Magie. Ines Witka
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»Ich heiße Franziska und werde bald dreißig. Ich habe mich nie nackt gezeigt, auch vor Frauen nicht. Und ich habe mich gefragt: Warum eigentlich nicht? Ich kam darauf: Vieles an mir finde ich hässlich, weil ich nicht dem entspreche, was ich jeden Tag sehe. Ihr wisst schon, in Zeitschriften und so oder auf Instagram. Ja, leider.«
Ich atme tief durch, um den Impuls zu vertreiben, ihr zu sagen, dass ich sie hübsch finde. Stattdessen lächle ich freundlich und sage: »Danke.«
»Ich heiße Lotta. Muss ich mein Alter verraten?«, sagt die Frau mit den Sommersprossen, die als Erstes spontan geklatscht hat.
Ich schüttle den Kopf. »Sag einfach das, mit dem du dich wohl fühlst.«
»Ich habe kein Wort dafür. Wann sollte ich es benutzen? Ich spreche nicht so oft über mein Geschlechtsteil. Ich hoffe einfach, dass der Mann alles richtig macht und sich auskennt.« Mit einem tiefen Seufzer blickt sie zur Decke.
»Mein Name ist Heike, ich bin sehr religiös erzogen worden, was gleichzeitig bedeutet, dass ich lustfeindlich erzogen wurde. Davon habe ich mich mühevoll befreit, und nun möchte ich einfach schauen, was die Lust für mich bereithält. Vulva gefällt mir gut.« Als die anderen lachen, lacht sie mit. »Ich meine das Wort. Klingt rund und warm, hat Tiefe, das spüre ich. Ist nicht so verniedlichend wie Muschi.«
Die Nächste in unserem Kreis ist Esther. »Ich denke auch immer sofort an Probleme, die Frauen haben. Nachts nicht allein durch dunkle Straßen gehen und wenn dann nur mit Telefon-Sicherheitscheck. Nicht mit einem mitgehen, den man gerade erst kennengelernt hat, wenn doch, dann ohne betrunken zu sein. Keinem verraten, mit wie vielen Männern du schon geschlafen hast, außer es bewegt sich zwischen zwei und fünf. Ich könnte endlos weitere Punkte aufzählen. Es macht mich so wütend, dass alle nur an deinen Körper ran wollen, notfalls mit Gewalt. Damit wir Frauen nicht merken, wie bedürftig die Männer sind und wie neidisch auf unsere Macht, die mit unserer Gebärfähigkeit verbunden ist, werten sie alles Weibliche ab. Das ist ihr Trick. Damit sind sie jahrhundertelang durchgekommen.«
»Vielen, vielen Dank.« Ich bin berührt von der Offenheit aller. »Gut. Dann schauen wir mal, was uns so einfällt.«
»Ich will auch noch was sagen!«
»Oh, Verzeihung!« Ist mir das peinlich. Ich habe eine Frau übergangen. Eine in einem engen schwarzen Businesskostüm, die Haare straff nach hinten gebunden. Die randlose Brille mit rechteckigen Gläsern unterstreicht ihr strenges Outfit.
»Macht nichts. Theresa.« Sie deutet auf sich. »Ich komme gerade von einem Symposium, weibliche Führungskräfte aufbauen und so weiter. Während man Frauen oft von der Weitergabe wichtiger Informationen ausschließt, kommunizieren Männer auf Augenhöhe miteinander. Gruppenzugehörigkeit aufgrund des Geschlechts ist völlig normal. Also das, was du zwischen den Beinen hast, ist entscheidend, nicht Leistung und Kompetenz. Das erzählt man uns nur, damit wir noch härter arbeiten. Ich bin dafür anzuerkennen, dass Frauen dieselben Fähigkeiten wie Männer haben und dass nicht das Geschlecht darüber bestimmt, sondern der Charakter. Ich hoffe, dass ihr hier nicht in dieses Gejammer ›Frauen sind Opfer, weil sie eine Vagina haben‹ verfallt.«
Das sitzt. Ich schaue kurz zu Esther, die bereits Luft holt: »Wenn man einen Mann beleidigen will, schimpft man ihn eine Pussy.«
»Und wenn mich einer beleidigen will, nennt er mich Schlampe oder gleich Fotze.«
Mist, jetzt rutschen die Gespräche genau auf die Ebene, wo ich nicht hin will. In diese Verachtung, in diese Empörung, in diese Scham. Davor hat Ella gewarnt, denn die Erfahrungen von verbaler sexueller Gewalt hat wohl schon jede gesammelt. Um dem etwas entgegenzusetzen, haben wir die Körperreise unternommen.
