Magie. Ines Witka
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Die Stücke sind sehr verschieden, beide jedoch sehr erotisch und ähnlich inszeniert: als Stationen-Theater, das die Zuschauer mit einbezieht.
Für den ersten Akt von Abendessen mit berühmten Fotografen dienten als Inspiration Fotos von Künstlern und Künstlerinnen, die die erotische Fotografie geprägt haben. Ich habe eine kleine Rolle und spiele ein schüchternes Modell, hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, sich zu zeigen und sich zu verstecken. Nur für wenige Minuten ist mein Busen entblößt. Doch offensichtlich genügte dies, um Roland zu ermutigen.
Trotz seines Erfolges läuft das Stück nur an zwei Wochenenden im Monat. Wir wollen die Spiellust und Spontanität des Ensembles und der Gäste nicht durch zu viele Aufführungen überstrapazieren, denn das Stück lebt davon, dass die Schauspieler auf Zurufe aus dem Publikum reagieren. Unser Mitmach-Programm hat sich in der hedonistischen Szene herumgesprochen. Sobald eine weitere Aufführung des Stückes angekündigt wird, sind die Karten schnell ausverkauft. Im vergangenen Jahr wollten tausende von Besuchern dabei sein. Viele von ihnen besuchen die Aufführungen mehrmals und spielen immer wieder begeistert mit. Schon vor Beginn der Vorstellung schreitet Ella als sinnliche Rubensfrau wie eine Göttin die Treppen im Haus auf und ab. Im Foyer werden kleine Szenen gespielt. Wer das Theater zum ersten Mal besucht, bemerkt nicht, wer von den Akteuren zum Ensemble gehört und wer von den Besuchern mitmischt. Das Publikum folgt unserem Dresscode, trägt wie die Schauspieler sexy Kostüme, Glitzer und Glamour.
Als sich der große Publikumserfolg abzeichnete, haben wir im Theaterfoyer eine Fotowand aufgestellt und davor Requisiten arrangiert: ein dick gepolstertes ockerfarbenes Sofa, verschnörkelte Stühle, ein ovaler Tisch mit Vase, Gläser und Champagnerkühler. In einer Vase sind üppig rote Rosen drapiert. Dort inszenieren sich Besucher, um Teil einer großen analogen Fotocollage zu werden, die wir auf Instagram unter einem dafür generierten Hashtag veröffentlichen. Ansonsten ist es verboten, im Haus zu fotografieren oder zu filmen.
Die Vorstellung auf der Bühne folgt keiner starren Handlung. Die Begegnungen zwischen den Schauspielern wirken wie zufällig. Immer wieder agieren Darsteller mit Zuschauern. Gil wählt, ganz Diva, aus vorüberflanierenden Männern einen Liebhaber aus. Marc und Philipp haben sich Vintage-Hasselblad-Kameras umgehängt. Sie sind die Einzigen, die die Szenen, die zwischen subtiler und offener Erotik changieren, ablichten dürfen. Die Mischung der Szenen zeigt, welch ein unendliches Spektrum die Lust bietet: Sie kann kurios, radikal, zart, tief, widersprüchlich, albern, kraftvoll und vieles mehr sein. Ob das Stück deshalb so erfolgreich ist?
Rolands Vorstellungswelt hat es offensichtlich nicht entscheidend erweitert. Ich sehe es bildlich vor mir, wie er nach dem Besuch im Theater mit Alexander noch ein Glas Champagner getrunken hat und wie sie über Frauen sprachen, die es wert waren, von ihnen gefickt zu werden. Sie werden nie begreifen, dass Frauen keine Ware sind, die sie wie Möbel in einem Designerladen aussuchen und mit nach Hause nehmen können, wenn sie nur genügend dafür bezahlen. Das war es doch, was mir Roland vor nicht einmal zehn Minuten angeboten hat. Aus der Tatsache, dass ich mich auf der Bühne freizügig präsentierte, hat er nur den einen Schluss gezogen: Jetzt ist sie leichte Beute. Eine andere Botschaft, um die es eigentlich geht, scheint ihn nicht erreicht zu haben: frivol – ja. Freiheit – ja. Grenzen respektieren – ja. Achtsam sein – ja. Lust haben – ja. Frauen anschauen – nein. Frauen überrumpeln – geht gar nicht.
