Wildfell Hall. Anne Bronte

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Wildfell Hall - Anne Bronte

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      Als ich aufblickte, sah ich ihn etwa zwei Schritte von mir stehen und mit seinen hellen, blauen Augen sehnsüchtig nach dem Hunde schauen, aber an seine Stelle geheftet, nicht etwa aus Furcht vor dem Thiere, sondern aus schüchterner Abneigung, sich seinem Herrn zu nähern.

      Einige Aufmunterung von meiner Seite bewog ihn indeß, heranzukommen; er war zwar scheu, aber nicht mürrisch. In einer Minute kniete er auf dem Teppich und hatte seine Arme um Sancho’s Hals geschlungen und ein paar Minuten später saß der kleine Bursche auf meinem Knie und betrachtete begierig die verschiedenen Abbildungen von Pferden, Rindern, Schweinen und Musterhäusern,die sich in dem Hefte vor mir befanden.

      Ich blickte von Zeit zu Zeit nach seiner Mutter hin, um zu sehen, wie ihr die neue Freundschaft gefalle, und bemerkte an dem unruhigere Ausdruck ihres Auges, daß ihr die Lage in welcher sich das Kind befand, aus dem einen oder andern Grunde unbehaglich war.

      »Arthur,« sagte sie endlich, komm her, »Du störst Mr. Markham, er will lesen.«

      »Nicht im Geringsten, Mrs. Graham, ich bitte, lassen Sie ihn bleiben. Ich unterhalte mich eben so gut, als er,« wendete ich ein. Dessenungeachtet rief sie ihn aber mit Hand und Auge schweigend an ihre Seite.

      »Nein, Mama,« sagte das Kind, »laß mich erst die Bilder ansehen, dann will ich kommen und Dir erzählen, was es ist.«

      »Wir werden am nächsten Montag, den 5. November, eine kleine Gesellschaft haben,« sagte meine Mutter, »und ich hoffe, daß Sie es nicht abschlagen werden, daran Theil zu nehmen, Mrs. Graham. Sie können ja Ihren Kleinen mitbringen, wir werden wohl im Stande sein, ihn zu unterhalten, und dann können Sie den Milwards und Wilsons Ihre Entschuldigung selbst machen, sie werden hoffentlich Alle hier sein.«

      »Ich danke Ihnen, ich gehe nie zu Gesellschaften.«

      »O, das wird nur eine Familiengeschichte sein — wir gehen zeitig zu Bett und Niemand ist da außer uns, die Milwards und Wilsons, von denen Sie die Meisten bereits kennen, und Mr. Lawrence, Ihr Gutsherr, den Sie doch kennen lernen sollten.«

      »Ich kenne ihn bereits ein wenig, aber Sie müssen mich für diesmal entschuldigen, denn die Abende sind jetzt schon dunkel und feucht und ich fürchte, daß Arthur zu zart ist, um sich ihnen ungestraft auszusetzen. Wir müssen den Genuß Ihrer Gastfreundschaft verschieben, bis die Tage wieder länger und die Nächte wärmer werden.«

      Rosa brachte jetzt, auf einen Wink von meiner Mutter, eine Weinflasche mit Gläsern und Kuchen aus dem Schranke unter dem Eichenbuffet und präsentierte den Gästen die Erfrischungen. Sie genossen Beide etwas Kuchen, schlugen aber den Wein, trotz der gastfreien Versuche der Hausfrau, ihnen denselben aufzubringen, hartnäckig aus. Arthur besonders zog sich von dem rothen Nektar, wie entsetzt und von Ekel ergriffen, zurück und wollte weinen, als man in ihn drang, denselben zu nehmen.

      »Es thut nichts, Arthur,« sagte seine Mutter. »Mrs. Markham denkt, daß es Dir gut thun wird, da Du von Deinem weiten Wege müde warst, aber sie wird Dich nicht zwingen, ihn zu trinken, es wird wohl auch so schon gehen. Er verabscheut schon den Anblick des Weines,« fügte sie hinzu, und der Geruch desselben macht ihn fast krank. Ich habe ihm, wenn er unwohl war, mitunter etwas Wein oder schwachen Cognac in Wasser als Medicin eingegeben, und in der That Alles was ich konnte, gethan, um ihn dazu zu bringen, denselben zu hassen.«

      Alle, mit Ausnahme der jungen Witwe und ihres Sohnes, lachten.

