Elfenzeit 6: Zeiterbe. Uschi Zietsch
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Читать онлайн книгу Elfenzeit 6: Zeiterbe - Uschi Zietsch страница 24
Edmond kniff die Augen zusammen und wünschte sich weit fort. Warum nur war er Wissenschaftler geworden? Warum dürstete er danach, den Menschen Wissen zu bringen, wenn die meisten es weder wollten noch verdienten?
»Wenn Sie nicht fähig sind, dieses Unglück zu stoppen, sehe ich mich gezwungen, Ihnen ab Montag die Wohnung aufzukündigen. Zu Ihrem und zu meinem Wohl wohlgemerkt. Wer weiß denn schon, was diesen Fanatikern als nächstes einfällt.«
Er hatte es kommen sehen, es in ihren Augen gelesen in den letzten Tagen, vielleicht auch schon Wochen davor. Schon da hatte sie mit dem Gedanken gespielt, ihn vor die Tür zu setzen, um sich den Ärger, den er neuerdings magisch anzog, vom Leib zu halten.
Aber sie hatte es bis jetzt nicht getan. Nicht ausgesprochen. Und das zeigte ihm, dass sie unter ihrem mit Schultertuch hochgeschlossenen schmucklosen Hauskleid sehr wohl ein weiches, liebenswürdiges Herz hatte.
Die Herzen sind Hüter unserer größten Schätze und gleichzeitig Erschaffer der ärgsten Gräuel, dachte Edmond bei sich. Es würde nichts helfen, mit Mistress Delainy zu diskutieren. Zu versuchen, es ihr auszureden. Wenn er die Wohnung behalten wollte – und das wollte er gewiss –, dann musste er sofort eine Entscheidung treffen.
»Ich werde mich an den Rat des Constable Johnson halten und die Stadt für ein paar Tage oder Wochen verlassen. Eine Reise nach Frankreich. Die Bretagne soll zu dieser Jahreszeit in geradezu magisches Licht getaucht sein. Der ideale Ort, um sich etwas Ruhe zu verschaffen und den Kopf frei für neue Ideen zu bekommen.«
Bei diesem Nachsatz zuckten die Mundwinkel der Vermieterin nach unten. Doch sie zwang sich zu einem Lächeln, als sie überaus freundlich fragte: »Ich wusste gar nicht, dass Sie dort Verwandte haben?«
Oh du Schlange! Habe ich dich eben noch liebenswürdig genannt? Berechnend bist du und unverschämt!, schoss es Edmond durch den Kopf, bevor er ebenso unverbindlich freundlich erwiderte: »Ein Kollege hat dort ein hübsches Anwesen und mich bereits vor einigen Tagen eingeladen, ihm dort über den Sommer Gesellschaft zu leisten und einige wissenschaftliche Dispute zu erörtern.«
»Der gute Sir Isaac Newton?«, wagte Mistress Delainy sich weiter vor. »Wie wunderbar. Ich habe gleich bei seinem ersten Besuch gemerkt, wie gut Sie sich miteinander verstehen. Nehmen Sie die Familie mit?«
Jetzt war es Wut, die alle anderen Gefühle in Edmond verdrängte. Er presste die Lippen aufeinander, unfähig, noch etwas Angemessenes zu erwidern. Stattdessen nickte er knapp und ging auf die Tür zu. Einfach nur, um dem Gespräch zu entfliehen, bevor er die Beherrschung verlor. Doch offenbar deutete Constable Donald Leonard Johnson die Annäherung als Interessenbekundung an dem eigentlichen Subjekt des allgemeinen Anstoßes.
»Straßenkater«, sagte er, während er weitere Notizen niederkritzelte. Und als Edmond nichts erwiderte: »War wohl schon tot, als man ihn dran genagelt hat. Zu wenig Blut.« Er deutete auf die kleinen Flecken am Boden. »Wahrscheinlich vorher erschlagen. So wie’s die Leute draußen auf dem Land tun, wenn die Mäuseräuber zu faul werden. Einfach an den Beinen packen und …«
»Constable, bitte!« Edmond schloss die Augen. Er war ein Tierfreund. Für ihn hatte jedes Lebewesen eine Daseinsberechtigung. Die Vorstellung, dass man es wie ein Stück nasse Wäsche gegen etwas schlagen könnte, ließ ihn innerlich erzittern. Die Menschheit war eine Bestie, schlimmer als jedes Raubtier, das in Büchern verzeichnet war.
