Das Ende des Wachstums. Richard Heinberg

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Das Ende des Wachstums - Richard Heinberg

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gilt das für psychisch gesunde Eltern) es ist kein bewußter Handel, bei dem wir dem Kind sagen »Ich gebe dir zu essen und ein Dach über dem Kopf, wenn du es mir mit Gütern und Dienstleistungen von gleichem oder höherem Wert zurückzahlst«.

      Für Menschen in einfachen Gesellschaften war die Gemeinschaft so wichtig wie eine Familie. Schmarotzertum konnte hin und wieder zum Problem werden, und wenn es den Rest der Gruppe belastete, wurde es durch subtile oder auch nicht so subtile soziale Signale bestraft – und letztlich durch Ausgrenzung. Aber abgesehen davon registrierte niemand, wer wem was schuldete; das hätte als sehr schlechtes Benehmen gegolten.

      Wir wissen das aus Berichten von Anthropologen aus dem 20. Jahrhundert, die überlebende Gesellschaften von Jägern und Sammlern besucht haben. Oft schilderten sie die erstaunliche Großzügigkeit von Menschen, die begierig schienen, alles zu teilen, was sie hatten, obwohl sie praktisch kaum materielle Dinge besaßen und Hilfsorganisationen sie zu den Ärmsten auf dem Planeten rechneten.2 Manchmal war den Anthropologen diese Großzügigkeit unangenehm, und wenn sie ein besonders gutes Stück Fleisch oder einen sorgfältig handgearbeiteten Korb erhalten hatten, überreichten sie umgehend ein Messer aus industrieller Produktion oder ein Schmuckstück als Gegengeschenk. Sie erwarteten, die Eingeborenen würden sich über solchen Plunder freuen, doch die Beschenkten wirkten eher beleidigt. Was war passiert? Mit ihren Geschenken hatten die Eingeborenen ausgedrückt: »Du bist Teil der Familie, willkommen!« Die umgehende Reaktion mit einem Gegengeschenk erinnerte sehr an Handel – und Handel trieb man nur mit Fremden. Die Reaktion des Anthropologen wurde so verstanden, als hätte er gesagt: »Nein, danke. Ich möchte nicht als Familienangehöriger betrachtet werden, ich will ein Fremder für euch bleiben.«

      Nebenbei bemerkt: Dieser kurze Ausflug in die Kulturanthropologie sollte nicht so interpretiert werden, daß das Leben der Jäger und Sammler als Ideal hingestellt wird. Einfachere Gesellschaften wiesen oft ein sehr hohes Maß an zwischenmenschlicher Gewalt auf, was teilweise damit zusammenhing, daß sie weder Polizei noch Gefängnisse kannten. Unfälle kamen häufig vor, und das Leben war kurz. Die Schenkökonomie war mit ihren Vorteilen und Nachteilen einfach eine Strategie, die in einem bestimmten Kontext funktionierte, über viele Jahrtausende hinweg verfeinert durch Versuch und Irrtum.

      Und das ist die Wirtschaftsgeschichte komprimiert in einen Satz: In dem Maße, wie die Gesellschaften komplexer, größer, zerstreuter und vielfältiger wurden, verlor die stammesbasierte Schenkökonomie an Bedeutung, und zunehmend dominierte der Handel das Leben der Menschen; inzwischen hat er sich so ausgeweitet, daß er den gesamten Planeten umfaßt. Ist das ein Fortschritt, oder bedeutet es vielmehr moralischen Niedergang? Über diese Frage diskutieren Philosophen seit Jahrhunderten. Ob man es gut findet oder nicht, jedenfalls haben wir das getan.

      Als unsere täglichen Interaktionen mit anderen Menschen immer mehr mit Handel zu tun hatten statt mit Schenken, entwickelten wir höfliche Umgangsformen im Alltag und erhielten zugleich eine durch den Austausch vermittelte soziale Distanz aufrecht. Das gilt besonders für große Städte, wo die Anonymität auch durch praktische Formalitäten und psychologische Einflüsse gefördert wird, die sich aus der Notwendigkeit ergeben, tagtäglich mit einer großen Zahl von fremden Menschen umgehen zu müssen. Im besten Fall kümmern wir uns immer noch umeinander – oft durch Programme der Regierung oder private Wohltätigkeit. In unseren Familien und den Kirchen genießen wir immer noch einige Vorzüge der alten Schenkökonomie, aber immer mehr beherrscht der Markt unser Leben. Unser Endpunkt bei dieser unermüdlichen Ausweitung des Handels ist offenbar eine Welt, in der alles zum Verkauf steht und alle menschlichen Betätigungen durch und durch an ihrem Geldwert gemessen werden.

