50 Meisterwerke Musst Du Lesen, Bevor Du Stirbst: Vol. 2. Эдгар Аллан По
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So erzählte Fränzi und in Vroni erklangen die Glocken des Glaubens, daß ihr ganzes Wesen erfüllt würde mit den Ahnungen der Sage. Und war Josi trotzig und finster, so blühte in ihrem frischen, von blondem Haar umspielten Gesicht stillinniges Leben auf.
Wenn in der Nacht der Wind durch die Felsen weinte, die weißen Nebel am mondbeschienenen Berghang schwebten, dann glaubte auch sie die Züge jener Toten zu sehen, die von den Gletschern ins Thal steigen und es durchwandeln.
»Mutter, aber haben sie schon am Brot oder an der Milch gerührt?«
»Nein, Vroni, die armen Seelen essen nicht und trinken nicht; wenn sie nur den guten Willen sehen, so sind sie schon satt und freuen sich, daß sie nicht vergessen sind, denn nichts auf der Welt thut ihnen so weh, wie wenn niemand ihrer gedenkt.«
Einmal, als Vroni schon schlief, kam über den hohen flimmernden Schnee wahrhaftig eine arme Seele durch die Nacht geschwebt und gewandelt, eine leichte, schlanke Kindergestalt, doch stieg sie nicht den Alpweg herab, sondern huschte herüber von der schlafenden Kirche, die ihren Turm gespenstisch in die nächtliche Winterlandschaft reckte.
Fränzi erschrak. Wenn man eine arme Seele sieht, soll man nicht neugierig sein, es kann sie kränken. Sie zog sich vor der Wandelnden tief in ihr Stübchen zurück und betete den Segen.
Da horch! Vor dem Fensterspalt bittet und bettelt ein süßes, seines Stimmchen: »Fränzi, liebe Fränzi. Darf ich zu Euch hereinkommen?«
Einen Augenblick staunt Fränzi, dann sagt sie überrascht: »Weiß Gott, das ist Binia!« Sie öffnet die Thüre und zieht das schlotternde Kind, das zum Schutz vor der grimmigen Kälte den Kirchenmantel der seligen Beth um die Glieder geschlagen hat, in das Stübchen.
»Ums Himmels willen, Bini, was willst du bei dem harten Frost und bald um Mitternacht. Hat es im Bären ein Unglück gegeben?«
Da lächelt Binia leise und schalkhaft, setzt sich dicht zu Fränzi auf die Bank, nimmt mit einer scheuen Liebkosung ihre Hand, schlägt den Blick nieder und sagt: »Nein, im Bären schläft alles, nur ich habe noch gewacht und an mein seliges Mütterchen gedacht. Wie ich den Schlaf nicht habe finden können, bin ich still aufgestanden, die Treppe hinuntergetappt, durch das Fenster des Untergadens hinausgeklettert und bin zu Euch gekommen.«
»O Gott und alle Heiligen! Nicht einmal recht angezogen bist du, könntest dir ja den Tod holen in dieser Nacht. Warum kommst auch nicht am schönen Tag?«
Da verzieht sich das Gesichtchen des Kindes schmerzlich, zögernd sagt es: »Ich meine, der Vater hätte es nicht gern, wenn er's wüßte. Und ich weiß nicht, habt Ihr's gern, wenn ich zu Euch komme und Vroni und Josi? Ich habe Euch vieles zu fragen, Fränzi.«
»Närrchen, du liebes, warum sollten wir uns nicht freuen, wenn du kommst?« Fränzi fuhr dem schüchternen Kinde liebkosend durchs dunkle fliegende Seidenhaar. »Aber wenn's dein Vater nicht gern hat, so ist's doch gescheiter, du gehst gleich wieder heim.«
Da glitt das Kind hinab von seinem Sitz zu den Füßen Fränzis, umschlang ihre Kniee und flehte weinerlich: »Nein, Fränzi, nein, sterben müßt' ich und den Kopf würde es mir zersprengen, wenn ich jetzt nicht mit Euch reden könnte.«
»Nun, so laß es heraus, was so in dem armen Köpfchen brennt, daß es gar nicht mehr schlafen kann,« sagte Fränzi mild und zog Binia zu sich empor.
Es war aber, als blieben die Worte der Kleinen im Halse stecken.
»Ist's denn etwas so Schreckliches, Bini?«
»O Fränzi, wie Ihr an der Wassertröstung so ernst mit meinem Vater auf seiner Stube geredet habt, da saß ich auf dem Ofen, ich habe alles gesehen und gehört.«
Wunderfein erbebte das Stimmchen.
Nun war's an Franzi, zu erbleichen. Sie sah das Kind nicht mehr, sie sah nur das furchtbare Erlebnis jener Stunde – entgeistert blickte sie vor sich hin. Sie bat: »Kind, armes Unglücksvögelchen, rede, – rede! Gott und die Heiligen mögen mir helfen, daß ich dir recht Antwort stehe. Vielleicht ist's gut, daß du gekommen bist.« Da rann das Geständnis des gepreßten und geklemmten Kinderherzens, erst scheu und zögernd, gleichsam nur in Tropfen hervor, strömte dann heiß und leidenschaftlich und unter vielen Thränen. Nur von Josi sagte Binia nichts, sonst alles.
»Du süßer, lieber Vogel, so böse Dinge klopfen in deinem Herzchen.«
Fränzi hatte genug zu thun, um ein klein wenig Ordnung in die verwirrte Kinderseele zu bringen. Sie löste Binia alle Fragen auf, nur eine konnte sie ihr nicht lösen: Wie es möglich ist, daß ein Kind Vater und Mutter gleich heiß liebt, daß der Vater die Mutter aber nicht gut leiden mag.
»Ihr seid sicher, daß dem Vater die Hand nicht aus dem Grabe wachsen wird, wie der wüste Kaplan gesagt hat?«
Feierlich nahm Fränzi die Hand des Kindes und ihre Augen begegneten dem dunklen Sternenpaar Binias: »Ja. Nicht die böse Unterschrift hat meinen seligen Seppi an die Weißen Bretter geführt, als ein Freiwilliger ist er gegangen. Es hat sich alles gewandt und dein Vater ist unschuldig an seinem Tod.«
Binia dankte mit einem innigen Aufleuchten des Blicks: »Es ist kein Unsegen auf mir?«
»Deine selige Mutter wacht vom Himmel über dir und jede Nacht bin auch ich in Gedanken bei dir.«
Da küßte Binia die arbeitsharten Hände der mütterlichen Trösterin mit brennendem Mund.
Noch hatte das neugierige Kind viele Fragen, die Antwort forderten.
»Ihr denkt, der Vater habe mich doch lieb? – O, Fränzi, wenn Ihr wüßtet, wie ich ihn liebe.« »Natürlich, du kleine Ungläubige – jeder Vater hat in seinem Herzen ein Plätzchen für sein Kind, und wenn es zu tiefinnerst versteckt wäre! Sei liebevoll und demütig gegen den Vater; auf Kindern, die gegen ihre Eltern ehrfürchtig sind, steht die Verheißung, daß es ihnen wohl ergehe.«