Elfenzeit 6: Zeiterbe. Uschi Zietsch
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Bis zum berechneten Termin für die Sonnenfinsternis blieben ihm noch ganze fünf Tage. Er würde also doppeltes Glück brauchen, um ein Schiff zu finden und zudem genug Wind auf der Überfahrt zu haben, damit sie die Strecke im besten Fall in zwei oder drei Tagen schaffen konnten. Im schlechtesten würde es bis zu einer Woche dauern. Doch daran wollte er gar nicht erst denken.
Einige Zeit irrte er an den Anlegestellen entlang und fragte bei den Schiffen nach, wohin sie führen, bis er endlich Glück hatte.
»Im Morgengrauen legen wir nach Saint-Malo ab«, informierte der Quartiermeister unerwartet freundlich. »Sie haben besonderes Glück, denn wie Sie sehen, ist die Santa Cruise das neueste Modell, äußerst windschnittig und wendig. Die meisten setzen ja mehr auf Gediegenheit, aber wenn Sie es wagen wollen, bekommen Sie einen Vorzugspreis.«
Ja, Edmond hatte schon von diesem schnellen neuen Typ namens Schoner gehört, der zum ersten Mal in Amerika vom Stapel gelaufen war, und auch, dass einige gekentert waren. Als ehemaliger Kommandant eines Kriegsschiffs während einer Expedition war er bedeutend stärkere Schiffswände und einen robusteren Aufbau gewöhnt, aber da er Neuem gegenüber stets aufgeschlossen war, wollte er das Risiko eingehen.
Die frühe Passage bedeutete, dass er im Dunkeln durch die Straßen zum Hafen würde laufen müssen. Nicht gerade das, was er sich unter den gegebenen Umständen wünschte. Doch mit etwas Glück würde der Notgroschen für die Überfahrt und zusätzlich für eine Droschke reichen. So hoffte er zumindest.
»Dann werde ich es wagen«, sagte er, auch wenn ihm ein wenig mulmig dabei war. Andererseits – die ständige Gefahr, in der er sich befand, war weitaus lebensbedrohlicher.
Am liebsten hätte er sich gleich auf dem Schiff einquartiert, aber das wurde rundheraus abgelehnt, weil noch eine Menge vor dem Ablegen zu erledigen sei, und da würden Landratten nur stören.
So sehr man also darauf erpicht war, Passagiere anzulocken, so zuvorkommend war man denn doch nicht mehr, sobald die Koje belegt war. Edmond grinste schief, stellte den Irrtum, dass er keine Landratte war, nicht klar, und machte sich auf den Heimweg.
Der nächste Morgen versprach, ungemütlich zu werden. Von der Sonne war längst noch nichts zu sehen, als Edmond, in seinen Mantel gehüllt, die Reisetasche in der Hand, nach draußen trat.
In den Straßen hing der typische Londoner Nebel. Der Himmel war bedeckt und sternenlos. Irgendwo in der Nachbarschaft bellte ein Hund. Ein Scheppern erklang. Dann war es wieder still.
Edmond hatte sein Kleingeld am Abend genau gezählt und einsehen müssen, dass es nicht genug war, um sich ein wenig mehr Komfort und Sicherheit zu kaufen. Das Geld auf der Bank würde er für solch eine Angelegenheit nicht anrühren. Schließlich hatte er trotz allem eine Familie zu versorgen. Also schloss er den Mantel, packte seine Tasche fest und lief in schnellem Schritt die Straße entlang Richtung Hafen.
Er achtete darauf, in der Mitte der Gassen zu laufen, solange er keinem Karren ausweichen musste. In einigen Hauseingängen und Hinterhöfen standen Gestalten herum oder kauerten am Boden. Streuner und Landstreicher. Aber keiner schien sich sonderlich für ihn zu interessieren.
Noch schliefen die Stadt und die Heimatlosen, die zu ihren Füßen hausten und sich von Abfällen und hingeworfenen Almosen ernährten.
Das Geräusch von Schuhsohlen auf dem Straßenpflaster ließ seine Gedanken abrupt ins Hier und Jetzt zurückkehren. Schweiß brach ihm aus. Angst kroch ihm das Rückgrat hinauf und ließ Gänsehaut auf seinen Armen wachsen. Er wagte nicht, sich umzudrehen oder anzuhalten. Stattdessen beschleunigte er seinen Gang, lief beinahe. Etwas, das zu einer unschönen Angewohnheit wurde.
