Der Nachsommer. Adalbert Stifter
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Der Nachsommer - Adalbert Stifter страница 10
Er führte mich um das Haus herum; denn in der den Rosen entgegengesetzten Seite war die Tür. Er führte mich durch dieselbe ein, nachdem er sie mit einem Schlüssel geöffnet hatte. Hinter der Tür erblickte ich einen Gang, welcher mit Ammonitenmarmor gepflastert war.
„Dieser Eingang“, sagte er, „ist eigentlich der Haupteingang; aber da ich mir nicht gerne das Pflaster des Ganges verderben lasse, halte ich ihn immer gesperrt, und die Leute gehen durch eine Tür in die Zimmer, welche wir finden würden, wenn wir noch einmal um die Ecke des Hauses gingen. Des Pflasters willen muß ich Euch auch bitten, diese Filzschuhe anzuziehen.“
Es standen einige Paare gelblicher Filzschuhe gleich innerhalb der Tür. Niemand konnte mehr als ich von der Notwendigkeit überzeugt sein, diesen so edlen und schönen Marmor zu schonen, der an sich so vortrefflich ist und hier ganz meisterhaft geglättet war. Ich fuhr daher mit meinen Stiefeln in ein Paar solcher Schuhe, er tat desgleichen, und so gingen wir über den glatten Boden. Der Gang, welcher von oben beleuchtet war, führte zu einer braunen getäfelten Tür. Vor derselben legte er die Filzschuhe ab, verlangte von mir, daß ich dasselbe tue, und nachdem wir uns auf dem hölzernen Antritte der Tür der Filzschuhe entledigt hatten, öffnete er dieselbe und führte mich in ein Zimmer. Dem Ansehen nach war es ein Speisezimmer; denn in der Mitte desselben stand ein Tisch, an dessen Bauart man sah, daß er vergrößert oder verkleinert werden könne, je nachdem eine größere oder kleinere Anzahl von Personen um ihn sitzen sollte. Außer dem Tische befanden sich nun Stühle in dem Zimmer und ein Schrein, in welchem die Speisegerätschaften enthalten sein konnten.
„Legt in diesem Zimmer“, sagte der Mann, „Euern Hut, Euern Stock und Euer Ränzlein ab, ich werde Euch dann in ein anderes Gemach führen, in welchem Ihr ausruhen könnt.“
Als er dies gesagt und ich ihm Folge geleistet hatte, trat er zu einer breiten Strohmatte und zu Fußbürsten, die sich am Ausgange des Zimmers befanden, reinigte sich an beiden sehr sorgsam seine Fußbekleidung und lud mich ein, dasselbe zu tun. Ich tat es, und da ich fertig war, öffnete er die Ausgangstür, die ebenfalls braun und getäfelt war, und führte mich durch ein Vorgemach in ein Ausruhezimmer, welches an der Seite des Vorgemaches lag.
„Dieses Vorgemach“, sagte er, „ist der eigentliche Eingang in das Speisezimmer, und man kommt von der andern Tür in dasselbe.“
Das Ausruhezimmer war ein freundliches Gemach und schien recht eigens zum Sitzen und Ruhehalten bestimmt. Es befaßte nichts als lauter Tische und Sitze. Auf den Tischen lagen aber nicht, wie es häufig in unsern Besuchzimmern vorkömmt, Bücher oder Zeichnungen und dergleichen Dinge, sondern die Tafeln derselben waren unbedeckt und waren ausnehmend gut geglättet und gereinigt. Sie waren von dunklem Mahagoniholze, das in der Zeit noch mehr nachgedunkelt war. Ein einziges Geräte war da, welches kein Tisch und kein Sitz war, ein Gestelle mit mehreren Fächern, welches Bücher enthielt. An den Wänden hingen Kupferstiche.
„Hier könnt Ihr ausruhen, wenn Ihr vom Gehen müde seid, oder überhaupt ruhen wollt“, sagte der Mann, „ich werde gehen und sorgen, daß man Euch etwas zu essen bereitet. Ihr müßt wohl eine Weile allein bleiben. Auf dem Gestelle liegen Bücher, wenn Ihr etwa ein wenig in dieselben blicken wollet.“
Nach diesen Worten entfernte er sich.
Ich war in der Tat müde und setzte mich nieder.
Als ich saß, konnte ich den Grund einsehen, weshalb der Mann vor dem Eintritte in dieses Zimmer so sehr seine Fußbekleidung gereinigt und mir den Wunsch zu gleicher Reinigung ausgedrückt hatte. Das Zimmer enthielt nämlich einen schön getäfelten Fußboden, wie ich nie einen gleichen gesehen hatte. Es war beinahe ein Teppich aus Holz. Ich konnte das Ding nicht genug bewundern. Man hatte lauter Holzgattungen in ihren natürlichen Farben zusammengesetzt und sie in ein Ganzes von Zeichnungen gebracht. Da ich von den Geräten meines Vaters her an solche Dinge gewohnt war und sie etwas zu beurteilen verstand, sah ich ein, daß man alles nach einem in Farben ausgeführten Plane gemacht haben mußte, welcher Plan mir selber wie ein Meisterstück erschien. Ich dachte, da dürfe ich ja gar nicht aufstehen und auf der Sache herumgehen, besonders wenn ich die Nägel in Anschlag brachte, mit denen meine Gebirgsstiefel beschlagen waren. Auch hatte ich keine Veranlassung zum Aufstehen, da mir die Ruhe nach einem ziemlich langen Gange sehr angenehm war.