Vielleicht ist Abendessen mit berühmten Fotografen aber auch wegen des zweiten Aktes so erfolgreich: Sophia spielt eine der drei jungen Schwestern aus Ellen von Unwerths Sado-Maso-Märchen Revenge. Sind Frauen im klassischen Märchen meist sittsam und brav, sind die Protagonistinnen in diesem Fotoroman kein bisschen tugendhaft, sondern frech und freizügig. Sie brechen zu einem Kurzurlaub auf das Schloss ihrer Tante auf. Ihre Tante verstrickt sie, gemeinsam mit ihrem Chauffeur und dem Stallburschen, in erotische Machtspiele, in denen die drei Mädchen die Unterlegenen sind. Es kommt kein Prinz, der die jungen Frauen aus ihrer Gefangenschaft befreit. Das schaffen die drei allein. Mehr noch, sie üben Rache, indem sie die Machtverhältnisse umkehren. Dabei behalten sie ihre Sinnlichkeit und ihre Lust an der eigenen Sexualität. Die ganze Geschichte ist leicht und locker inszeniert. Vermutlich erkannte Roland auch hier nicht, dass es nicht darum geht, schönen Menschen zuzusehen, wie sie sich gegenseitig fesseln, schlagen und quälen. Sondern dass Frauen, die sich die Macht über ihren Körper zurückholen, nur gewinnen können.
Vielleicht sind die Abende inzwischen auch wegen der After-Show-Party so populär geworden, immerhin reisen Menschen aus London, Zürich und Paris extra für ein Wochenende an. Ich habe die Party dieses Mal sausen lassen. Die Aussicht, dort eventuell Alexander zu begegnen, hatte mich verstört. Allerdings war die Vorstellung, er würde sich unters Partyvolk mischen, absurd. Obwohl sich dem Herrn Professor da eine passende Gelegenheit geboten hätte, die eigene Beschränktheit aufzubrechen.
Viele Gäste wechseln nach der Aufführung die Kleidung. Diesen Moment liebe ich. Wie aufgeregt das bürgerliche Aussehen fallen gelassen wird und wie anders diese Menschen plötzlich aussehen. Der Mann, der gerade noch einen Abendanzug trug, tanzt jetzt in enganliegenden Boxershorts, mit Hosenträgern und Stiefeln zum Technosound im Foyer. Die Frau, die sich eben aus einem Paillettenkleid schälte, lässt ihre weiblichen Rundungen frei unter einem Kettenkleid schwingen.
Ich liebe es, wie jede Geste eine Verheißung wird, die Atmosphäre im Saal knistert und es doch nicht zum »finalen« Ende kommt – die große Orgie findet nicht statt. Die ist allein den Motto-Partys im Dark Light – Der Club für Ihre Wünsche und dem großen Fetischball vorbehalten. Ebenfalls zwei Projekte von Ralf und Gil. Ich war ziemlich überfordert, als ich kürzlich an so einer Party im Club teilgenommen hatte.
Das alles geht mir durch den Kopf, während mir allmählich die Kälte unter die Haut kriecht. Steif erhebe ich mich von der Bank, schüttle Arme und Beine, bevor ich, so schnell ich kann, wieder losrenne.
Meine großzügige Zweizimmerwohnung umfängt mich wie eine warme Decke. Mit allem, was sich darin befindet, ist sie mein Ort der Geborgenheit. Die geerbten antiken Möbel, die Bücher, die auf und um das königsblaue Samtsofa verstreut liegen, die mit Gemälden und Spiegel geschmückten Wände. Das Licht, das von der grau gestrichenen Zimmerdecke auf das Eichenparkett fällt und es in sanftem Beige schimmern lässt. All das ist mir vertraut und wirkt beruhigend. Im Flur kicke ich die Turnschuhe von den Füßen und gehe ins Badezimmer. Rasch streife ich die verschwitzten Kleider ab und steige unter die Dusche. Das heiße Wasser tut gut! Wohlig aufgewärmt trockne ich mich ab, schlüpfe in mein Nachthemd und dann ins Bett. Die Decke ziehe ich bis zum Hals. Still liege ich da und lausche den Geräuschen des Hauses: Das Parkett knarzt, in der Wohnung unter mir rauscht die Toilettenspülung. Unbewusst horche ich auf Klangspuren von Eindringlingen. Während ich an die Decke starre, schleichen sich Gedanken an den beängstigenden Teil meines Lebens an, der mehr als ein Jahr hinter mir liegt. Eine Zeit, in der ich mich nur mit meiner Figur, meiner Garderobe und dem beschäftigt hatte, was Alexander wichtig war. In seiner Welt gab man schon mal sechshundert Euro für ein Essen aus, verhielt sich Frauen gegenüber oberflächlich auch respektvoll, jedoch nur wenn sie schön waren und den Mund hielten. Heute arbeite ich in dem Beruf, für den ich studiert habe. Es geht mir gut mit meiner Theater-Clique. Ella, Sophia, Philipp, Gil und Ralf bringen mich in meiner Entwicklung weiter. Sie offenbaren mir Welten, zu denen ich vorher keinen Bezug hatte. Mehr und mehr gelingt es mir, Kräfte zu mobilisieren, von denen ich überhaupt nicht ahnte, dass ich sie habe. Und