Die bekanntesten Werke von Robert Louis Stevenson. Robert Louis Stevenson
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Читать онлайн книгу Die bekanntesten Werke von Robert Louis Stevenson - Robert Louis Stevenson страница 108
»Na, nur daß er ihn umgebracht hat«, sagte der Wirt. »Habt Ihr nie etwas davon gehört?«
»Und weshalb sollte er ihn umgebracht haben?« sagte ich.
»Weshalb? Ja, eben nur, um den Grundbesitz zu bekommen«, sagte er.
»Den Grundbesitz?« sagte ich, »Shaws?«
»Keinen anderen, soviel ich weiß«, sagte er.
»Ja, Mann!« sagte ich, »ist dem so? War mein – war Alexander der ältere Sohn?«
»'türlich war er das«, sagte der Wirt. »Weshalb denn sollte er ihn umgebracht haben?«
Und dann ging er fort, was er eigentlich von Anfang an hatte tun wollen.
Ich hatte es natürlich schon längst vermutet. Aber vermuten und wissen ist doch etwas ganz anderes, und ich saß da wie betäubt von meinem Glück und konnte es kaum fassen, daß derselbe arme Bursche, der noch vor kaum zwei Tagen verstaubt in den Wäldern von Ettrick herumgestapft war, jetzt einer der Reichen dieser Welt sein sollte und ein Haus und weites Land besäße und – verstünde er nur zu reiten – morgen sein Pferd besteigen könnte. All diese angenehmen Gedanken und noch tausend andere gingen mir im Kopf herum, wie ich da saß und vor mich hinstarrend zum Fenster des Gasthauses hinaussah, ohne zu bemerken, was dort vorging. Ich erinnere mich nur, daß ich plötzlich Kapitän Hoseason erblickte, der unten an der Brücke bei seinen Matrosen stand und mit einer gewissen Autorität zu ihnen sprach. Gleich darauf kam er zurück und schritt auf das Haus zu, ohne jede Spur jener Unbeholfenheit, die sonst Seeleuten eigen ist; er hatte eine große, schöne Gestalt, einen festen, männlichen Schritt und immer noch jenen Ausdruck von Ernst und Nüchternheit im Gesichte, den ich schon früher an ihm bemerkt hatte. Ich zweifelte, ob Ransomes Geschichten über ihn wahr sein könnten; sie paßten so gar nicht zu seiner Erscheinung. Tatsächlich aber war er weder so gut, als er mir erschien, noch ganz so schlecht wie Ransome ihn machte; denn eigentlich war er zwei Menschen zugleich; den besseren ließ er zurück, sobald er sein Schiff betrat.
Einen Augenblick später hörte ich meinen Onkel, der mich rief und traf die beiden zusammen auf der Straße. Es war der Kapitän, der mich anredete, und zwar in einem ernsten Tone, als wäre ich seinesgleichen (was für einen jungen Burschen immer sehr schmeichelhaft ist).
»Mein Herr,« sagte er, »eben erzählt mir Herr Balfour eine Menge schöner Sachen von Euch; und mir selbst gefällt Euer Aussehen gar wohl. Es tut mir leid, daß ich nicht länger hierbleibe, wir hätten einander besser kennenlernen können; aber wir wollen die Zeit nützen, so gut es geht. Ihr sollt für eine halbe Stunde an Bord meines Schiffes kommen, bis es Ebbe wird und wir wollen miteinander eine Flasche trinken.«
Nun brannte ich zwar vor Neugierde, ein Schiff von innen zu sehen, mehr als ich es mit Worten zu sagen vermag, aber anderseits wollte ich mich nicht in Gefahr begeben; so sagte ich ihm, daß mein Onkel und ich eine Verabredung mit einem Anwalt hätten.
»Ja, ja,« sagte er, »er hat mir davon erzählt. Aber seht Ihr, wenn Ihr mitkommt, kann Euch das Boot am Stadtende der Brücke absetzen, das ist kaum ein Steinwurf weit von Rankeillors Haus.« Dann beugte er sich plötzlich zu mir nieder und flüsterte mir ins Ohr: »Hütet Euch vor dem alten Fuchs, er hat nichts Gutes im Sinn. Kommt an Bord mit mir, daß ich Euch ein Wort im Vertrauen sagen kann.« Und dann nahm er mich unterm Arm und auf sein Boot zugehend, setzte er laut hinzu: »Also kommt, was soll ich Euch von den Karolinen mitbringen? Jeder Freund von Herrn Balfour kann über mich verfügen. Eine Rolle Tabak? Einen Federschmuck von einem Indianer? Das Fell eines wilden Tieres? Eine Steinpfeife? Eine Spottdrossel, die wie eine Katze miaut? Den Kardinalsvogel, der rot wie Blut ist? – Trefft Eure Wahl und nennt mir Euer Begehren.«
Bei diesen Worten waren wir beim Boot angekommen und er half mir hinein. Ich zögerte keinen Augenblick; ich glaubte (ich armer Narr) einen guten Freund und Helfer gefunden zu haben und freute mich, das Schiff sehen zu können. Sobald wir alle auf unseren Plätzen saßen, wurde das Schiff abgestoßen und fuhr auf dem Wasser dahin! Und vor lauter Freude und Überraschung über diese neue Bewegung, und daß das Boot so tief im Wasser fuhr, und daß das Ufer so anders aussah, und daß das Segelschiff immer größer wurde, je näher wir kamen – verstand ich kaum, was der Kapitän zu mir sprach und mußte ihm nur aufs Geratewohl geantwortet haben.
