Bodies. Im Kampf mit dem Körper. Susie Orbach
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Auch bei uns vermarkten Influencer*innen – d.h. Individuen, die auf Instagram und anderen Plattformen über ein Publikum von 30000 Followern aufwärts verfügen – sich selbst und ihre Schönheits- und Körpergestaltungspraktiken. Diese Art von Arbeit wird nicht als Schönheitsarbeit anerkannt, ist aber genau das. Unter dem Begriff der Schönheitsarbeit müssen wir nicht nur die Werbetätigkeit der Blogger*innen ansehen, sondern die Arbeit, die wir alle verrichten, wenn wir uns zurechtmachen. Meine dreijährige Enkelin war kürzlich auf eine Geburtstagsparty in einem Nagelstudio eingeladen, in dem die Kinder von zwei Müttern und zwei Nageltechnikerinnen betreut wurden. Heute habe ich einen Mann gesehen, der sich in einem Kaufhaus fast schon öffentlich die Augenbrauen mit dem Faden zupfen ließ. Schönheitsarbeit gilt zunehmend als unabdingbar für Mädchen, Frauen und Männer. Die Frage ist: warum? Und wie ist diese Arbeit, ob sie nun durch Chirurgie, Zahnmedizin oder Filter geleistet wird, zu etwas Erstrebenswertem geworden?
Dieses Buch vertritt die These, dass der Körper »gemacht« wird. Er gilt nicht mehr nur als etwas, das gewaschen, deodoriert, gekleidet und parfümiert werden muss, bevor wir unseren Tag beginnen. Der Körper ist heute unsere unendlich formbare Visitenkarte, er tilgt oder verkündet unsere Schichtzugehörigkeit, unsere geografische Herkunft, unseren ethnischen Hintergrund, unser Genderzugehörigkeitsgefühl. Aber das ist nicht immer ungefährlich. Die Körper Schwarzer Jungen und Männer sind, speziell in London, Angriffen ausgesetzt. Die Körper von Mädchen und Frauen waren immer schon Angriffsziele, und wir erfahren jeden Tag mehr darüber, was sie in Kriegsgebieten in aller Welt weiterhin erleiden müssen – man denke an die Jesidinnen, an den sogenannten Islamischen Staat, an weibliche Genitalverstümmelung. Wir sehen die schwerwiegenden Angriffe schon in frühen Jahren, wenn Flüchtlingskinder von ihren Eltern getrennt, wenn Mädchen der Genitalverstümmelung unterzogen, wenn Jungen und Mädchen Pädophilen preisgegeben werden. Gleichzeitig mehren sich auf den Straßen die Angriffe auf die, die nach Meinung anderer der falschen Schicht oder dem falschen Geschlecht angehören oder einfach schlechthin »falsch« sind.
Auf einer weiteren Ebene, parallel dazu, intensivieren sich Künstlichkeit und Konstruktion – eine Angriffsform, die so anders ist, dass sie vielleicht gar nicht als schädigend erkannt wird, zumal sie als etwas präsentiert wird, das Spaß macht (was sie auch tatsächlich sein kann), und manchmal sogar als etwas Notwendiges.
Sie möchten aussehen wie ein Filmstar? Eine Akademikerin mit genau dem richtigen Maß an Sex-Appeal, aber nicht zu viel? Ein Banker mit einer künstlerischen Ader? Sie möchten Smokey Eyes, Kulleraugen, Augen, die sexy sind, glamourös, aufreizend, lasziv etc.? Kein Problem. Diese Looks, online wie offline erhältlich, sind mittlerweile gefühlte – wenn nicht sogar tatsächliche – Voraussetzung für Jobs, die nichts mit Aussehen zu tun haben: Es kommt immer und überall aufs Aussehen an.
Das Äußere ist alles, wie Shoppingtempel für Mode und Make-up zeigen. Operative Eingriffe erschaffen Wadenmuskeln, prägnante Wangenknochen, schmalere oder aufgefüllte Lippen, runde oder flache Pos, vergrößerte oder verkleinerte Brüste, flache Bäuche, ewig jugendliche Kinnlinien. Rigide Geschlechterstereotype werden dadurch gesprengt, dass operative Brustentfernung sich ebenso mit einem Penis wie mit einer per Testosteronbehandlung vergrößerten Klitoris kombinieren lässt. Aussehen ist entscheidend, für die Ärztin wie für den Büroassistenten. Der einmal erreichte Look muss über Selfies und Sexting endlos geteilt und bestätigt werden. Die visuelle Dauerberieselung untergräbt, was einst privat oder intim war. Erleben – ob es darin besteht, dem eigenen Kind beim Purzelbaum schlagen zuzuschauen oder eine Mahlzeit zu sich zu nehmen – ist eine unsichere Sache, solange man es nicht postet, damit es gesehen wird. Wir ertappen uns dabei, wie wir unser Erleben dokumentieren, als wäre ohne die visuelle Dauerberieselung nichts gewesen.
