Dublin. James Joyce
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Gerne wäre ich hineingegangen, ihn zu sehen, aber ich hatte nicht den Mut zu klopfen. Langsam ging ich auf der Sonnenseite der Straße weiter und las im Vorübergehen alle Theaterzettel in den Ladenfenstern. Ich fand es seltsam, daß weder ich noch der Tag traurig zu sein schien, und ich ärgerte mich sogar, als ich in mir so etwas wie ein Gefühl der Freiheit entdeckte, als wäre ich durch seinen Tod von etwas befreit worden. Das erstaunte mich sehr, denn er hatte mir doch, wie mein Onkel am Abend vorher gesagt hatte, allerhand beigebracht. Er hatte auf dem irischen Kolleg in Rom studiert und mich eine korrekte lateinische Aussprache gelehrt. Er hatte mir Geschichten über die Katakomben und über Napoleon Bonaparte erzählt, hatte mir die Bedeutung der verschiedenen Zeremonien bei der Messe erklärt und die der verschiedenen Kleider, die der. Priester trägt. Manchmal hatte er sich den Spaß gemacht, mir schwierige Fragen zu stellen, hatte mich dann gefragt, was man unter den und den Umständen tun müßte, ob die oder die Sünden Todsünden, Erlassungssünden oder nur Unvollkommenheiten wären. Seine Fragen zeigten mir, wie komplex und geheimnisvoll gewisse Institutionen der Kirche waren, in denen ich immer nur die einfachsten Handlungen gesehen hatte. Die Pflichten des Priesters der Eucharistie und dem Beichtgeheimnis gegenüber schienen mir so schwer, daß ich mich verwundert fragte, wie nur jemand den Mut in sich fände, sie zu übernehmen; und ich war nicht erstaunt, als er mir erzählte, die Kirchenväter hätten Bücher geschrieben, die wären so dick wie das Post Office Directory und so eng gedruckt wie die Prozeßnachrichten in der Zeitung, und in ihnen würden all diese Fragen behandelt. Wenn ich hieran dachte, konnte ich oft keine oder nur eine sehr dumme oder langsame Antwort geben, bei der er immer lächelte und zwei- oder dreimal nickte. Manchmal jagte er mich durch die Responsorien der Messe, die er mich hatte auswendig lernen lassen, und wenn ich stotterte, lächelte er immer nachdenklich und nickte mit dem Kopf, schob dann und wann große Prisen erst in das eine, dann in das andere Nasenloch. Wenn er lächelte, zeigte er seine großen, mißfarbenen Zähne und ließ dabei seine Zunge auf der Unterlippe liegen, eine Gewohnheit, die in mir zu Anfang unserer Bekanntschaft, als ich ihn noch nicht richtig kannte, ein Gefühl des Unbehagens auslöste. Während ich so in der Sonne einherging, fielen mir die Worte des alten Cotter ein, und ich versuchte, mich auf das, was sich hinterher im Traume ereignet hatte, zu besinnen. Ich erinnerte mich, daß ich lange Samtvorhänge und eine schwingende Lampe von altertümlicher Form gesehen hatte. Ich fühlte, daß ich sehr weit fort, in irgendeinem Lande gewesen war, wo die Sitten so seltsam waren – in Persien, glaubte ich . . .
Aber auf das Ende des Traumes konnte ich mich nicht besinnen. Am Abend nahm mich meine Tante mit in das Trauerhaus. Es war nach Sonnenuntergang; die Fensterscheiben der Häuser, die nach Westen sahen, strahlten das gelbe Gold einer großen Wolkenbank wider. Nannie empfing uns im Flur; und da es wenig passend gewesen wäre, laut mit ihr zu sprechen, drückte meine Tante ihr nur die Hand. Fragend zeigte die alte Frau nach oben, und als meine Tante nickte, ging sie müde vor uns her die enge Treppe hinauf, wobei ihr gebeugter Kopf kaum über das Geländer ragte. Auf dem Treppenabsatz blieb sie stehen, winkte uns ermutigend zu und führte uns dann an die offene Tür des Sterbezimmers. Meine Tante trat ein, und als die alte Frau sah, daß ich zögerte, einzutreten, winkte sie mir mit der Hand wiederholt zu. Auf den Zehen trat ich ein. Durch das Spitzenende des Vorhangs strömte dunkelgoldenes Licht in den Raum, in dem die Kerzen wie blasse, dünne Flammen aussahen. Er war schon eingesargt. Nannie kniete am Fuße des Bettes nieder, wir taten dasselbe. Ich tat so, als ob ich betete, aber ich konnte meine Gedanken nicht sammeln, weil mich das Gemurmel der alten Frau störte. Ich sah, daß ihr Kleid auf dem Rücken unordentlich zugehakt und die Hacken ihrer Zeugschuhe ganz schief getreten waren. Ich meinte die ganze Zeit, der alte Priester lächle, während er da in seinem Sarge lag.
