Der Gang durch das Ried. Elisabeth Langgässer

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Der Gang durch das Ried - Elisabeth Langgässer

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Halstücher sorgsam zusammen und machte sich Notizen in einem Büchelchen, warf Geld auf die Platte und zählte, verschloß einen Teil des Geldes in einem Tannenschrank, neben welchem ein ganz zerschlissenes, antikes Damastsofa stand, hob sich langsam und fast genußvoll auf seine Zehenspitzen und wollte eben die Lampe löschen, als er das fremde Gesicht an den niederen Scheiben gewahrte und vor Schrecken versteinerte.

      Der Arbeiter legte beide Arme auf die verwitterte Fensterbrüstung, nahm sich Zeit und klopfte dann an.

      »Echte Seide! Seide mit Wolle, mein Härr! Alles preiswärt, alles billis, direkt aus Paris gekommen«, sagte der Jüngling zitternd, indem er öffnete.

      An dem Akzent und dem Sprüchlein erkannte der Arbeiter ihn. »Ach, Mohammed!« rief er leise, »hier wohnt der Krawattenprophet?«

      »Selbstbinder? Schal unters Mäntelchen? Feine Sokken?« drängte der Junge und hielt auf gebogenen Armen die schlechte Hausiererware inbrünstig zum Fenster hinaus.

      Der Arbeiter warf seinen Rucksack zur Erde und knöpfte die Jacke auf. »Gib her . . .« er schlang einen Selbstbinder um und knotete ihn gefällig, legte mehrere Tücher darüber und schlug die Jacke zu. »Allons!« rief er dann lustig und wandte sich zum Gehen.

      »Drei Mark und zwansig«, sagte der Knabe und bebte an allen Gliedern. »Swei Mark und neunsig«, er schluchzte und hielt den andern am Ärmel fest, »Swei Mark und fünfzig, mein lieber Härr – für armes Marokkaner!« »Weiß die Gemeinde, daß du hier wohnst, und hast du einen Hausiererschein?« fragte der Holzfäller grob. »Komm heraus!«

      Der Junge löschte die Lampe und erschien in der offenen Tür. Er hatte jetzt einen Rohrstock mit dicker Elfenbeinrose forsch unter das Kinn gedrückt, ein heller Filzhut saß schief auf seinem duftenden Köpfchen. Der Arbeiter hakte ihn unter und fragte spöttisch, wohin. Weil er die Taschenlampe nicht wieder angezündet und der Mond seine Bahn an dem Himmel noch nicht begonnen hatte, war es stockfinster um beide. »Gehst du tanzen oder . . .« er strauchelte und riß den andern zu sich; der Körper des Braunen war leicht und zart, fast tierhaft in den Hüften und bebte wie Birkenlaub. »Ja«, seufzte Mohammed leise. »In die Waldklause?« »Nein, in den Felsenkeller.« Der Marokkaner atmete rasch und fing stärker zu zittern an. »Nicht verraten den kleinen Mohammed«, bat er mit schmeichelnder Stimme. Der Holzfäller keuchte, den Mund an Mohammeds Rosenohren: »ist die Laura noch auf dem Lager? das schwarze Hurenmädchen?« Der Braune blieb stehen, besann sich und sagte schlau: »vielleicht.« »Und wohnt noch neben der Kirche?« Der Marokkaner lief schneller und strebte der Landstraße zu. Dort habe er sie zuletzt gesehen, doch von ihr selber gehört, sie wolle zum Varieté, und wenn ihr das nicht glücke, in einem Rheinrestaurant Toilettenfrau oder Spülmädchen werden, vielleicht auch den Winter über mit Seife hausieren gehen. Sie waren nun unter den großen Platanen in der Nähe der Querstraße angelangt und hörten schon von ferne Geräusche der Chaussee. Nein, wenn er es recht bedenke, sei sie wohl nicht mehr hier, das heißt, es wäre wohl möglich, daß das Frühjahr sie wiederbringe, wie sich denn keiner zu trennen vermöge, der einmal hier gewesen und über das Lager gegangen sei . . . Indem er noch redete, war der Braune schon unsichtbar geworden; seine Stimme schlug um die Ecke . . . verhallte in dem Wind . . . Genarrt, empfand sich der Arbeiter ohne richtige Auskunft zurückgeblieben, stieß mit dem Fuß an die Bretterplanke, die das Lager westlich begrenzte, und knurrte böse: »warte!« Hierauf besann er sich, mochte nicht wieder auf die Chaussee zurück und von diesem und jenem angesprochen oder begleitet werden, bog also nach links zu dem früheren Wirtschaftsteil ab, um einen Weg zu verfolgen, der über die Felder hinweg parallel mit der Landstraße lief, und kam an den blassen Häusern dieses seltsamen Viertels vorüber, das einst die Bedürfnisse deutscher, hierauf französischer Truppen befriedigt und das Bordell, eine Fotobude, einen Kramladen, Wirtshäuser, Wirtshäuser und noch einmal Wirtshäuser eingehegt hatte. Auch eine Schauspielertruppe war hier ständig zu Gaste gewesen. Noch stand, von einer Laterne erbarmungslos erleuchtet, das Wort »Vergnügungs-Etablissement« in seiner ganzen Verrücktheit auf einem windschiefen Schilde, das über dem schmutzigen Eingang zu einer Schenke hing. In diese Häuser ergoß sich der Strom der Sonntagsgäste aus dem benachbarten Dorf: in die »Patronentasche«, den »braven Kanonier« und die anspruchsvolleren Baulichkeiten, die sich Hotels zu nennen wagten und an Wochentagen als Absteigebuffs, als Mineralwasser- und Bonbonsfabriken und Abdeckereien für Hunde, Katzen und heimliches Schlingenwild dienten.

