Der Zauberladen von Applecross (Bd. 1). Pierdomenico Baccalario

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Der Zauberladen von Applecross (Bd. 1) - Pierdomenico  Baccalario

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Fenster verlassen und war auf die andere Seite des Hauses gelaufen, um sich dort sein Fressen zu holen.

      Es wurde die längste Nacht meines Lebens.

      Mit weit geöffneten Augen lauschte ich den Sternen, die vor dem Fenster vor sich hin wisperten, und als ich schließlich doch eingeschlafen war, wurde ich gleich wieder von meiner Mutter aus den Träumen gerissen. Zumindest kam es mir so vor, als wäre es noch mitten in der Nacht.

      »Los, aufstehen, raus aus den Federn, du Nichtsnutz!«

      Sie schmiss mich buchstäblich aus dem Bett, trieb mich vor sich her ins Bad und deutete auf die mit dampfendem Wasser gefüllte Badewanne. Rechts davon lagen zwei Handtücher. Auf der anderen Seite meine guten Anziehsachen, in die sie mich immer steckte, wenn wir in die Kirche gingen: dunkle Hose und Jacke, ein gestärktes Hemd, weiße Socken und schwarze Halbschuhe. »Du hast zehn Minuten, um dich fertig zu machen!«

      Mir war sofort klar: Wenn ich wagte, wegen der Wanne zu protestieren, würde sie mich mit Gewalt dort hineinstecken und mich eigenhändig baden, so wie früher als Baby.

      Zehn Minuten später, gewaschen und so gründlich gestriegelt, dass sich mein Kopf fast kahl anfühlte, näherte ich mich dem Frühstückstisch. Mein Magen grummelte, weil ich gestern Abend nichts gegessen hatte. Papa hatte die Sportzeitung von letzter Woche vor dem Gesicht und ließ sie auch nicht sinken, um mir Guten Morgen zu wünschen.

      »Einstein im Anflug!«, begrüßte mich Doug.

      Ich erwiderte nichts. Mein Bruder hatte sich einen Riesenberg Rührei auf den Teller geladen, auf den er gleichzeitig einen Löffel Honig und einen Löffel Senf klatschte. Ich war so hungrig, dass ich sogar das gegessen hätte.

      Ich nahm mir einen Toast mit Marmelade und ein Ei mit sauren Gurken, die ich normalerweise hasse. Der Milchkaffee war so heiß wie dieser Vulkan auf Island, der seit einiger Zeit Asche spuckte, aber ich wagte nicht, mich zu beschweren.

      Während ich mein Frühstück aß, versuchte ich, Doug zu ignorieren, der mit dem Fuß rhythmisch zu dem Song aus seinem Kopfhörer aufstampfte, und als ich fertig war, blieb ich einfach sitzen und wartete ab.

      Laut raschelte mein Vater mit der Zeitung. »Gehen wir.« Dann fügte er noch hinzu: »Nimm dieses Ding ab, Doug.«

      Mein Vater und ich setzten uns vorn in den Lieferwagen, Dusty drängte sich zwischen uns, und sobald wir losfuhren, kletterte er auf meine gute Hose, um seine Schnauze zum Seitenfenster hinauszustecken und sich den Fahrtwind um die Schlappohren wehen zu lassen.

      Und ich ließ ihn machen, hielt ihn nur am Halsband fest, damit er nicht hinaushüpfte.

      »Warum fahren wir zu Reverend Prospero?«, fragte ich Papa, als die Häuser und der einzige Kirchturm von Applecross in Sichtweite kamen.

      »Ich habe ihn gebeten, dir für diesen Sommer einen Job zu suchen«, erwiderte er nach einer Weile.

       Einen Job?

      »Aber … kann ich denn nicht bei euch auf dem Hof arbeiten?«, protestierte ich. »Gestern Abend hast du gesagt, dass … es nützlich wäre.«

      Papa parkte den Lieferwagen vor der Kirche, stieg aus und forderte mich auf, ihm zu folgen. »Weil dir die Arbeit auf dem Hof einen Sommer lang Spaß machen könnte«, sagte er in diesem verbitterten Ton, der mir verdammt wehtat. »Deshalb habe ich den Reverend ausdrücklich um einen Job gebeten, der so richtig … unangenehm ist.«

      Mit einem Bum! knallte er die Fahrertür zu.

