Nana. Emile Zola
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„Um nichts auf der Welt hätte ich die Premiere heute abend versäumt. Ich wußte, daß Ihr Theater . . .“
„Sagen Sie: mein Puff“, unterbrach ihn Bordenave erneut mit dem kalten Eigensinn eines überzeugten Menschen.
Inzwischen betrachtete Fauchery in aller Ruhe die eintretenden Frauen. Er kam seinem Vetter zu Hilfe, als er ihn mit offenem Mund dastehen sah, wie er nicht wußte, ob er lachen oder sich ärgern sollte.
„Mach doch Bordenave die Freude und nenne sein Theater, wie er es von dir verlangt, da es ihm nun einmal Spaß macht . . .Und Sie, mein Lieber, lassen Sie uns nicht unnütz warten. Wenn Ihre Nana weder singen noch spielen kann, werden Sie ein Fiasko erleben, das ist alles. Das fürchte ich übrigens.“
„Ein Fiasko! Ein Fiasko!“ rief der Direktor, dessen Gesicht purpurrot anlief. „Braucht eine Frau denn spielen und singen zu können? Oh, mein Kleiner, du bist zu dumm . . . Nana hat etwas anderes, wahrlich, und zwar etwas, was alles ersetzt. Ich habe es gewittert, es ist ganz schön stark bei ihr, oder ich habe nur die Nase eines Dummkopfes . . . Du wirst schon sehen, du wirst schon sehen, sie braucht nur zu erscheinen, und der ganze Saal sperrt Mund und Nase auf.“ Er hatte seine großen Hände erhoben, die vor Begeisterung zitterten; und erleichtert senkte er die Stimme und brummte in sich hinein: „Ja, sie wird es weit bringen, verdammt, ja, sie wird es weit bringen . . . Eine Haut, oh, eine Haut!“
Als ihn Fauchery dann ausfragte, gab er mit einer Derbheit des Ausdrucks, die Hector de la Faloise in Verlegenheit setzte, bereitwillig Einzelheiten zum besten. Er hatte Nana kennengelernt, und er wollte sie herausbringen. Er suchte damals gerade eine Venus. Er fackelte nicht lange bei einer Frau; er wollte das Publikum lieber gleich etwas von ihr haben lassen. Aber er hatte einen Hundekrach in seiner Bude, die durch das Erscheinen dieser großen Dirne in Aufruhr versetzt wurde. Rose Mignon, sein Stern, eine durchtriebene Schauspielerin und bewundernswerte Sängerin, drohte jeden Tag, ihn aufsitzen zu lassen, und war wütend, weil sie eine Rivalin voraussah. Und wegen der Plakate — was für ein Spektakel, großer Gott! Schließlich hatte er sich entschlossen, die Namen der beiden Schauspielerinnen in Lettern von gleicher Größe anbringen zu lassen. Ärgern durfte man ihn nicht. Wenn eines seiner kleinen Weiber, wie er sie nannte, Simonne oder Clarisse, nicht spurte, versetzte er ihr einen Tritt in den Hintern. Anders war nicht durchzukommen. Er handelte mit ihnen, er wußte, was sie wert waren, diese Frauenzimmer!
„Sieh mal an!“ sagte er, sich unterbrechend. „Mignon und Steiner. Immer zusammen. Wissen Sie, Steiner hat Rose allmählich bis obenhin satt; daher weicht ihr Mann ihm auch keinen Fußbreit mehr vom Leibe, aus Angst, daß er sich aus dem Staube macht.“
Die Gaslichtrampe, die am Gesims des Theaters aufflammte, warf eine breite Fläche hellen Lichtes auf den Bürgersteig. Deutlich hoben sich zwei kleine Bäume grellgrün ab; eine Säule schimmerte in der scharfen Beleuchtung so weiß auf, daß man von weitem die Plakate auf ihr wie am hellen Tag lesen konnte; und dahinter war die undurchdringliche Nacht des Boulevards in der Verschwommenheit einer sich immerzu bewegenden Menge von Lichtern durchstochen. Viele Männer traten nicht sofort ein, blieben plaudernd draußen stehen, wobei sie unter dem Lichtschein der Rampe, der ihnen eine fahle Blässe verlieh und ihre kurzen schwarzen Schatten auf dem Asphalt abzeichnete, eine Zigarre zu Ende rauchten. Mignon, ein sehr großer und breiter fideler Kerl mit einem Quadratschädel wie ein Jahrmarktsherkules, bahnte sich mitten durch die Gruppen einen Weg, wobei er den Bankier Steiner am Arm mit sich schleppte, diesen ganz kleinen Mann mit schon starkem Bauch und rundlichem Gesicht, das von einem angegrauten Bart wie von einem Halsband umrahmt wurde.
