Elfenzeit 6: Zeiterbe. Uschi Zietsch

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Elfenzeit 6: Zeiterbe - Uschi Zietsch Elfenzeit

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Angeblich hatte Merlin selbst diesen Ort erschaffen. Eine perfekte Illusion, so hieß es, mit allerlei magischen Barrieren versehen, um allein den Bewohnern den Zutritt oder das Verlassen zu ermöglichen.

      Doch bereits seit Jahrhunderten hatte niemand Nimue mehr gesehen. Niemand hatte Einlass erhalten und die Herrin vom See tatsächlich gesprochen. Sie war eine Fee von unerforschlicher Macht, und wie Morgana den Elementargeistern zugehörig.

      »Du solltest vielleicht höflich darum bitten!«, ermahnte Rian ihren Bruder.

      Doch sie fühlte, dass die Ermahnung zu spät gekommen war. Ihre Gedanken verlangsamten sich, wie von Watte gebremst. Über dem Wasserspiegel zog Nebel auf. Wie weiße Flammen, die in den sonst klaren Himmel emporstiegen. Flackernd und züngelnd, sich gegenseitig verschlingend.

      »Ich werde so müde, David«, murmelte Rian. Ihre Lider wollten sich schließen. Waren so unglaublich schwer.

      »Bleib wach! Das ist der Ort!«, hörte sie ihren Bruder rufen. Doch der Sinn seiner Worte wollte sich ihr nicht mehr erschließen. Ein wohlig warmes Dunkel breitete sich um sie aus, umfing sie, hob sie auf und bettete sie in einen wunderbaren Schlaf.

      Jemand schüttelte sie. Sie fühlte Kiesel gegen ihr Gesicht drücken. »Es ist ein Abwehrzauber. Hörst du, Rian?« Davids Stimme klang wie ein fernes Echo. Etwas zog an ihr. Schlang sich um sie und holte sie langsam ein, wie einen Fisch an der Angel. »Weil ich Magie gegen den See gewirkt habe.«

      Abwehrzauber. Wie ein Verteidigungsreflex. Langsam begannen sich Rians Gedanken wieder zu sortieren. Aber warum war David verschont geblieben?

      Weil er mittlerweile eine Seele in sich hat, blitzte die Erkenntnis in ihr auf. Die Magie schien nur gegen Elfen gerichtet zu sein.

      David kniete neben ihr. Vorsichtig schob er eine Hand unter ihren Kopf und legte die andere über ihren Arm. Rian lag auf der Seite, so als hätte sie sich zum Schlafen direkt an Ort und Stelle zusammengerollt.

      Mühsam versuchte Rian sich mit der Hilfe ihres Bruders aufzurichten. »Bist du in Ordnung?«, fragte sie, während sie sein Gesicht gegen den strahlend blauen Himmel zu fokussieren versuchte.

      Sein blondes Haar umrahmte Augen, Nase und Mund wie ein seidiger Vorhang und tauchte seine Züge in Dunkelheit. Doch in seiner Brust strahle sein Seelenherz so hellviolett, wie sie es noch nie gesehen hatte. Wie hypnotisiert starrte Rian auf das Licht und streckte eine Hand danach aus.

      »Träumst du von einem zweiten Frühstück?«, sagte David und hob schelmisch grinsend eine Augenbraue.

      »Ich bin nur ausgerutscht. Also hilf mir auf«, gab sie trotzig zurück, packte seine Schulter und zog sich an ihm hoch. »Bestimmt sollte der Zauber eigentlich dich treffen. Als Strafe für dein ungehobeltes Verhalten.«

      »Dann ist Nimue entgegen der Legenden offenbar doch alt und blind geworden«, entgegnete ihr Bruder und grinste noch ein bisschen breiter.

      »David! Das ist kein Spaß!« Rian wollte ihn umstoßen, doch ihr Bruder war schneller, machte in der Hocke einen Satz zurück und erhob sich dann lässig.

      Als sie nachsetzen wollte, hob er beschwichtigend die Hände. »Immerhin wissen wir jetzt, dass wir richtig sind.«

      »Eine Frage, die wir nicht gestellt hatten. Natürlich sind wir hier richtig. Es gibt nur diesen einen See, in dem Lancelot der Legende nach aufgezogen wurde. Das Gewässer, aus dem Artus sein Schwert erhielt.« Rian klang schon fast so wie Nadja, wenn sie wieder einmal etwas von ihrem gesammelten Wissen über die Mythen und Mysterien der Menschheit preisgab.