      »Dann wirst du es dir im nächsten Jahr zweimal überlegen, ehe du zum Angeln an den Fluss gehst.«

      Reverend Prospero war eine Institution im Dorf. Er hatte sämtliche Kinder getauft, hatte denen, die es wünschten, die Beichte abgenommen, alle Ehewilligen verheiratet und all jenen die letzte Ölung erteilt, die sich wirklich auf den letzten Weg machen wollten. Er lebte mit Miss Finla in dem Pfarrhaus hinter der Kirche von Applecross. Miss Finla war seine Haushälterin und wahrscheinlich der einzige Mensch im Dorf, der älter war als er. Der Reverend war ein wahrer Riese, mit kräftigen Armen und einem Kreuz wie ein Rettungsschwimmer. Er war in mehreren Kriegen Seelsorger gewesen, in welchen, weiß ich nicht mehr, und ich konnte ihn mir nur zu gut vorstellen, wie er unter feindlichem Beschuss den Soldaten voranschritt und dazu auf seinem Dudelsack spielte. Er hatte einen riesigen Schnauzbart und die Haare kamen ihm sogar aus den Ohren heraus. Nur auf dem Kopf war er kahl.

      Miss McCameron hatte mir einmal gesagt, dass Reverend Prospero eine geheimnisvolle Tätowierung auf der Schulter hätte und dass sie die entdeckt hatte, als sie Maß genommen hatte, um das Messgewand für ihn zu ändern. Aber ich hatte diese noch nie gesehen, und daher wusste ich nicht genau, ob es sie wirklich gab.

      Der Reverend hatte eine sehr mächtige, befehlsgewohnte Stimme und eine ziemlich direkte Art: Um die Seelen seiner Schäfchen zu retten, peitschte er auf sie ein.

      Mein Vater schubste mich in den Hof zwischen Pfarrhaus und Kirche und gleich darauf fiel der mächtige Schatten des Reverends über mich.

      Ich musste nicht aufsehen, um zu wissen, dass er mich aus seinen pechschwarzen Augen anstarrte.

      »Nun denn, McPhee junior, was haben wir denn diesmal angestellt?«

      Er sagte »diesmal«, weil ich ihm nicht zum ersten Mal vorgeführt wurde. Unsere erste Begegnung hatten wir vergangenes Jahr gehabt, als Jacky Turbine und Sammy Angler das Fenster von Mr Everett mit dem Fußball eingeschmissen hatten. Aber Mr Everetts Haus lag eben genau hinter dem Fußballplatz und Jacky Turbine hatte den härtesten Linksschuss der Highlands. Vielleicht hätten wir nach der ersten kaputten Scheibe aufhören sollen. Oder vielleicht hätten wir nicht unbedingt versuchen sollen, durch Mrs Gordons Gemüsegarten auf der anderen Seite des Fußballplatzes abzuhauen, als Mr Everett uns stockschwingend hinterherkam.

      Damals hatte Reverend Prospero gemeint, das wäre ja wohl bloß ein Dummejungenstreich, aber er hatte uns gezwungen, uns einen Monat lang um Mrs Gordons Gemüsegarten zu kümmern, und Jacky Turbine hatte er dazu verdonnert, rund um alle Grabsteine auf dem Friedhof Unkraut zu jäten.

      »Ich glaube, ich bin ein wenig zu oft angeln gegangen, Reverend«, erwiderte ich, um etwas zu sagen.

      Er lachte dröhnend. »Statt zur Schule zu gehen? Haha! Und was sollen wir jetzt mit dir machen?«

      »Das müssen Sie mir schon sagen, Reverend …«, nuschelte ich. Wenn ich etwas in der Hand gehabt hätte, hätte ich es zwischen meinen Fingern zerrieben. Mir wurde langsam heiß in meiner guten Jacke.

      »Was kannst du denn?«, fragte er mich.

      Ich schüttelte stumm den Kopf. Ich konnte angeln. Dinge sammeln, die das Meer angeschwemmt hatte. Amerikanische Comics lesen. Mit Dusty durch den Winterwald laufen. Mit Dusty über Sommerwiesen laufen. Ich konnte mit Dusty bei jedem Wetter und egal zu welcher Jahreszeit umherlaufen. Und außerdem konnte ich verwunschene Orte erforschen, die Eingänge zum Reich des Kleinen Volkes erkennen und Landkarten zeichnen.

      »Kannst du denn wirklich gar nichts?«, fragte der Reverend nach.

      Na ja, sagte ich mir. Ich konnte die ganze Küstenlinie von hier bis zur Rattle Farm mit geschlossenen Augen beschreiben. Und ich wusste auch sonst noch eine ganze Menge nützlicher und weniger nützlicher Dinge. Ich wusste zum Beispiel, dass es zwischen dem Greelock-Pub

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