      »Nun, Mrs. Graham,« sagte meine Mutter, indem sie sich die Lachthränen aus den hellen, blauen Augen wischte, »nun, Sie setzen mich in Erstaunen. Ich hatte wirklich geglaubt, daß Sie mehr Verstand hätten — das arme Kind wird wirklich zu einem Ofenhocker werden, wenn Sie darauf bestehen.«

      »Ich halte es für ein vortreffliches System,« unter brach sie Mrs. Graham mit unerschütterlichem Ernste. »Hierdurch hoffe ich ihn wenigstens von einem herabwürdigenden Laster zu retten — ich wollte, ich könnte die Reizungen zu jedem andern für ihn eben so unschädlich machen.«

      »Dadurch,« sagte ich, »werden Sie ihn aber nie tugendhaft machen. Worin besteht die Tugend, Mrs. Graham? — Liegt sie darin, daß man fähig und bereit ist, der Versuchung zu widerstehen, oder darin, daß man keine Versuchungen hat, denen man widerstehen kann? Ist derjenige ein starker Mann, der große Hindernisse überwältigt und erstaunliche Thaten verrichtet, wenn auch durch große Körperanstrengung und auf Gefahr einiger späteren Müdigkeit, oder der, welcher den ganzen Tag auf seinem Stuhle sitzt und nichts Mühsameres zu thun hat, als das Feuer zu schüren und seine Nahrung zum Munde zu führen? — Wenn Sie wollen, daß Ihr Sohn ehrenvoll durch die Welt geht, so dürfen Sie nicht versuchen, ihm die Steine aus dem Wege zu räumen, sondern ihm lehren, fest darüber hinwegzugehen; nicht darauf bestehen, ihn an der Hand zu führen, sondern ihn allein dahinzuschreiten lernen lassen.«

      »Ich werde ihn an der Hand führen, Mr. Markham, bis er Kraft hat, allein zu gehen, und so viele Steine, als ich kann, auf seinem Pfade räumen und ihm lehren, die übrigen zu vermeiden, oder, wie Sie sagen, fest darüber zu wandeln; denn wenn ich mein Aeußerstes in dieser Beziehung gethan habe, wird immer noch genug vorhanden sein, um alle Gelenkigkeit, Festigkeit und Umsicht, die er je besitzen wird, in Anspruch zu nehmen. — Es ist ganz gut, wenn man von edlem Widerstande und Prüfungen der Tugend spricht, aber zeigen Sie mir von fünfzig — oder fünfhundert Männern, die der Versuchung unterlegen sind, nur einen einzigen, der die Tugend behauptet, um zu widerstehen. Und warum sollte ich es für sicher halten, daß mein Sohn eine Ausnahme von Tausenden sein wird — und mich nicht lieber auf das Schlimmste vorbereiten und annehmen, daß er wie sein — wie die übrigen Menschen sein wird, wenn ich nicht Sorge trage, es zu verhindern?«

      »Sie sprechen höchst schmeichelhaft für uns,« bemerkte ich

      »Von Ihnen! das ich nicht wüßte; ich spreche von denjenigen, die ich kenne — und wenn ich sehe, wie das ganze Menschengeschlecht — mit wenigen seltenen Ausnahmen — auf dem Pfade des Lebens hinstolpert und schwankt, in jede Grube sinkt und sich die Schienbeine an jedem Hindernisse, welches auf seinem Wege liegt, zerstößt, soll ich da nicht alle Mittel in meiner Macht anwenden, um ihm einen ebeneren und sicheren Weg zu verschaffen?«

      »Ja, aber das sicherste Mlttel dazu würde sein, ihn wo möglich gegen die Versuchung zu stärken, nicht aber sie aus seinem Wege zu räumen.«

      »Ich will Beides thun, Mr Markham. — Gott weiß, daß er von Versuchungen, innern sowohl wie äußern, genug bestürmt werden wird, wenn ich auch Alles gethan habe, was ich kann, um das Laster für ihn so uneinladend zu machen, als es seinem eignen Wesen noch verabscheuenswerth ist. Ich selbst habe allerdings nur wenige Verlockungen zu dem, was die Welt Laster nennt, gehabt, aber doch Versuchungen und Prüfungen anderer Art erfahren, die bei vielen Anlässen mehr Wachsamkeit und Widerstandsfähigkeit erfordert haben, als ich bisher gegen sie aufzubieten im Stande gewesen bin, — und dies, glaube ich, werden die Meisten anerkennen, die an das Nachdenken gewöhnt sind und gegen ihre angeborene Verderbniß zu kämpfen wünschen.«

      »Ja,« sagte meine Mutter, die nur halb verstand, worauf sie zielte, »Sie werden aber einen Knaben nach sich selbst beurtheilen wollen — und, meine liebe Mrs. Graham, lassen Sie sich bei Zeiten — noch vor dem Irrthume, — dem verderblichen Irrthume, wie ich ihn nennen kann, selbst die Erziehung des Knaben zu übernehmen, warnen. — Sie können sich, weil sie in einigen Dingen talentvoll und gut unterrichtet sind, für die Aufgabe gewachsen halten, sind es aber wirklich nicht, und glauben Sie mir, daß Sie, sobald Sie auf dem Versuche bestehen, es bitterlich bereuen werden, wenn das Unglück geschehen ist.«

      »Ich werde ihn also wohl in die Schule schicken sollen, damit er die Autorität und Liebe seiner Mutter verachten lernt?« sagte die Dame mit etwas bitterem Lächeln.

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