Sobald wir an der Seite des Schiffes angekommen waren – ich saß dort und bestaunte die Höhe des Schiffes, das wilde Hämmern der Wogen gegen dessen Wände und das lustige Schreien der Matrosen bei ihrer Arbeit – erklärte Hoseason mir, wir beiden müßten die ersten an Bord sein und befahl, daß ein Tau vom Hauptmast herabgelassen werde. Damit wurde ich in die Höhe gezogen und auf Deck gebracht, wo der Kapitän schon bereit stand und auf mich wartete. Er schob seinen Arm gleich wieder unter den meinen. So stand ich eine Weile da, ein wenig schwindlig von all der Unsicherheit rings um mich, vielleicht auch ein wenig ängstlich, aber doch hoch erfreut über all die neuen Eindrücke und den Anblick so vieler fremder Dinge. Der Kapitän zeigte mir die merkwürdigsten Gegenstände, nannte mir ihre Namen und erklärte mir ihre Verwendung.
»Aber wo ist denn mein Onkel?« sagte ich plötzlich.
»Ja,« sagte Hoseason auf einmal spöttisch, »das ist es eben.«
Ich fühlte, daß ich verloren war. Mit aller Kraft riß ich mich los von ihm und lief ans Bollwerk. Da gab's keinen Zweifel mehr; das Boot steuerte auf die Stadt los. Mein Onkel saß am Steuer. Ich stieß einen durchdringenden Schrei aus – »Hilfe, Hilfe, Mörder!« – daß es von allen Seiten widerhallte; mein Onkel drehte sich um und zeigte mir ein Gesicht voll Grausamkeit und Entsetzen.
Das war das letzte, was ich sah. Schon hatten mich starke Hände ergriffen und vom Rande des Schiffes zurückgerissen; jetzt schien mich ein Blitzschlag zu treffen – ich sah Funken sprühen und fiel bewußtlos nieder.
Kapitel VII
Ich gehe zur See auf dem Segler Covenant von Dysart
Als ich wieder zu mir kam, lag ich, an Händen und Füßen gebunden, von großen Schmerzen geplagt im Dunkeln, umgeben von unbekannten, ohrenbetäubenden Geräuschen. An meine Ohren tönte das Brüllen der Wogen wie das Wasser eines ungeheuren Mühldammes; das Aufschlagen schwerer Stangen, das Donnergepolter der Segel und die gellenden Rufe der Matrosen. Bald hob sich die ganze Welt in wirbelnde Höhe, bald stürzte sie wieder in schwindelnde Tiefen hinab. Ich war so krank und elend und verwirrt, daß ich lange Zeit brauchte – mich, immer wieder von neuen Schmerzen betäubt, in Gedanken abquälend – bis es mir klar wurde, daß ich wohl gefesselt irgendwo im Bauch dieses unglückseligen Schiffes liegen müsse und daß der Wind inzwischen zu einem Sturm angewachsen sein mochte. Mit der klaren Erkenntnis meiner Lage überfiel mich zugleich die Nacht der Verzweiflung; das Entsetzen tiefster Reue über meine eigene Dummheit plagte mich und leidenschaftliche Wut über meinen Onkel beraubte mich noch einmal meiner Sinne.
Als ich wieder zum Leben erwachte, betäubte und schüttelte mich dasselbe Gebrüll, dasselbe wilde, verwirrende Schaukeln. Jetzt kam noch zu all den anderen Schmerzen und Plagen die Seekrankheit dazu. Ich litt in jener Zeit meiner abenteuerlichen Jugend viel Not und Elend; aber nichts war so niederdrückend für Körper und Geist, von keinem einzigen Hoffnungsstrahl erhellt, wie diese ersten Stunden an Bord des Segelschiffes.
Ich hörte einen Schuß krachen und vermutete, daß der Sturm unser Schiff gefährdete und wir Signale um Hilfe abfeuerten.