Der Nachsommer. Adalbert Stifter
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Der Nachsommer - Adalbert Stifter страница 9
Auch das Grün der Blätter fiel mir auf. Es war sehr rein gehalten und kein bei Rosen öfter als bei andern Pflanzen vorkommender Übelstand der grünen Blätter und keine der häufigen Krankheiten kam mir zu Gesichte. Kein verdorrtes oder durch Raupen zerfressenes oder durch ihr Spinnen verkrümmtes Blatt war zu erblicken. Selbst das bei Rosen so gerne sich einnistende Ungeziefer fehlte. Ganz entwickelt und in ihren verschiedenen Abstufungen des Grüns prangend standen die Blätter hervor. Sie gaben mit den Farben der Blumen gemischt einen wunderlichen Überzug des Hauses. Die Sonne, die noch immer gleichsam einzig auf dieses Haus schien, gab den Rosen und den grünen Blättern derselben gleichsam goldene und feurige Farben.
Nachdem ich eine Weile mein Vorhaben vergessend vor diesen Blumen gestanden war, ermahnte ich mich und dachte an das Weitere. Ich sah mich nach einem Eingange des Hauses um. Allein ich erblickte keinen. Die ganze ziemlich lange Wand desselben hatte keine Tür und kein Tor. Auch durch keinen Weg war der Eingang zu dem Hause bemerkbar gemacht, denn der ganze Platz vor demselben war ein reiner, durch den Rechen wohlgeordneter Sandplatz. Derselbe schnitt sich durch ein Rasenband und eine Hecke von den angrenzenden hinter meinem Rücken liegenden Feldern ab. Zu beiden Seiten des Hauses in der Richtung seiner Länge setzten sich Gärten fort, die durch ein hohes, eisernes, grün angestrichenes Gitter von dem Sandplatze getrennt waren. In diesen Gittern müßte also der Eingang sein.
Und so war es auch.
In dem Gitter, welches dem den Hügel heranführenden Wege zunächst lag, entdeckte ich die Tür oder eigentlich zwei Flügel einer Tür, die dem Gitter so eingefügt waren, daß sie von demselben bei dem ersten Anblicke nicht unterschieden werden konnten. In den Türen waren die zwei messingenen Schloßgriffe, und an der Seite des einen Flügels ein Glockengriff.
Ich sah zuerst ein wenig durch das Gitter in den Garten. Der Sandplatz setzte sich hinter dem Gitter fort, nur war er besäumt mit blühenden Gebüschen und unterbrochen mit hohen Obstbäumen, welche Schatten gaben. In dem Schatten standen Tische und Stühle; es war aber kein Mensch bei ihnen gegenwärtig. Der Garten erstreckte sich rückwärts um das Haus herum und schien mir bedeutend weit in die Tiefe zu gehen.
Ich versuchte zuerst die Türgriffe, aber sie öffneten nicht. Dann nahm ich meine Zuflucht zu dem Glockengriffe und läutete.
Auf den Klang der Glocke kam ein Mann hinter den Gebüschen des Gartens gegen mich hervor. Als er an der innern Seite des Gitters vor mir stand, sah ich, daß es ein Mann mit schneeweißen Haaren war, die er nicht bedeckt hatte. Sonst war er unscheinbar und hatte eine Art Hausjacke an, oder wie man das Ding nennen soll, das ihm überall enge anlag und fast bis auf die Knie herabreichte. Er sah mich einen Augenblick an, da er zu mir herangekommen war, und sagte dann: „Was wollt Ihr, lieber Herr?“
„Es ist ein Gewitter im Anzuge“, antwortete ich, „und es wird in kurzem über diese Gegend kommen. Ich bin ein Wandersmann, wie Ihr an meinem Ränzchen seht, und bitte daher, daß mir in diesem Hause so lange ein Obdach gegeben werde, bis der Regen oder wenigstens der schwerere vorüber ist.“
„Das Gewitter wird nicht zum Ausbruche kommen“, sagte der Mann.