»Verzeihen Sie, Sir«, sagte Johnson und mühte sich im nächsten Moment um besonders eifrige Pflichterfüllung. Er zählte die symbolischen Bedeutungen einer toten Katze auf und zog am Ende dieselben Schlüsse wie Mistress Delainy zuvor. »Solange die Sache mit der Sonnenfinsternis noch offen ist, erscheint es mir äußerst ratsam für Sie, unterzutauchen.«
Edmond rieb sich über sein Gesicht, drehte sich zur Straße und blickte über die vielen Menschen, die dicht gedrängt am Zaun hingen und gafften. »Ich verreise«, sagte er schließlich. »Mit dem Schiff. Gleich morgen früh werde ich mich erkundigen, wann das nächste Passagierschiff nach Frankreich ausläuft.«
Johnson hatte aufgehört, zu schreiben und stellte sich neben ihn. »Ist nicht leicht, die Speerspitze zu sein. Verstehen Sie, was ich meine? Sie stehen mit Ihrer Forschung ganz vorn in der ersten Reihe. Da trifft’s einen am härtesten. Da bekommt man sowohl die Kugeln ab, als auch die Bajonette. Die Ersten sind die mit der größten Leidenschaft. Weil sie sehenden Auges gegen den Feind anstürmen und sich für alle, die nach ihnen kommen, opfern. Aber manchmal ist es selbst in der ersten Reihe klug, innezuhalten und in Deckung zu gehen.«
Edmond spürte, wie der Constable ihm die Hand auf die Schulter legte und sie einmal kräftig drückte. Seine Worte waren auf so vielfältige Weise wahr. Und sie waren so tiefsinnig, dass sich Edmond fragte, wie ein Mann mit einem geradezu poetischen und wachen Geist ausgerechnet zu so einem Beruf kam. Er hatte ganz eindeutig mehr zu bieten als man ihm auf den ersten Blick ansah. Und vielleicht auch mehr zu verheimlichen.
Edmond wagte nicht, dem Constable in die Augen zu sehen. Aus Angst, sich selbst zu entblößen. Die Andeutungen von Mistress Delainy hatten deutlich gemacht, dass es in der Londoner Gesellschaft bereits genug Gerüchte um ihn und seinen besten Freund gab.
Verbrüderung im Geiste war das eine, eine körperliche etwas ganz anders. Und genau daran dachten sie alle, wenn es um solch abgenutzte Worte wie Liebe ging. Dabei gab es so viel mehr. Nuancen der Anziehung, Freundschaft, Zuneigung. Ganz ohne, dass dies in aufgewühlten Kissen und Decken enden musste. Erfüllung ließ sich auf so viele Arten erreichen. Selbst über die Distanz hinweg. Trotz all des Fortschritts dieser Tage, gab es andererseits noch so vieles, das steinzeitlich und festverwurzelt war.
Es dauerte eine weitere quälend lange Stunde, bis der Constable schließlich genug mögliche Indizien und Spuren aufgenommen hatte und die Katze endlich abgehängt werden konnte. Langsam aber sicher zerstreute sich das Publikum. Edmond wollte gerade ins Haus gehen, als er in einem Hauseingang schräg gegenüber eine Gestalt in Kutte und Kapuze zu sehen glaubte.
Sein Puls schnellte in die Höhe. Sollte er Johnson von den anderen Vorkommnissen erzählen? Unschlüssig blickte er zwischen dem Constable und dem Häusereingang hin und her. Doch auf den zweiten Blick war der Hauseingang dunkel und leer.
Edmond hielt vor Anspannung die Luft an und ging ohne weitere Abschiedsworte auf sein Zimmer, um seine Koffer zu packen.
11.
Salziger Nebel
London – Sonntag, 28. April 1715
Am Morgen wartete Edmond sicherheitshalber ab, bis der aufkommende Tag das Dunkelgrau in den Straßen vertrieben hatte. Dann holte er den alten Mantel mit dem Notgroschen in der Tasche aus dem Schrank, entstaubte ihn, schlang sich zusätzlich einen vergilbten Seidenschal um den Hals und zog sich den Hut tief in die Stirn.
Das Frühstück von Mistress Delainey stand unberührt auf dem Schreibtisch. Die Erlebnisse und Bilder des gestrigen Abends hatten ihm auf den Magen geschlagen. Bis in seine Träume hatten ihn die Unholde und Schattengestalten verfolgt. Immer noch glaubte er, das dissonante Schreien von Katzen zu hören, die ihn in Scharen von den Hausdächern herab anstarrten. Schwarze Ungetüme mit leuchtend gelben Augen und spitzen Zähnen.
Auf dem Weg zum Hafen achtete er darauf, so gut wie