»All die üblen Diffamierungen sind uns bestens bekannt. Ich, wir, wir alle wissen, dass die Vulva in allen Ländern der Welt beschimpft wird und die Frau dann gleich mit denselben Bezeichnungen belegt wird. Das hat Tradition. Doch was ist mit den schönen Seiten? Die Vulva wurde in der Mythologie angebetet! Als Freuden- und Fruchtbarkeitsspendende! Auf der ganzen Welt gibt es Geschichten, wie das Zeigen der Vulva die Welt gerettet hat. Baubo, die bevorzugt auf einem Schwein ritt, zeigte ihre Vulva der trauernden Demeter, damit sie wieder lachte und die Welt nicht weiter verdorren ließ. Die indische Göttin Durga war herbeigeeilt, um die Menschen und die Götter im Kampf gegen Dämonen zu unterstützen. Als sie die Dämonen nicht besiegen konnte, entblößte sie ihre Vulva und zog alle Göttinnen in sich. Sie wurde zur Göttin Kali und besiegte die Dämonen mit der gebündelten weiblichen Kraft.«
»Und was ist mit dem Christentum?«, fragt Heike. »Maria ist so was von asexuell.«
»Glücklich, wer die Zeichen lesen kann«, grinse ich erfreut über die Frage. »Maria wird manchmal mit einer Art Aura dargestellt, die Mandelglorie. Und die ist …«
»… die stilisierte Form der Vulva!«, fällt mir Pia ins Wort.
»Fällt es euch nicht schwer, Vulva auszusprechen?«, fragt Lotta in die Runde. »In meinen Ohren klingt es seltsam. Ich frage mich, warum ich immer nur Vagina gehört habe.«
»Das weiß ich. Zufällig bin ich Biolehrerin«, erklärt Heike. »Andere Darstellungen und Begriffe waren nicht in den Schulbüchern und fehlen bis heute. Üblich ist eben nur die Verbindung von außen nach innen darzustellen, also zum Gebärmutterhals. Die Klitoris ist nur ein kleiner Punkt, wenn sie überhaupt dargestellt wird. Informationen darüber, dass sie ein erektiles Organ ist, wie groß sie tatsächlich ist, dass sie anschwellen kann? Fehlanzeige!
In meiner Klasse kann kein Junge oder Mädchen die weibliche Anatomie richtig zu benennen. Sie gehen alle sehr verschämt damit um. Vulva? Sagt keiner. Selbst als Erwachsene müssen viele von uns noch etwas über unsere sexuelle Anatomie lernen.«
»Kein Wunder, oder habt ihr schon mal eine Brunnenfigur mit einer Vulva gesehen? Ich nicht«, regt sich Pia auf. »Und nur wir können das ändern. Wir können ihr mehr Liebe entgegenbringen, mehr Aufmerksamkeit schenken …« Sie nimmt den schwarzen dicken Stift in die Hand und malt mit fünf Strichen zwei kräftige Oberschenkel und einen Rundbogen. Wir alle erkennen sofort: bei ihrer Zeichnung fehlt eindeutig das Geschlecht. Dann malt sie in Rot eine Vulva mit Schamlippen, Klitoris und ein paar schwarzen Haaren daneben und einen Pfeil, der darauf zeigt. Sie schreibt Honigtopf dazu und lässt ein paar Bienen drum herum schwirren. Ich schreibe »Fotze«, streiche es durch und schreibe »Lady« dahinter. Darauf bin ich stolz. Beim Vorbereitungstreffen hatte ich Ella, Sophia und Gil gestanden, dass ich mein eigenes Geschlecht mit üblen Schimpfworten belege. »Lady« ist nun mein Versuch, es mehr wertzuschätzen. Das ist keine Kleinigkeit. Ich spüre den emotionalen Unterschied, den das Wort »Lady« für mich macht. Und das Praktische ist, dass ich so eine Bezeichnung immer wieder ändern kann, wenn sie mir nicht mehr gefällt oder nicht mehr meinen Gefühlen entspricht.
Und plötzlich wird die Idee des World Cafés lebendig: Neben meiner Lady und dem Honigtopf tauchen schnell Bezeichnungen wie Kätzchen, Möse, Muschel, Paradies, geheimer Garten, Muschi, Tulpe, Mäuschen, Schmetterling und unbekanntes Land auf.
Am Nachbartisch versucht Ella, den Frauen ein paar Stichworte über ihre gelebte und geträumte Sexualität zu entlocken. An ihrem Tisch geht es heiß her. Das ist uns im Vorfeld schon klar gewesen. Ella übernahm diesen Tisch, weil sie es sich zutraute. Schade, dass ich nur einzelne Fetzen mitbekomme.
»Welche Toys mögt ihr?«, fragt Ella gerade. »Ich mag es, wenn sich der Dildo natürlich anfühlt, das ist dann wie ein zweiter Mann im Spiel. Wenn er eine durchschnittliche Länge hat, nur etwas dicker im Durchmesser. Das fühlt sich richtig gut an.« Weiter