      Auch David schien diese Assoziation zu haben, denn sein Lächeln wurde mit einem Mal sanfter, fast wehmütig, bevor er die Brauen zusammenzog. »Nimue treibt ihre Spielchen mit uns, während Nadja irgendwo eingesperrt auf ihre Rettung hofft. Es ist so typisch für unser Volk. Typisch für all die Wesen, die in den Tag hineinleben, als gäbe es kein Morgen. Immer noch! Obwohl auch uns die Zeit in einen Wettlauf mit dem Tod eingereiht hat.«

      Jetzt war es an Rian, ihn sacht am Arm zu berühren. »Ich weiß, dass sie dir fehlt. Dass du nach Nadja suchen willst, mehr als alles andere. Und das werden wir. Sobald wir Nimue aufgesucht und ihr mit meinen Heilkräften geholfen haben.«

      David kniff die Augen zusammen. Erneut wurde das violette Leuchten heller, brannte sich förmlich in Davids Brust und wurde größer. Rian ahnte, was das bedeutete. Ihr Bruder hatte seine Seele ein weiteres Stück wachsen lassen. Damit kam er Nadja und dem Menschsein einen Schritt näher und entfernte sich gleichzeitig von Rian und seiner elfischen Familie.

      Für einen Moment sah es so aus, als würden Wut und Verzweiflung in ihm siegen. Doch dann entspannte sich sein Gesicht, er ließ die Schultern sinken und das Glimmen erlosch. »Wie also können wir höflich bei der Dame vom See anklopfen?«, fragte er mit einem müde wirkenden Lächeln.

      »Vielleicht funktioniert es zur Abwechslung mit Nachdenken«, entgegnete Rian, stupste ihn an und drehte sich schließlich wieder dem See zu.

      Was genau wussten sie über das Gewässer, über Nimue und das Schloss? Merlin hatte es angeblich in der Mitte des Sees erbaut. Einen prunkvollen magischen Bau. Aber er war nicht einfach nur unsichtbar für die Menschen. Er war nicht da für sie. Man konnte nicht gegen die Mauern des Schlosses prallen, und die Türme und Gebäude verdrängten kein Wasser. Vielleicht war es wie das Areal rund um das Zeitgrab, in der Dimension verschoben. Oder sogar in der Zeit?

      Rian bedauerte, dass sie Pirx und Grog beauftragt hatten, die Dunkle Königin zu verfolgen. Sie hätten ihr Koboldgespür gerade gut gebrauchen können.

      Hoffentlich geht es ihnen gut, dachte sie. Vor zwei Tagen hatten sie sich getrennt und nichts mehr voneinander gehört. Jeder hatte seine Aufgabe. Und ihre war es, in dieses Schloss zu kommen!

      Rian seufzte und wuschelte sich mit der Hand durch ihr kurzes blondes Haar. »Wie, verdammt noch mal, kommen wir da rein? Sie muss uns doch wenigstens einen Hinweis geben!«

      »Rian?«, sagte David mit seltsam belegter Stimme. »Es gibt da etwas, das ich dir nicht erzählt habe. Weil ich dachte, es wäre nicht wichtig. Oder vielleicht auch, weil ich mir nicht sicher war, ob ich zu halluzinieren anfange. Aber wenn das so ist, dann passiert es gerade wieder.«

      Rian drehte sich zu ihm um und folgte mit fragendem Blick seinem ausgestreckten Arm und dem Finger, der das Ufer entlang nach Süden deutete. Sie musste gegen die Sonne anblinzeln, die mittlerweile hoch am Himmel stand. Dem ersten Anschein nach war da nichts Besonderes. Doch ein leichtes Kribbeln in der Magengrube ließ sie genauer hinsehen.

      Mit zusammengekniffenen Augen, beugte sie sich vor, fixierte den Uferbereich auf der anderen Seite des Sees, dort, wo sich Strand und Wald in einer Reihe von Sträuchern trafen.

      Etwas Weißes schien dort zu kauern. Nicht viel größer als eine Ratte. Aber länglicher. Es bewegte sich einem Wiesel gleich durch das Dickicht, blieb immer wieder stehen und sah sie an. Es wirkte tatsächlich so, als würde das Tier zu ihnen herüberschauen.

      »Das weiße Hermelin im Sommer«, flüsterte Rian.

      »Die weißen Tiere«, fuhr David fort. »Der Hirsch, die Schlange, das Kaninchen und so weiter.«

      Sie kamen in vielen Geschichten rund um Merlin vor. Allerdings konnte er in diesem Fall nicht der Herr über diese magischen Gestalten sein. Denn der größte aller menschlichen Zauberer war schon seit Jahrhunderten gebannt und in der Zeit verloren gegangen. Was genau geschehen

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