Magie. Ines Witka

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Magie - Ines Witka Theater der Lust

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von Gil, die mit einem Skizzenblock auf dem Schoß am Tisch sitzt und mit wenigen Strichen skizziert, was erzählt wird. Das ist ihre Kunst, in der sie es zur Meisterschaft gebracht hat. Sie zeichnet rasch, während sie ganz genau zuhört. Sie korrigiert nie beim Zeichnen. Ist sie nicht zufrieden, reißt sie das Blatt heraus, lässt es einfach auf den Boden fallen und setzt neu an, sodass mehrere Skizzen nebeneinander existieren.

      Da ertönt der Gong einer Klangschale.

      »Wir machen eine kleine Pause von einer Viertelstunde. Zeit, um rauchen oder pinkeln zu gehen, oder was auch immer«, verkündet Ella.

      Ich freue mich schon darauf, nachher die Frauen vom Orgasmus-Tisch zu begrüßen, sie haben so erregt rote Wangen.

      Gil sammelt die Blätter ein und pinnt sie an die Wand. Neugierig folgen ihr ein paar Frauen. Gils rasch dahingeworfene Skizzen zeigen Frauen sitzend, stehend, kniend oder liegend, mal frontal, mal von der Seite, mal von hinten. Die Skizze mit einem Duschkopf und einer Duschwanne, die Gil dunkel schraffiert andeutet, erklärt sich wohl daraus, dass sie über Hilfsmittel gesprochen hatten. Was mich wiederum an meine intensive Erfahrung mit verschiedenen Kerzenformen erinnert, mit denen ich als Jugendliche experimentiert hatte und wie ich dann Gemüse erprobte. Was zu dem neuen Feld von Sex und Essen führen könnte. Schokolade naschen, Sahne schlecken, ausschlürfen, Eis lecken … Muss ich mir merken.

      Gil deutet mir mit der Zigarette in der Hand an, dass sie kurz nach draußen gehen wird. Ich strecke mich einmal kräftig durch. Ella gesellt sich zu mir.

      »Und wie ging es bei dir so?«, frage ich neugierig.

      »Es war genauso, wie wir es erwartet haben! Emotionsgeladene Schilderungen, berührende Sätze. Schade, dass sie nicht alle hören können.«

      Zwei Stunden später verklingt der dritte Gong der Klangschale, und Gil steigt aufs Podium.

      »Erst einmal ein fettes Danke an euch alle. Ich weiß, wir haben anfangs versprochen, am Ende gemeinsam zu diskutieren. Doch es ist spät geworden. Mein Vorschlag wäre, diese Diskussion bei unserem nächsten Treffen an den Anfang zu setzen.«

      Beifälliges Gemurmel.

      »Vorher treffen wird uns gewiss bei der Premiere von Alice im Vulva-Land. Nehmt gern zwei Einladungskarten mit. Ansonsten sehen wir uns in sechs Wochen beim zweiten Roten Mond Salon wieder. Wer Lust hat, ein persönliches Interview mit Viktoria und mir zu führen, trägt sich hier in die Liste ein. Es kommt mir beim Interview darauf an, dass du Freude an deiner Sexualität hast.« Sie lacht. »Also habt Spaß, egal was ihr tut.«

      Als die letzte Besucherin gegangen ist, holt Gil eine Flasche Champagner aus dem Kühlschrank. »Ich finde, die haben wir uns jetzt verdient.«

      Sie entkorkt die Flasche und schenkt die Gläser ein, die Sophia geschwind bereitgestellt hat. Gil erhebt ihr Glas. »Das lief super.«

      Wir stoßen an, die Gläser klingen hell.

      »Ihr hattet die Gespräche gut im Griff, oder?« fragt Gil in die Runde.

      »Wir können hier etwas ganz Neues schaffen«, sagt Ella.

      »Mir hat es großen Spaß gemacht«, sprüht Sophia vor Begeisterung. »Allerdings bin ich ziemlich müde. Die Party gestern, der Abend heute.«

      Ella murmelt zustimmend, beide verabschieden sich rasch mit dem Versprechen, morgen vor der Öffnungszeit das Café aufzuräumen.

