Der Gang durch das Ried. Elisabeth Langgässer
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II
zwei holzfäller, welche an diesem Tag in der Nähe der Schießstände rodeten, hörten jedesmal ein Echo, wenn ihre Axt einschlug. Sie machten einander aufmerksam und glaubten jetzt auch die Schläge, es war aber mehr ein Hämmern, für sich allein zu hören. »Ein Schwarzspecht!« lachte der Ältere und meinte damit einen Holzdieb, einen der Arbeitslosen, deren Väter schon im Ruhrkampf das kurze Beil ergriffen und sich in Rudeln aufgemacht hatten, in die schwarze »Tanne« zu gehen – nicht um die Liktorenbündel der Fremden aufzulesen, sondern weil die Grenze gesperrt, die Ruhrhilfe ausgeblieben und das Blut jener Männer aufgepeitscht von ruhelosem Warten, Gewehrfeuer und Erinnerung an den Schützengraben war. Er starrte nach einem Föhrenschlag hin, der, mit Birken untermischt, von kleinen Espenbüschen, die noch ein wenig Laub an den rötlichen Stengeln trugen, am Fuße aufgehellt wurde: der Himmel darüber klärte sich und wehte in Wolkenschleiern wie ein Fahnenwald auseinander.
»Ja«, redete er weiter und schlug nun seinen Gedankenfaden in das vermorschte Gewebe entwanderter Standarten, »das Räubern ist jedem im Rock und unter der Haut geblieben, der den Ruhrkrieg miterlebt hat.« Er lachte, nahm Dörrfleisch und Brot aus dem Rucksack und hielt eine braunumfilzte, französische Feldflasche hoch, die mit heißem Kaffee gefüllt war. Sie setzten sich auf die brüchigen Stümpfe zweier gefällter Bäume, verzehrten ihr Vesperbrot. Der Jüngere kratzte gedankenlos die eisgraue Flechte ab, blies einen Borkenkäfer von der gekrümmten Hand und fragte gelangweilt hin: »was hattet ihr bloß davon? Reich geworden ist doch keiner durch diese Narretei.«
»Darnach hat auch niemand gefragt«, versetzte der andere Mann; »es juckte uns eben an Händen und Füßen, als ob wir Krätze hätten, so haben wir uns gescharrt. Wer über das Lager kam, grub Spitzkugeln aus, bis der Hosensack schwoll, oder band sich, wenn er ein Weibsbild war, Patronentaschen unter, daß der Bauch wie im sechsten Monat vor seinem Schürzenband stand; wir waren auch neugierig, weißt du, hinter andere Türen zu sehen, und mancher hat damals den Dietrich in fremde Schlösser gesteckt.«
Sein Kamerad sagte gierig: »ihr hattet das schönste Leben, und wenn man über dem Dorf ein Dach errichtet hätte, so war es ein Hurenhaus.« Er nahm eine Speckseite, schnitt hinein und ließ langsam das schartige Messer durch das durchwachsene Fett und den glänzenden Knorpel knirschen.
Der Ältere wollte lachen; besann sich und rückte die Mütze von dem einen aufs andere Ohr. »Wie soll ich dir das erklären –?« sagte er dann gequält. Sie aßen stillschweigend weiter und bliesen die Krümel ab, als sie gesättigt waren; zogen Pfeifchen hervor und rauchten, belauerten sich tief.
»Du wirst es mir nicht glauben«, murrte endlich der Ältere, »daß kein Vergnügen dabei war.«
»Es juckte euch nur eben«, höhnte feindlich der junge Bursche und griff nach seiner Axt. Sie nahmen von neuem die Arbeit auf und hörten erst an dem eigenen Schlag, daß der Fremde dort drüben verstummt war. Darüber betroffen, hielten sie ein und sahen einander an.
»Es ist nicht geheuer im Walde«, bemerkte der junge Fäller. »Das ist es noch niemals gewesen«, versetzte der andere Mann.
Er legte den Kopf zurück, schnupperte: »riecht es schon wieder nach Morcheln?«
»Nach Morcheln . . .?« fragte zitternd der Bursche.
»Dann schaukelt ein Selbstmörder hier in der Tanne und fällt jetzt stinkend vom Fleisch.«
»Und der Kopf klappert gegen den Baumstamm?« »Nein – das nicht. Es geht ja kein Wind.« Der Ältere schaute starr in die düstere Fichtenschonung. »Es ist gar nichts . . .« er wandte sich um und sah den Burschen an. »Du hast ja noch Sommersprossen . . .« aus dem käsigen Antlitz des Jungen traten braunrote Pünktchen hervor, seine Nase war spitz geworden und stand für sich allein. »Man sollte es nicht glauben«, sagte der andere, »daß alles wiederkommt, was die Gegend einmal gesehen hat und die Erdlöcher eingeschluckt haben. Dort, wo wir die Schläge hörten, ist ein zugeschütteter Fuchsbau – ich habe selber geholfen, den Sand darüber zu schütten –, in dem ein ermordetes Kind von dem Lagerverwalter gefunden wurde. Es war ein kleines Mädchen, entsetzlich zugerichtet, du kannst dir denken, wieso. Am ärgsten sahen die Sohlen aus; es hatte keine Schuhe und mußte gejagt worden sein. Ein Glück, daß es nicht in das Dorf gehörte, sondern in eine Wagenfamilie, die damals schon weitergezogen und über der Grenze war. So wurde nicht erst Untersuchung gehalten. Die Belegschaft wechselte bald darauf, und wir alle hatten Schlimmes genug, jetzt und im Weltkrieg, gesehen, um das Schlimmere rasch zu vergessen.«
»Und machtet neue Kinder, von denen niemand gewußt hat, wer denn ihr Vater war«, ergänzte der andere. Der Kamerad sah betroffen auf das Werkzeug in seiner Hand. »Was nützt es, den Vater zu kennen«, erwiderte er dann. »Du weißt doch, daß wir uns hier im Ort nur nach der Mutter nennen, wie das schon immer so war, und mancher erst bei der Hochzeit den richtigen Namen erfährt, der in der Rolle steht. Nun, dazumal, in dem Ruhrkrieg, ging alles durcheinander, wie Tiere in dem Wald. Wir räumten fremde Äcker ab und schliefen bei fremden Weibern; wir haben kreuzweis geschlafen: die Mutter versuchte den Schwiegersohn, bevor ihn die Tochter hatte, und wieder kurz danach. So wurden sie beide schwanger, und ihre Kinder, das weißt du ja selbst –«
». . . heißen Zwillinge«, sagte der Jüngere kurz. »Manchmal denke ich, alles war nur geträumt«, fuhr der erste undeutlich fort. »Und sehe ich drüben die Lagerhäuser, so kneife ich mir in den Ellenbogen und weiß nicht, was es bedeuten soll, daß sie noch immer dastehen.«
»Ach, Träume sind Schäume«, sagte der Bursche.
»Ja, Schäume . . .«, erwiderte jener, »doch wer den Feldwebel fortbläst« – er meinte damit nach