„Na, Sie haben sie gestern in meinem Büro getroffen“, sagte Bordenave zu dem Bankier.
„Aha, das war sie also“, rief Steiner. „Ich vermutete es. Ich ging allerdings hinaus, als sie eintrat; ich habe sie bloß flüchtig gesehen.“
Mignon hörte mit gesenkten Lidern zu und drehte nervös einen großen Diamanten an seinem Finger hin und her. Er hatte begriffen, daß es sich um Nana handelte. Als Bordenave dann von seiner Debütantin eine Schilderung gab, die die Augen des Bankiers aufflammen ließ, griff er schließlich ein.
„Hören Sie auf, mein Lieber, eine Fose! Das Publikum wird ihr hübsch heimleuchten . . . Steiner, mein Kleiner, Sie wissen, meine Frau erwartet Sie in ihrer Garderobe.“ Er wollte ihn fortziehen.
Aber Steiner weigerte sich, Bordenave zu verlassen. Vor ihnen drängte sich eine Schlange an der Kontrolle, erhob sich Stimmenlärm, in dem der Name Nanas mit der singenden Lebhaftigkeit seiner zwei Silben ertönte. Die Männer, die sich vor den Plakaten aufpflanzten, buchstabierten ihn laut; andere warfen ihn im Vorübergehen in fragendem Tonfall hin, während die beunruhigten und lächelnden Frauen ihn leise mit verwunderter Miene wiederholten. Niemand kannte Nana. Woher stammte Nana? Und Geschichten, von Ohr zu Ohr geflüsterte Scherze liefen um. Dieser Name, ein kurzer Name, dessen Vertraulichkeit in aller Munde einging, war eine Liebkosung. Man brauchte ihn nur so auszusprechen, und die Menge wurde heiter und gutmütig gestimmt. Eine fieberhafte Neugierde trieb die Leute an, jene Pariser Neugierde, die die Heftigkeit eines Anfalles von heißem Wahnsinn hat. Man wollte Nana sehen. Einer Dame wurde der Besatz ihres Kleides losgerissen, ein Herr verlor seinen Hut.
„Also da fragen Sie mich zuviel!“ schrie Bordenave, den an die zwanzig Männer mit Fragen bestürmten. „Sie werden ja sehen . . . Ich mache mich aus dem Staube, man braucht mich.“ Er verschwand, entzückt, sein Publikum entflammt zu haben. Mignon zuckte die Achseln und erinnerte Steiner daran, daß Rose ihn erwarte, um ihm ihr Kostüm für den ersten Akt zu zeigen.
„Sieh mal! Da unten steigt Lucy aus dem Wagen“, sagte La Faloise zu Fauchery.
Es war tatsächlich Lucy Stewart, eine kleine, häßliche Frau von ungefähr vierzig Jahren mit zu langem Hals, magerem, ausgemergeltem Gesicht, einem plumpen, aber so lebhaften, so anmutigen Mund, daß sie über großen Liebreiz verfügte. Sie brachte Caroline Héquet und ihre Mutter mit — Caroline von kalter Schönheit, die Mutter sehr würdig, mit strohdummem Gesichtsausdruck.
„Du kommst mit uns, ich habe einen Platz für dich reserviert“, sagte sie zu Fauchery.
„O nein, fällt mir nicht ein! Damit ich nichts sehe!“ antwortete er. „Ich habe einen Sperrsitz; ich sitze lieber im Parkett.“
Lucy ärgerte sich. Wagte er es etwa nicht, sich mit ihr zu zeigen? Jäh besänftigt, sprang sie dann auf ein anderes Thema über:
„Warum hast du mir nicht gesagt, daß du Nana kennst?“ „Nana? Ich habe sie nie gesehen.“
„Wirklich? — Mir hat man geschworen, daß du mit ihr geschlafen hast.“
Aber vor ihnen machte Mignon, einen Finger auf den Lippen, ihnen ein Zeichen, daß sie schweigen sollten. Und auf eine Frage Lucys deutete er auf einen jungen Mann, der vorüberging, und flüsterte dabei:
„Nanas Liebster.“
Alle sahen ihn an. Er war hübsch. Fauchery erkannte ihn: das sei Daguenet, ein junger Mann, der dreihunderttausend Francs mit Frauen durchgebracht habe und der jetzt kleine Börsengeschäfte tätige, um ab und zu Blumensträuße und ein Essen für sie auszugeben. Lucy fand, er habe schöne Augen.
„Ah, da kommt Blanche!“ rief sie. „Die hat mir gesagt, daß du mit Nana geschlafen hast.“
Blanche de Sivry, ein üppiges blondes Mädchen, dessen hübsches Gesicht schon etwas aufgedunsen war, kam in Begleitung eines schmächtigen, sehr gepflegten Mannes von großer Vornehmheit.
„Graf