Aber nein. Als wir aufstanden und an das Kopfende des Bettes traten, sah ich, daß er nicht lächelte. Er lag da, feierlich und dick, gekleidet, als stünde er vor dem Altar, leicht hielten seine großen Hände einen Kelch. Fürchterlich sein Gesicht, grau und massig, mit schwarzen, höhlenartigen Nasenlöchern, von einem dünnen, weißen Pelz umgeben. Schwerer Duft hing irn Zimmer – die Blumen.
Wir schlugen das Zeichen des Kreuzes und gingen dann. In dem kleinen Zimmer unten saß Elisa würdig in seinem Lehnstuhl. Langsam tastete ich mich nach meinem gewohnten Stuhl in der Ecke, während Nannie ans Büfett ging und eine Karaffe mit Sherry und einige Weingläser herausnahm. Sie stellte alles auf den Tisch und lud uns ein, ein Gläschen Wein zu trinken. Dann goß sie auf Aufforderung ihrer Schwester den Sherry in die Gläser und reichte sie uns. Sie quälte mich, doch einige Biskuits zu nehmen, aber ich wollte nicht, weil ich meinte, ich verursachte beim Essen zu viel Geräusch. Meine Weigerung schien sie ein wenig zu enttäuschen; sie ging ruhig nach dem Sofa, das hinter ihrer Schwester stand, und setzte sich. Niemand sprach: wir sahen alle in den leeren Kamin. Meine Tante wartete, bis Elisa seufzte, und sagte dann:
»Ah ja, nun ist er in eine bessere Welt eingegangen.«
Elisa seufzte wieder und senkte zustimmend den Kopf. Meine Tante spielte mit dem Fuße ihres Weinglases, bevor sie einen Schluck nahm. »Ist er . . . ruhig?« fragte sie.
»O, ganz ruhig«, sagte Elisa. »Man könnte nicht sagen, wann er den letzten Atemzug tat. Er hatte einen schönen Tod. Gott sei Dank.«
»Und alles . . .?«
»Pater O’Rourke hat ihn am Dienstag noch besucht, ihm die letzte Ölung gegeben und ihn wohl vorbereitet.«
»So wußte er also?«
»Er war ganz ergeben.«
»Er sieht auch ganz ergeben aus«, sagte meine Tante.
»Das sagte auch die Frau, die ihn gewaschen hat. Sie sagte, er sähe aus, als wenn er schliefe, so friedlich und ergeben sah er aus. Niemand hätte geglaubt, daß er mal eine so schöne Leiche sein würde.«
»Ja, wirklich«, sagte meine Tante.
Sie nahm einen etwas größeren Schluck und sagte dann:
»Ja, Fräulein Flynn, auf alle Fälle muß der Gedanke, daß Sie alles für ihn getan haben, was Sie konnten, ein großer Trost für Sie sein. Sie waren doch beide sehr freundlich zu ihm.«
Elisa strich ihr Kleid über den Knien glatt.
»Ach, der arme James«, sagte sie. »Der liebe Gott weiß, daß wir alles getan haben, was wir konnten, so arm wir auch waren; solange er lebte, sollte ihm wenigstens nichts fehlen.« Nannie hatte den Kopf gegen das Sofakissen gelehnt und schlief fast ein.
»Sehen Sie nur mal die arme Nannie«, sagte Elisa und sah hin zu ihr, »sie ist ganz kaputt. Haben wir beide eine Arbeit gehabt! Zuerst die Leichenwäscherin und dann das Ankleiden und dann den Sarg und dann die Besprechung wegen der Messe in der Kapelle. Hätte Pater O’Rourke uns nicht geholfen, ich weiß nicht, wie wir fertig geworden wären. Er hat uns alle Blumen und die beiden Kerzenleuchter aus der Kapelle besorgt, er hat auch die Anzeige für den Freeman’s General aufgesetzt und alle Papiere für die Beerdigung und die Versicherung des armen James beschafft.«
»Das war wirklich nett von ihm«, sagte meine Tante. Elisa schloß die Augen und bewegte langsam den Kopf.
»Ach ja, alte Freunde sind doch immer die besten«, sagte sie, »ich meine Freunde, auf die man sich wirklich verlassen kann.«
»Ja, da haben Sie recht«, sagte meine Tante. »Und ich bin sicher, daß er jetzt, wo er seinen Lohn in der Ewigkeit empfangen hat, weder Sie noch alle Ihre Freundlichkeit ihm gegenüber vergessen wird.«
»Ach, der arme James«, sagte Elisa. »Er war uns wirklich nicht beschwerlich. Man merkte von ihm