„Es wird keine Stunde dauern, daß es kommt“, entgegnete ich, „ich bin mit diesen Gebirgen sehr wohl bekannt und verstehe mich auch auf die Wolken und Gewitter derselben ein wenig.“
„Ich bin aber mit dem Platze, auf welchem wir stehen, aller Wahrscheinlichkeit nach weit länger bekannt als Ihr mit dem Gebirge, da ich viel älter bin als Ihr“, antwortete er, „ich kenne auch seine Wolken und Gewitter und weiß, daß heute auf dieses Haus, diesen Garten und diese Gegend kein Regen niederfallen wird.“
„Wir wollen nicht lange darüber Meinungen hegen, ob ein Gewitter dieses Haus netzen wird oder nicht“, sagte ich; „wenn Ihr Anstand nehmet, mir dieses Gittertor zu öffnen, so habet die Güte und ruft den Herrn des Hauses herbei.“
„Ich bin der Herr des Hauses.“
Auf dieses Wort sah ich mir den Mann etwas näher an. Sein Angesicht zeigte zwar auch auf ein vorgerücktes Alter; aber es schien mir jünger als die Haare und gehörte überhaupt zu jenen freundlichen, wohlgefärbten, nicht durch das Fett der vorgerückteren Jahre entstellten Angesichtern, von denen man nie weiß, wie alt sie sind. Hierauf sagte ich: „Nun muß ich wohl um Verzeihung bitten, daß ich so zudringlich gewesen bin, ohne weiteres auf die Sitte des Landes zu bauen. Wenn Eure Behauptung, daß kein Gewitter kommen werde, einer Ablehnung gleich sein soll, werde ich mich augenblicklich entfernen. Denkt nicht, daß ich als junger Mann den Regen so scheue; es ist mir zwar nicht so angenehm, durchnäßt zu werden, als trocken zu bleiben, es ist mir aber auch nicht so unangenehm, daß ich deshalb jemanden zur Last fallen sollte. Ich bin oft von dem Regen getroffen worden, und es liegt mir nichts daran, wenn ich auch heute getroffen werde.“
„Das sind eigentlich zwei Fragen“, antwortete der Mann, „und ich muß auf beide etwas entgegnen. Das erste ist, daß Ihr in Naturdingen eine Unrichtigkeit gesagt habt, was vielleicht daher kommt, daß Ihr die Verhältnisse dieser Gegend zu wenig kennt, oder auf die Vorkommnisse der Natur nicht genug achtet. Diesen Irrtum mußte ich berichtigen; denn in Sachen der Natur muß auf Wahrheit gesehen werden. Das zweite ist, daß, wenn Ihr mit oder ohne Gewitter in dieses Haus kommen wollt, und wenn Ihr gesonnen seid, seine Gastfreundschaft anzunehmen, ich sehr gerne willfahren werde. Dieses Haus hat schon manchen Gast gehabt und manchen gerne beherbergt; und wie ich an Euch sehe, wird es auch Euch gerne beherbergen und so lange verpflegen, als Ihr es für nötig erachten werdet. Darum bitte ich Euch, tretet ein.“
Mit diesen Worten tat er einen Druck am Schlosse des Torflügels, der Flügel öffnete sich, drehte sich mit einer Rolle auf einer halbkreisartigen Eisenschiene und gab mir Raum zum Eintreten.
Ich blieb nun einen Augenblick unentschlossen.
„Wenn das Gewitter nicht kömmt“, sagte ich, „so habe ich im Grunde keine Ursache hier einzutreten; denn ich bin nur des anziehenden Gewitters willen von der Landstraße abgewichen und zu diesem Hause heraufgestiegen. Aber verzeiht mir, wenn ich noch einmal die Frage anrege. Ich bin beinahe eine Art Naturforscher und habe mich mehrere Jahre mit Naturdingen, mit Beobachtungen und namentlich mit diesem Gebirge beschäftigt, und meine Erfahrungen sagen mir, daß heute über diese Gegend und dieses Haus ein Gewitter kommen wird.“
„Nun müßt Ihr eigentlich vollends hereingehen“, sagte er, „jetzt handelt es sich darum, daß wir gemeinschaftlich abwarten, wer von uns beiden recht hat. Ich bin zwar kein Naturforscher und kann von mir nicht sagen, daß ich mich mit Naturwissenschaften beschäftigt habe; aber ich habe manches über diese Gegenstände gelesen, habe während meines Lebens mich bemüht, die Dinge zu beobachten und über das Gelesene und Gesehene nachzudenken. Infolge dieser Bestrebungen habe ich heute die unzweideutigen Zeichen gesehen, daß die Wolken, welche jetzt noch gegen Sonnenuntergang stehen, welche schon einmal gedonnert haben, und von denen Ihr veranlaßt worden seid, zu mir heraufzusteigen, nicht über dieses Haus und überhaupt über keine Gegend einen Regen bringen werden. Sie werden sich vielleicht, wenn die Sonne tiefer kömmt, verteilen und werden zerstreut am Himmel herumstehen. Abends werden wir etwa einen Wind spüren, und morgen wird gewiß wieder ein schöner Tag sein. Es könnte sich zwar ereignen, daß einige schwere Tropfen fallen, oder ein kleinen Sprühregen niedergeht; aber gewiß nicht auf diesen Hügel.“
„Da die Sache so ist“, erwiderte ich, „trete ich gerne