Magie. Ines Witka
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»Ist jede von euch zufrieden?« Zustimmendes Gemurmel. »Dann suche bewusst den Kontakt zum Boden. Stehe sicher auf beiden Beinen. Schließe die Augen. Atme tief aus und ein.«
Es wird ruhig im Theatercafé. Ich lasse meinen Blick durch den Raum schweifen, die meisten Frauen sind Ellas Anweisungen gefolgt.
»Denke an einen schönen Sex-Moment mit einer anderen Person, oder als du allein mit dir warst. Komme in Kontakt mit deinem erotischen Wesen. Ist es von flirrendem Charakter, heiß und schnell? Oder ist es im Kern langsam? Egal, wie dein Stimulus ausfällt, ob er in der Fantasie oder in der konkreten Berührung liegt, lehne deine erotischen Wünsche nicht ab. Auch wenn sie manchmal irritierend sein mögen. Akzeptiere sie! Sie gehören zu dir! Ihr wisst, gerade Verbotenes ist anregend, und gesellschaftliche Korrektheit langweilt.«
Einige Frauen lachen wissend.
»Spüre bewusst den Lebensstrom deines Verlangens. Wie er von deinem Becken aufsteigt, sich ausbreitet. Bewege deine Hüften, schwinge in deinem Rhythmus.« Ella lacht leise und sanft. Sie macht eine kleine Pause bevor sie wieder spricht. »Ist diese Bewegung schon Sex? Kreise weiter! Spüre dich in deiner Stärke und auch Verletzlichkeit. Genieße beides!«
Ihre warme, tiefe Stimme entspannt mich. Ella summt und bewegt sich neben mir. Ich spüre ihre Körperwärme und die der anderen Frauen.
»Frage dich nun: Welche Sexualität brauche ich? Befreie sie von jeder Peinlichkeit und Scham, die nur dazu dient, dich gefangen zu halten.«
Mir gefällt die Vorstellung, weiß jedoch, dass ich weit davon entfernt bin, frei von Ängsten zu sein. Auch wenn Roland glaubt, ich sei nun anders und unanständig, nur weil ich in Liliths Secret Theatre auftrete, bin gerade ich eine Gefangene meiner drastischen Fantasien.
»Halte die Augen noch geschlossen. Spüre dich, berühre dich lustvoll, wenn du magst.«
Ich höre Rascheln und das Streicheln über Stoffe, wage jedoch nicht, meine Augen zu öffnen. Seltsam, wie verbunden ich mich mit den vielen unbekannten Frauen fühle. Das liegt vor allem an Ellas besonderem Talent. Sie gibt einem das Gefühl, in Sicherheit zu sein. Ich lasse mich in diesen geschützten Raum fallen. Vergesse Roland, vergesse Alexander, vergesse die Herren der Hölle.
»Und nun komme zurück hier in den Raum, sei präsent und wach.« Ich öffne die Augen. Ella verneigt sich. Und wir verneigen uns vor ihr.
»Ich, wir begrüßen dich als Frau und das sinnliche Wesen in dir. Wir heißen die Göttin in dir willkommen.«
Ich bewundere ihre Gelassenheit, mit der sie diese tiefen Gefühle aussprechen kann. Sie ist eine Göttin für mich.
Eine Brünette mit Sommersprossen klatscht zögernd. Eine ganz in schwarz gekleidete Frau sagt: »Wundervoll, danke.« Auch sie klatscht, andere stimmen ein, und schließlich füllt donnernder Applaus den Veranstaltungsraum.
Ella grinst. »Eins ist klar: Erotik ist etwas Erlerntes. Wir haben gelernt, was sexy ist und was angeblich nicht. Wir haben gelernt, Schwächen zu verstecken und unser Begehren beiseitezuschieben. Machen wir es heute besser. Frauen, bitte zu den Tischen. Heute fehlen uns nicht die Worte, wie das meistens beim Thema Sex der Fall ist.«
Wir zählen durch, von eins bis drei, und schnell haben sich die Gruppen gefunden.
Als wir im Vorfeld darüber gesprochen hatten, wer welchen Tisch betreuen könnte, schlug Gil vor, dass ich die Gruppe mit den Fantasien leiten könnte.