      Die Menschheit hat unübersehbar viel von dieser wirtschaftlichen Entwicklung profitiert: Die Schenkökonomie funktionierte nur richtig, solange wir in kleinen Gruppen lebten und praktisch keinen nennenswerten Besitz hatten. Für die Abkehr von der Schenkökonomie erhielten wir im Gegenzug Häuser, Städte, Autos, iPhones und all das andere. Trotzdem war der Abschied von der Gemeinschaft, die wie eine Familie war, schmerzlich, und im Laufe der Geschichte hat es unterschiedliche Versuche gegeben, wieder dorthin zurückzukehren. Der Kommunismus war ein solcher Versuch. Doch wenn man auf der Ebene des Nationalstaats eine Schenkökonomie etablieren möchte, bringt das alle möglichen Probleme mit sich, unter anderem das Problem, wie man Initiative belohnt und Faulheit bestraft nach Regeln, die alle akzeptabel finden, und wie man Korruption bei denjenigen verhindert, deren Aufgabe es ist, den Reichtum einzusammeln, zu zählen und neu zu verteilen.

      Aber kehren wir zurück zu unserem Gang durch die Wirtschaftsgeschichte. Auf dem Weg von der Schenkökonomie zum Handel gab es mehrere wichtige Marksteine; der wichtigste war zweifellos die Erfindung des Geldes. Das Geld vereinfachte den Handel. Die Menschen erfanden es, weil sie ein Tauschmittel brauchten, mit dem der Handel einfacher, leichter und flexibler wurde. Sobald das Geld in Gebrauch war, konnten die Tauschvorgänge sich ausweiten und alle Aspekte des Lebens durchdringen, was bis dahin nicht möglich gewesen war. Gleichzeitig diente das Geld auch noch anderen Funktionen – vor allem wurde es Wertmaßstab und Wertaufbewahrungsmittel.

      Heute ist Geld für uns selbstverständlich. Aber bis vor noch nicht langer Zeit war es eine Kuriosität, etwas, was nur Händler täglich benutzten. Einige komplexe Gesellschaften wie auch die Inka-Zivilisation kamen fast gänzlich ohne Geld aus. Selbst in den Vereinigten Staaten verwendeten bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts manche bäuerliche Familien Geld nur bei ihren gelegentlichen Ausflügen in die Stadt, wenn sie Nägel, Stiefel, Glas oder andere Dinge kauften, die sie nicht daheim auf ihrer Farm anbauen oder herstellen konnten.

      Der Historiker Fernand Braudel schildert in seinem wunderbaren Buch Die Geschichte der Zivilisation. 15. bis 18. Jahrhundert, wie die Geldwirtschaft langsam in das Leben der Bauern im Mittelalter vordrang. Und was brachte sie den Menschen Neues? »[D]ie plötzlichen Preisschwankungen bei den Grundnahrungsmitteln, die unverständlichen Beziehungen, die der Mensch nicht mehr durchschaut, in denen er sich, seine Gewohnheiten und seine alten Werte nicht mehr wiederfindet. Seine Arbeit wird eine Ware, der Mensch selbst eine ›Sache‹.«3

      Frühes Geld bestand aus allem möglichen, von Muschelschalen bis Vieh. Allmählich bildeten sich Gold- und Silbermünzen als die praktischsten allgemein akzeptierten Zahlungsmittel, Wertaufbewahrungsmittel und als Wertmaßstab heraus.

      Weil dieses Geld leicht zu lagern war, konnten fleißige Menschen erheblichen Reichtum anhäufen. Aber der konzentrierte Reichtum lockte auch Diebe an. Für Händler war Diebstahl ein besonders großes Problem: Daß sie Geld mitnehmen konnten, ermöglichte ihnen, für den Einkauf seltener Gewürze oder Stoffe große Entfernungen zurückzulegen, aber unterwegs lauerten häufig Straßenräuber, bereit, mit vorgehaltenem Messer die Geldbörse zu fordern. Solche Probleme führten zur Erfindung des Bankwesens – Gold- und Silberschmiede, die regelmäßig mit großen Mengen Edelmetallen zu tun hatten (und gewohnt waren, die Edelmetalle in gesicherten, gut bewachten Schatzkammern aufzubewahren), erklärten sich bereit, auch die Münzen anderer Leute zu lagern, und gaben dafür Quittungen aus. Diese Quittungen konnten dann wie Geld behandelt werden, wodurch das Geschäftemachen leichter und sicherer wurde.4

      Schließlich erkannten im Mittelalter die Goldschmiede-Bankiers, daß sie die handelbaren Quittungen für mehr Gold ausgeben konnten, als sie in ihren Schatzkammern hatten, ohne daß es jemand merkte. Sie liehen die Quittungen als Darlehen aus und erhoben dafür eine Gebühr in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes des Kredits.

      Zunächst betrachtete die Kirche es als Sünde, aus Krediten Profit zu schlagen – es war Wucher –, aber die Bankiers fanden ein Schlupfloch in der kirchlichen Lehre: Es war erlaubt, die Kosten in Rechnung zu stellen, die bei der Kreditvergabe anfielen. Sie nannte man Zinsen. Allmählich weiteten die Bankiers die Definition von »Zinsen« aus, bis das eingeschlossen war, was früher »Wucher« geheißen hatte.

      Die Praxis, Quittungen für Gold auszuleihen, das nicht wirklich existierte, funktionierte gut, solange nicht viele Inhaber

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