Das einfache Leben. Ernst Wiechert
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»Ach, Thomas«, sagte sie und lächelte über die Schulter zurück, »was bist du doch für ein unvorstellbarer Narr …«
Er schloss die Tür, aber der Raum war nun nicht mehr derselbe. Eine Straßenlampe warf ihr unruhiges Licht hinein, und der Schatten des Globus lag als ein schwarzer Kreis auf den Bücherwänden. »So ist es«, murmelte er, »eine dunkle Erde, aber sie beleuchten sie mit ihren Eitelkeiten … wer eine Schlacht verloren hat, sollte schweigsam werden, und wir alle haben mehr verloren als eine Schlacht.«
Er lauschte auf das Klirren von Gläsern und Bestecken in einem fernen Raum. Dann trat er vorsichtig in den Flur, nahm Mantel und Hut und öffnete leise die Tür zum Kinderzimmer. Die Schwester saß auf dem Bettrand und versuchte, ein kleines Holzschiff unter der Decke hervorzuziehen. Aber die kleinen Hände des Jungen hielten es am anderen Ende fest.
Beide Gesichter wendeten sich ihm zu, das errötende der Schwester und das zornige des Kindes. Er blieb stehen und betrachtete es schweigend. Ja, es war sein Gesicht. Noch einmal wiederholt aus einer Unsumme von Möglichkeiten. Leise abgewandelt, fester in der Stirn, härter in den Lippen, aber doch wiederholt. Sein Gesicht und nicht das andere. Die Zukunft, das einzig aus dem Kriege Gerettete.
»Was ist, Joachim?« fragte er, noch immer ernst.
Die Schwester öffnete die Lippen, aber schon hatte eine kleine, braune, zerschrammte Hand sich über sie gelegt. »Schwester Beate sagt«, rief die helle Stimme, »dass man mit einem Kriegsschiff nicht schlafen geht, und ich habe gesagt, dass der Sohn eines Kapitäns mit zwanzig Kriegsschiffen schlafen gehen kann. Sag ihr, dass das recht ist, Vater!«
Thomas trat ans Bett und griff nach dem plumpen Spielzeug. Die feindlichen Hände ließen gehorsam los, und er hob es vor die Augen wie vorher das alte Buch. »Der Sohn eines Kapitäns kann in einem Kriegsschiff schlafen, Joachim, oder auch unter einem Kriegsschiff, aber mit einem Kriegsschiff schlafen, glaube ich, nur kleine Mädchen, die es für eine Puppe halten. Ein Junge stellt sein Schiff auf den Schrank, dort, wo die Morgensonne es trifft, und wenn er aufwacht, dann steht es da und ruft ihn zu seinem Dienst, nicht wahr?«
Er sah, wie die Haut über der jungen Stirn sich faltete in der Anstrengung, jedes Wort zu verstehen, und er wendete sich mit dem kleinen Schiff in der Hand zum Spielzeugschrank, um seine Bewegung zu verbergen. Man hatte im Kriege selten Kinder gesehen.
»Du bist der klügste Mann auf dieser Erde, Vater«, sagte Joachim tief aufatmend, mit zweifelloser Sicherheit.
»Nicht ganz, Joachim, aber wenigstens nicht der dümmste … und jetzt wird geschlafen, nicht wahr?«
»Allright, Vater. Luken dicht und gepennt … sagt man so?«
»Ja, so sagt man.«
»Und wohin gehst du jetzt, Vater? Bleibst du nicht, wenn der Admiral kommt?«
»Nein, ich habe viele Admirale in meinem Leben gesehen. Ich muss jetzt etwas suchen gehen.«
»Was willst du suchen?«
»Das wirst du später sehen. Erst wenn man gefunden hat, soll man sagen, was man gesucht hat. Gebetet?«
»Ja, Herr Kapitän«, sagte die Schwester und zog die Decke zurecht.
Seine Gedanken gingen schon wieder fort. »Später, Schwester«, sagte er, »können Sie den Psalm mit ihm beten, in dem der Vers steht: ›Wir bringen unsere Jahre zu wie ein Geschwätz.‹ Das ist ein gutes Gebet … ich habe es erst heute gefunden …«
Ihre Augen, die ihn ansahen, füllten sich langsam mit Tränen, aber er stand schon an der Tür und winkte mit der Hand. »Wissen Sie, dass es eine Grabschrift auf Ihren Namen gibt, Schwester Beate?« fragte er. »Hören Sie zu:
›Hier ruhet, die Beate heißen sollte,
und lieber sein als heißen wollte.‹
Ja, von Lessing sogar. Ich habe es neulich gefunden … ›und lieber sein als heißen wollte …‹ Nun gute Nacht und schlaft wohl!«
Er lächelte sein zerstreutes Lächeln und schloss leise die Tür hinter sich.
Draußen blieb er eine Weile unter den Kiefern des Vorgartens stehen und sah zu den ersten Sternen auf. Immer noch war er auf dem Meer und suchte die leitenden Bilder über dem Horizont. Ein Unglück, dass sie schon zu Anfang des Krieges in diese Stadt gezogen war, aber der Hafen war ihr verhasst gewesen, von Anfang an. Sie hatte das Meer niemals geliebt, die großen Winde, das streng in den Rahmen des Dienstes gespannte Leben. Sie hatte seine Uniform geliebt und ihren Traum, dass er in jungen Jahren Flottenchef werden würde.
Er ging nun schon die Straße zur Untergrundbahn entlang. Nein, so war es doch wohl nicht gerecht … Liebe war gewesen, aber ohne Prüfung und Leid, das war es. Sie alle hatten das Leben ja genommen wie Früchte von einem guten Baum. Der liebe Gott hatte ihn in ihren Garten gestellt, und sie pflückten und aßen. Wehe dem, der zu sagen wagte, dass sie es nicht verdienten! Und doch verdienten sie es nicht, keiner von ihnen. Der Ausgang hatte es bewiesen und auch das, wie sie es nun hinnahmen. Ohne Würde, und wer ohne Würde ist, ist ohne Wert.
Man muss fort, dachte er, wie aus einer Peststadt. Sie wird nicht mitgehen, aber ich muss fort. Ich will nicht einer dieser »unbesiegten Helden« werden. Ich weiß, bei Gott, wie besiegt ich bin, mehr als sie ahnen … nur das Kind, das Kind …
Er stand schon in dem kühlen Tunnel und starrte auf die Fahrkarte in seiner Hand. Ein ungeheurer Preis war quer über das braune Blatt gedruckt … woher nahm sie all das Geld? Für das Haus, die Mädchen, die Schwester? »Es ist eines Offiziers unwürdig, an der Börse zu spielen.« Hieß es nicht so? Aber sie spielte sicherlich Tag und Nacht. Nicht nur Admirale waren unter ihren Gästen. Die alten Götter stürzten, Stunde für Stunde. Ein unvorstellbarer Narr, das war er sicherlich.
Und weshalb wartete er nur auf einen dieser Züge? Auf diese donnernden Ungetüme mit ihrem grellen Licht, ihrer verbrauchten Luft und den verwüsteten Gesichtern, die geradeaus ins Leere starrten? Weshalb