Da saß ich nun in dem weißen Hause, zu welchem ich hinaufgestiegen war, um in ihm das Gewitter abzuwarten.
Es schien noch immer die Sonne auf das Haus, blickte durch die Fenster dieses Zimmers schief herein und legte lichte Tafeln auf den schönen Fußboden desselben.
Als ich eine Weile gesessen war, bemächtigte sich meiner eine seltsame Empfindung, welche ich mir anfangs nicht zu erklären vermochte. Es war mir nämlich, als sitze ich nicht in einem Zimmer, sondern im Freien, und zwar in einem stillen Walde. Ich blickte gegen die Fenster, um mir das Ding zu erklären; aber die Fenster erteilten die Erklärung nicht; ich sah durch sie ein Stück Himmel, teils rein, teils etwas bewölkt, und unter dem Himmel sah ich ein Stück Gartengrün von emporragenden Bäumen, ein Anblick, den ich wohl schon sehr oft gehabt hatte. Ich spürte eine reine freie Luft mich umgeben. Die Ursache davon war, daß die Fenster des Zimmers in ihren oberen Teilen offen waren. Diese oberen Teile konnten nicht nach innen geöffnet werden, wie das gewöhnlich der Fall ist, sondern waren nur zu verschieben, und zwar so, daß einmal Glas in dem Rahmen vorgeschoben werden konnte, ein anderes Mal ein zarter Flor von weißgrauer Seide. Da ich in dem Zimmer saß, war das letztere der Fall. Die Luft konnte frei hereinströmen, Fliegen und Staub waren aber ausgeschlossen.
Wenn nun gleich die reine Luft eine Mahnung des Freien gab, sah ich doch hierin nicht die völlige Erklärung allein. Ich bemerkte noch etwas anderes. In dem Zimmer, in welchem ich mich befand, hörte man nicht den geringsten Laut eines bewohnten Hauses, den man doch sonst, es mag im Hause noch so ruhig sein, mehr oder weniger in Zwischenräumen vernimmt. Diese Art Abwesenheit häuslichen Geräusches verbarg allerdings die Nachbarschaft bewohnter Räume, konnte aber ebensowenig als die freie Luft die Waldempfindung geben.
Endlich glaubte ich auf den Grund gekommen zu sein. Ich hörte nämlich fast ununterbrochen bald näher bald ferner, bald leiser bald lauter vermischten Vogelgesang. Ich richtete meine Aufmerksamkeit auf diese Wahrnehmung und erkannte bald, daß der Gesang nicht bloß von Vögeln herrühre, die in der Nähe menschlicher Wohnungen hausen, sondern auch von solchen, deren Stimme und Zwitschern mir nur aus den Wäldern und abgelegenen Bebuschungen bekannt war. Dieses wenig auffallende, mir aus meinem Gebirgsaufenthalte bekannte und von mir in der Tat nicht gleich beachtete Getön mochte wohl die Hauptursache meiner Täuschung gewesen sein, obwohl die Stille des Raumes und die reine Luft auch mitgewirkt haben konnten. Da ich nun genauer auf dieses gelegentliche Vogelzwitschern achtete, fand ich wirklich, daß Töne sehr einsamer und immer in tiefen Wäldern wohnender Vögel vorkamen. Es nahm sich dies wunderlich in einem bewohnten und wohleingerichteten Zimmer aus.
Da ich aber nun den Grund meiner Empfindung aufgefunden hatte, oder aufgefunden zu haben glaubte, war auch ein großer Teil ihrer Dunkelheit und mithin Annehmlichkeit verschwunden.
Wie ich nun so fortwährend auf den Vogelgesang merkte, fiel mir sogleich auch etwas anderes ein. Wenn ein Gewitter im Anzuge ist und schwüle Lüfte in dem Himmelsraume stocken, schweigen gewöhnlich die Waldvögel. Ich erinnerte mich, daß ich in solchen Augenblicken oft in den schönsten, dichtesten, entlegensten Wäldern nicht den geringsten Laut gehört habe, etwa ein einmaliges oder zweimaliges Hämmern des Spechtes ausgenommen oder den kurzen Schrei jenes Geiers, den die Landleute Gießvogel nennen. Aber selbst er schweigt, wenn das Gewitter in unmittelbarer Annäherung ist. Nur bei den Menschen wohnende Vögel, die das Gewitter fürchten wie er, oder solche, die im weiten Freien hausen und vielleicht dessen majestätische Annäherung bewundern, zeigen sein Bevorstehen an. So habe ich Schwalben vor den dicken Wolken eines heraufsteigenden