Doch auch die verfolgenden Schritte beschleunigten. Dissonant diesmal. Waren es zwei Personen? Oder drei? Gehetzt blickte Edmond nach vorn. Die reglosen Gestalten in den Hauseingängen schienen gespannt den Atem anzuhalten und ihn zu beobachten. Eine Ratte huschte direkt vor ihm über die Straße. Das Fell ölig-glänzend grau.
Edmonds Gedanken überschlugen sich. Wie konnte er sich schützen?
Kaum zu Ende gedacht, mischte sich hinter ihm das Klappern von beschlagenen Pferdehufen in die Geräuschkulisse. Zügel schnalzten. Die Tiere steuerten im schnellen Trab auf ihn zu. Und endlich wagte Edmond es, sich umzudrehen – gerade noch rechtzeitig, um mit einem Satz zur Seite zu springen und der Kutsche auszuweichen! Das heitere Lachen und Kichern aus dem Inneren ließ auf Amouröses schließen. Also kein Anschlag. Alles nur Einbildung. Oder?
Edmond blieb stehen und lauschte. Das Pferdegetrappel entfernte sich rasant und war bereits kaum mehr zu hören. Stattdessen waren da wieder Schritte, die fest auf das Pflaster traten, wie bei jemandem, der es eilig hatte und zielstrebig auf etwas zusteuerte.
Und diesmal sah er sie. Zwei dunkel gekleidete Männer mit Dreispitz und Mantel, die links an der Häuserwand entlang auf ihn zukamen. Edmond dreht sich panisch um und lief los. Bis zum Hafen war es nicht mehr weit. Vielleicht würden sie ihn verschonen, wenn es zu viele Zuschauer gab. Tagelöhner, die die Schiffe beluden, oder Fischer, die für den ersten Fang des Tages ihr Boot fertigmachten.
Doch bevor er die Anlegestellen erreichen konnte, tauchte vor ihm eine vermummte Gestalt in grauem Umhang und Kapuze auf. Sie hatten ihn in der Zange!
Ohne nachzudenken, schlug sich Edmond in eine schmale Seitengasse, drängte sich durch die noch geschlossenen und verbarrikadierten Stände der Straßenhändler und setzte seinen Weg in einem kopflosen Zickzackkurs fort, bis er wie durch ein Wunder unbescholten doch noch weiter östlich die Kaimauer erreichte.
Während er lief, wich die Schwärze der Nacht allmählich einem schmutzigen Blaugrau. Der Nebel zog sich übers Wasser zurück. Die Schatten wurden kleiner. Öllampen tauchten die Kisten und Säcke, die an den Entladestegen warteten, in vereinzelte Kegel aus Licht. Je näher Edmond den Schiffen kam, umso mehr Menschen waren unterwegs.
Matrosen hingen in den Wanten der Schiffe, kümmerten sich um die Ladung oder schrubbten die Decks. Das Schwappen der Wellen an die Piers, die ersten Schreie der Möwen und die Kommandos der Offiziere übertönten Edmonds Panik.
Keuchend und nassgeschwitzt hielt er inne und wagte erneut einen Blick zurück. Niemand war zu sehen. Keine Verfolger. Am Bootssteg saß ein Bootsmann auf einem Fass. Edmond nannte seinen Namen und erklärte ihm, dass er eine Passage gekauft habe, und der Mann winkte ihn schweigend durch.
Edmond atmete durch. Endlich in Sicherheit. Mit der freien Hand griff er das Haltetau, um über den Steg an Bord zu gehen. Auf dem Schiff roch es nach nassem Holz, Seife und Salz. Der Wind wehte in einer kräftigen Brise von Nordost und ließ die englische Flagge auf der Spitze des Frontmastes flattern.
Der Quartiermeister wartete oben, nahm das verabredete Geld in Empfang und deutete ihm mit einem Fingerzeig den Weg zu seiner Kabine.
Edmond hatte es nicht eilig, dorthin zu kommen. Er fühlte jetzt, da er in Sicherheit war, die Aufregung, die einen beschlich, wenn man zu einer Reise aufbrach. Dieser Kitzel des Abenteuers. Die Möglichkeit, etwas Neues zu entdecken und seinen Horizont zu erweitern.
Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen, trotz des ganzen Verdrusses. Er würde zu Isaac fahren! An einen Ort, wo sie für sich sein konnten. Sich geben konnten, wie sie wirklich waren, ohne auf die Augen und Ohren anderer achten zu müssen.
Die Sonne blinzelte über den Horizont, als die Santa Cruise ablegte. Ein langer Pfiff ertönte, der Steuermann bellte den Matrosen Befehle zu und sofort griffen die eingespielten Rädchen ineinander.