­det hat­ten. »Sie­ben Jah­re, mein lie­ber Herr … sie­ben Jah­re … an­de­re wür­den trin­ken oder flu­chen, aber ich kann das nicht. Er war doch auch mein Sohn, nicht wahr? Und so bin ich doch auch schul­dig, nicht wahr? Se­hen Sie, manch­mal im Wal­de, wenn ich so vor mich hin­ge­he, dann spre­che ich für mich, laut und lan­ge, um zu se­hen, ob ich es noch kann, und ich lächle auch, denn das will man doch nicht ver­ler­nen. Ich spre­che mit ihm, wie frü­her, als wir zu­sam­men

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