Das Bedürfnis nach Bestätigung und danach, gesehen zu werden, ist so mächtig, dass es schon verwunderlich, ja, geradezu ein bisschen pervers wirkt, eine Zeitlang nicht in den Spiegel zu schauen. Aber vielleicht ist das ja nötig, um die zwanghafte Selbstbespiegelung zu durchbrechen, die wir betreiben, ohne zu merken, wie sehr wir sie brauchen. In Mirror, Mirror off the Wall beschreibt Kjerstin Gruys, Dozentin für Soziologie an der University of Nevada, ihren Selbstversuch, ein Jahr ohne Spiegel zu leben. Wohl die wenigsten würden das auch nur eine Woche ertragen, geschweige denn ein Jahr (in Gruys’ Fall das Jahr, in dem sie heiratete), schon gar nicht im Zeitalter der Selfies, in dem junge Mädchen ihr Äußeres wie ein Kunstwerk gestalten, um Likes und Anerkennung zu ernten, was leider nur selten klappt. Eine von der Kommunikations- und Marktforschungsagentur Edelman/StrategyOne für Dove durchgeführte und im Oktober 2015 beim Weltfrauengipfel präsentierte Untersuchung ergab, dass 124 Likes nötig sind, um den jungen Frauen das Gefühl zu geben, okay zu sein, die meisten es aber nicht mal auf ein Fünftel dieser Zahl bringen, was nicht an ihnen liegt, sondern daran, dass alle hinter Likes herjagen und die Zeit gegen sie arbeitet.[3] Ein Online-Dasein zu führen, online Anerkennung zu suchen, durch Identifikation zu leben und Celebritys wie Kim Kardashian imitieren zu wollen, ist heute unter Mädchen und jungen Frauen weit verbreitet, aber wieder gilt es zu fragen: warum?
Gleichzeitig ist da der Austausch von Bildern sexualisierter Körperteile im Sexting zwischen Jugendlichen – eine aktualisierte Version von »Zeigst du mir deins, zeig ich dir meins«. Nur dass meins in diesem Fall nicht deins bleibt, sondern auf den Handys deiner Klassenkamerad*innen landet und von Kontinent zu Kontinent wandert, um schließlich vielleicht als Pornofutter für Pädophile zu enden und zur generellen Übersetzung von Sex in Sehen beizutragen – einer Erotik, die als allgemeine Fetischisierung kaum noch eine solche ist.
Wir sind verrückt geworden, was unser Verhältnis zum Körper angeht. Hochprofitable Industrien – darunter die Kosmetik-, Mode-, Ernährungs-, Diät-, Gesundheits-, Anti-Aging-, Wellness-, Schönheits-OP-, Pharma- und Fitnessindustrie – führen Krieg gegen uns, indem sie den idealen Körper propagieren. Das sind keine kleinen Industrien, es sind riesige Wirtschaftsbranchen, die weiterwachsen. Der Umsatz der Modeindustrie in Großbritannien im Jahr 2017 betrug 32 Milliarden Pfund (gegenüber 1,2 Milliarden Umsatz der Stahlindustrie). Schönheit und Mode dominieren unsere Kaufhäuser – die echten wie die digitalen. Der Preis, den wir dafür bezahlen, sind psychische Auswirkungen auf uns als Individuen und ökologische Auswirkungen auf unseren Planeten – beides bisweilen tödlich. Zwei der reichsten Männer Europas, Bernard Arnault von LVMH und Amancio Ortega von Zara, haben ihr Vermögen mit Mode gemacht. Die reichste Frau, Françoise Bettencourt-Meyers, ist Erbin des L’Oréal-Vermögens. Doch auch der gesellschaftliche Preis ist beträchtlich, da Äußerlichkeitsideale, wie ein 2014 für die britische Regierung erstellter Bericht zeigt, das Selbstwertgefühl von Mädchen und zunehmend auch Jungen untergraben, sie von dem, was ihnen guttut, ablenken und ihre schulischen Leistungen schmälern.[4] Hinzu kommen die medizinischen Kosten durch die Zunahme von Körperbild- und Essstörungen, sei es, dass sie sich als Magersucht, Fettleibigkeit oder Bulimie manifestieren, sei es, dass sie wie die meisten Essprobleme unsichtbar bleiben, da die Figur der betroffenen Person nicht anzeigt, welche Qualen sie leidet. Es gibt wenig spezialisierte Hilfseinrichtungen, wenig Wissen über die exponentielle Zunahme von Ess- und Körperproblemen und deren Ursachen. Solange die Gesundheitsbehörden auf Adipositas fixiert sind, entgeht ihnen die enorme Zahl von Menschen, die ihren Körper durch bizarres Ess- und Nichtessverhalten, durch Ritzen, ein Übermaß an Sport oder Fitnesstraining oder durch exzessives Markieren für sich selbst real und lebendig zu machen versuchen. Selten wird gefragt: Was ist das Problem, auf das dieses Verhalten (Essen, Nichtessen, Erbrechen, Ritzen, Fressanfälle, zwanghaftes Training) reagiert? Das Problem der Körperunsicherheit und Körperinstabilität, das epidemische Ausmaße erreicht hat und zunehmend auch Jungen und Männer betrifft, führt eine Lückenexistenz. Es wird allenfalls als mysteriös beklagt, obwohl seine Zunahme proportional zur Kommerzialisierung des Körpers mit all ihren tödlichen