      Heiß und kalt

      Während der Champagner seine Wirkung entfaltet und ich ausgestreckt auf einem der Sofas liege, denke ich über die Verbindung zwischen diesem Abend und den anderen Abenden im Liliths oder Dark Light nach. Sind es die beteiligten Personen? Gil, Sophia und Ella waren bereits bei meiner ersten Bühnenerfahrung mit dabei gewesen Oder ist es das tabulose Ja zum Sex? Als ich zum ersten Mal bei einer Fetisch-Party erlebte, wie eine Frau einen Mann an der Bar des Dark Light mit einem Blowjob verwöhnte, war ich schockiert.

      »Das kommt mir ziemlich gestellt vor«, sagte ich damals zu Ralf.

      »Mir nicht«, antwortete er. »Sie hat eben Lust darauf, das ist alles.«

      »Sie macht das bestimmt nicht freiwillig«, beharrte ich.

      »Das interpretierst du hinein.«

      »Ich sehe hier Männer, die sich nehmen, was sie wollen.«

      »Dagegen lege ich Widerspruch ein. Hier beruht alles auf gegenseitigem Einverständnis. Wenn das so ist, geht es mich nichts an, was und wie die Gäste es treiben. Vielleicht fällst du mit deiner Ansicht auf das gesellschaftliche Narrativ herein, dass Frauen Sex nicht so genießen wie Männer.«

      Heute kann ich zugeben, dass er recht hatte. Ich bin diejenige, die üben muss zu sagen, was ich will. Ich bin diejenige, die es genießt, Kontrolle abzugeben. Das hatte ich lange für mich behalten, aus Angst, dass ich dann nicht mehr als gleichwertige Partnerin gesehen werde.

      Hängen die Abende über die Art, wie ich mich auf sie vorbereitet habe, nämlich mit Recherchen, zusammen?

      Bei meinem Vorstellungsgespräch in Liliths Secret Theatre erzählte Ralf vom salonfähigen Sadomasochismus auf der Bühne. Ahnung hatte ich davon keine. Also zog ich los, um mir Anregungen zu holen. Erste Station war ein Sex-Shop in einer trostlosen Ecke der Stadt. Zwischen Plastik-Dildos, DVDs, billigen Dessous und schmierigen Kerlen fühlte ich mich äußerst unwohl. Die nächste Adresse war ein Fetisch-Kaufhaus, das in einer Nebenstraße zu einer Luxuseinkaufsmeile lag. Staunend und mit klopfendem Herzen stand ich zwischen Ständern voller erotischer Kleidung: Lack- und Lederkorsagen, Spitzenmieder, Röcke und O-Kleider. Mir fiel eine dunkelrote Satinkorsage auf. Ich hielt sie mir vor den Oberkörper und drehte mich vor dem Spiegel hin und her. Ein grauhaariger, hochgewachsener Mann, der selbst ein Unterbrustkorsett über einem weißen Hemd trug, sprach mich an.

      »Gefällt Ihnen das? Welche Größe haben Sie da in der Hand?«

      »Oh, das weiß ich gar nicht.«

      »Ich kann mir gut vorstellen, dass diese Korsage an Ihnen fantastisch aussieht. Möchten Sie das Teil gern anprobieren? Ich kann Ihnen behilflich sein.«

      Ich schüttelte den Kopf. »Ich bin mir nicht sicher. Sagen Sie, was versteht man unter softem SM?«

      »Eine interessante Frage«, sagte er mit einem liebenswürdigen Lächeln, »auf die ich keine Antwort habe. Versuchen wir es mal anders: Suchen Sie etwas Extravagantes für einen Abend im Club zum Tanzen oder für die sexuelle Praxis?«

      »Das weiß ich auch nicht so genau«, antwortete ich wahrheitsgetreu.

      »Spielsachen und Bücher finden Sie im Obergeschoss, Schuhe im Zwischengeschoss und Latexkleider, Gummimasken und solche Sachen ein Stockwerk tiefer. Eher nicht soft. Wenn Sie hinunter möchten, schalte ich das Licht an.«

      Ich wählte die Treppe ins Obergeschoss. Im vorderen Teil standen Vitrinen, in denen Spielzeuge für Erwachsene ausgestellt waren: mit einem glitzernden Kristall versehene Edelstahlplugs, schraubbare Brustklemmen, Knebel und Räder mit Nadelrollen. An der Wand hingen Spreizstange, Edelstahl- und Lederfesseln und eine breite Palette an Schlagwerkzeugen. Die Verkäuferin erklärte mir einfühlsam, wie all die Spielzeuge verwendet werden. Als sie merkte, dass ich hoffnungslos überfordert war, riet sie mir, mich in der Bücherecke einzulesen.

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