»Über meine Fantasien werde ich schweigen. Ich gehe das Risiko nicht ein, von den Frauen missverstanden zu werde.«
»Ich dachte, du wärst weiter.«
»Wir wissen doch gar nicht, wer kommt. Nachher erklärt mir eine Feministin, dass ich ein Verhaltensmuster hätte, das aus den Fünfzigern stamme, als Frauen noch von Männer überwältigt werden wollten, um ihre eigene Scham zu umgehen oder damit sie nicht als Schlampen galten. Dass dies nicht auf mich zutrifft, weiß ich. Dank deiner Hilfe, Gil, konnte ich schon so viel in mir erforschen. Praktisch und theoretisch.« Ich denke an die theatralischen sexuellen Inszenierungen, die sie für mich aufgrund unserer Gespräche arrangierte und die mich erfahren ließen, wie lustvoll es ist, eigene Fantasien in geschütztem Umfeld auszuleben. Diese Erfahrung brachte viel Licht an diesen geheimen Ort in mir, den ich über all die Jahre fest verschlossen hatte. »Trotzdem bin ich noch nicht so weit, um einer Diskussion im Roten Mond Salon standzuhalten.«
»Obwohl gerade hier der Ort für Vertrauen ist. Hier könntest du üben, dich nicht mehr zu schämen. Darum geht es ja – jedes Begehren zuzulassen«, ermunterte mich Gil.
»Wenn es irgendwann einmal so weit ist, wäre das großartig.«
»Dann übernimm den Tisch über das weibliche Geschlecht. Da hast du gerade einen großen Schritt gemacht, was die eigene Wertschätzung angeht.«
Das stimmt, doch ich zögerte. »Und wenn ich es nicht schaffe?«
»Probiere es aus. Wenn du die Situation nicht mehr bewältigen kannst, was, glaube ich, nicht passieren wird, sind Ella, Sophia und ich da und unterstützen dich.«
Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, keine Rücksicht mehr auf meine Ängste zu nehmen.
»Okay, ich versuche es«, willigte ich ein.
Und so stehe ich kurz darauf mit sechs Frauen am World-Café-Tisch. »Mein Name ist Viktoria. Ich bin fünfunddreißig Jahre alt. Zurzeit recherchiere ich zur Geschichte der Vulva fürs neue Theaterstück im Liliths. Da bin ich auf interessante und beglückende Informationen gestoßen, die ich mit euch teilen will.« Ich liebe es, wenn Dinge sich ergänzen, zusammenfügen und Neues daraus entsteht. Und plötzlich spüre ich, dass ich den Frauen, die mich erwartungsvoll anschauen, wirklich von diesen Ergebnissen erzählen möchte.
»Der Teufel soll beim Anblick der Vulva das Fürchten gelernt haben. Doch nicht weil die Vulva so hässlich ist – nein –, das will man uns nur weismachen, sondern weil sie so mächtig ist, dass sogar der Teufel vor ihr erschrickt.«
Ich merke, dass ich etwas Persönliches berichten muss, wenn ich dasselbe von den Frauen erwarte. Davor fürchte ich mich. Ich spüre Adrenalin durch meine Adern rauschen. »Es ist wichtig für mich, in dieser Gruppe zu sein, weil ich es nie seltsam gefunden habe, einen Schwanz zu bewundern und ihn in den Mund zu nehmen.« Ich schaue auf meine Hände. »Es jedoch als peinlich empfunden habe, wenn jemand zu meinem Geschlecht gesagt hat, dass es schön sei. Wenn ein Mann mich da unten …« Ich muss lachen und als ich aufsehe, blicke ich in grinsende Gesichter. »O nein – jetzt habe ich das schreckliche Unwort ›da unten‹ tatsächlich selbst gesagt, lecken wollte, fühlte ich mich extrem unwohl und dachte sofort darüber nach, ob ich gut rieche. Ein Mann sagt einfach, fass meinen Schwanz an oder meine Hoden. Ich kannte den korrekten Ausdruck für mein Geschlecht gar nicht. Wie sollte ich da sagen, was ich möchte? Ich muss gestehen, dass ich lange nicht wusste, dass der sichtbare Bereich Vulva heißt und nur der innere Teil Vagina. So, nun ist es raus. Ich bin auf dem Weg, mein Geschlecht mehr zu genießen. Hier zu sein und euch zuzuhören, wird mich weiter stärken. Stellt euch doch bitte kurz vor. Gerne mit einem Satz, warum ihr hier seid.«
Die Frau mit den Vulva-Ohrringen sagt: »Ich bin Pia, bin zweiundzwanzig Jahre alt, und mich interessiert einfach alles, was mit Sex zu tun hat. Ich studiere Kunst und war schockiert, als mir klar wurde, dass es ein Darstellungsverbot des