      Hier und dort brannte Licht in den Kellern und warf die bewegten Schatten von allerlei Geräten, von Kolben, die unten stießen, und Obstweinkeltern hinaus. Verschiedene Gerüche wehten schlaff mit dem Wind vorüber und schienen aus Totenstuben zu kommen, wo die geputzte Leiche sich mit den Düften der Blumenkränze und des schmelzenden Wachses vermischt; ein Grammophon wimmerte leise und erstarb mit ängstlichem Quietschen. Die Straße endigte hier, und das flache Feld nahm den Arbeiter auf. Sturm heulte über die Fläche und kam von Süden her, wo sich der große Schießplatz, dürr, unfruchtbar, erstreckt. Ein paar kleinere Häuser und Hütten gingen mit auf die Äcker hinaus. Sie standen wie Eigenbrötler verlassen an dem Rande und gehörten weder dem Lagergebiet, noch auch dem Dorfe an; hatten steinerne Zwerge, Rehe und abgeschlagene Vasen in ihren Gärten stehen und Beete, welche, wie Gräber mit Muschelstein eingefaßt, an den vier Ecken mit Blumenstöcken töricht bezeichnet waren.

      Hierauf kamen Dickwurzäcker, sehr lange hölzerne Wände, hinter welchen der Arbeitersportplatz lag, und wieder Äcker, Gärten mit glasbedeckten Beeten; es rückten die ersten Häuser, helläugig, sauber verputzt heran: die Eigenheime der Schlosser, Dreher und Werkmeister in den Fabriken der Stadt; mit dem Geld von Bausparkassen errichtet; mit Darlehen, Hypotheken belastet, erfüllt mit Kindergeschrei . . . Die elektrische Bahn lief vorüber und hielt an der Wartehalle. Erschöpfte Frauen und Mädchen mit schäbigen Baskenmützen, Kattunschürzen, Körben am Arm, stiegen, lärmend vor Müdigkeit, aus. Daß nicht das Hausdach zusammenstürzte und die Schulden den Stein, das Sparrenholz, die Eisenschlösser fraßen, war dieser Weiber Verdienst. Den Weltkrieg, den Ruhrkampf nützend, hatten alle auf Ameisenwegen geschmuggelt, gehamstert, gehandelt, den Akker umgewühlt; sie waren zeit ihres Lebens mit Lasten bepackt gewesen, die dreimal so schwer wie sie selbst, sorgfältig überdeckt, duftend und dunkel waren; den Marktkorb auf ihrem Scheitel, ein paar andere in der Beuge der hart gewöhnten Arme, das Geld auf gedunsene Leiber geschnallt und unter ihnen ein Kind verwahrend, hatten Arbeit und Fruchtbarkeit abgewechselt wie Regen und Sommerhitze. Wo ihre Hände gruben, sproßte Sellerie, Dill und Lauch. Sie brachten die ersten Radieschen, Salat aus den Mistbeeten, Stiefmütterchen auf die Großstadtmärkte der Gegend und kamen mit Steckzwiebeln, Blumensamen, den Rhein herunter, herauf. So waren sie tüchtig, erfahren in allen weltlichen Dingen. Den Alten wuchs auf der Oberlippe und unter dem Kinn ein Bärtchen wie Schnittlauch in der Scherbe; den Jungen trieben die Füße aus, sobald sie tanzen gingen, und die weißen, kräftigen Brüste, wenn sie erst mannbar wurden. Ihre Burschen holten sie sich aus der Umgebung der Markthallen, Stände und kleinen Bahnhofsgebäude, aus den Vororten Frankfurts, aus Mainz und Worms und meldeten meist nach dem ersten Kind, oft nach dem zweiten und dritten, ihr Verhältnis beim Standesamt. Umherschweifend, blieben sie gleichwohl der sandigen Erde verhaftet, die immer wieder durchwurzelt wird, so viele Körner der Wind auch entführt: sie liebten in ihren Söhnen die männliche Kraft ihres Schoßes und nahmen von ihnen Rat und körperliche Hilfe mehr als von dem Gatten an . . . »Val’tin!« Der Arbeiter wandte sich um und sah seine Schwiegermutter, eine mächtige alte Frau, auf ihn zugewatschelt kommen. Ihr Gesicht war mit fleischigen Warzen besteckt; eine davon stieß oben am Scheitel, wo das Haar sich lichtete, porig und grau gebüschelt heraus. Obwohl er seit Jahren verwitwet war, sank der Arbeiter leicht in den Knien ein und nahm ihr die Körbe ab. Sie waren leer, ineinandergeschoben, indessen die Geldkatze prall an dem schwappenden Gürtel hing. Auch andere Männer kamen herzu, die Arbeitslosen des Dorfes, welche fleißig zu Hause hockten, den Kindern die Suppe brachten, sie wuschen, striegelten, fütterten, Spinat gesäubert, Rüben gebündelt, Kaninchenställe gezimmert und den Auslauf der Hühner erweitert hatten . . . Nun verstauten sie, was die Frauen im Schwung herüberreichten, auf ihren Handkarren, banden es fest und trotteten hinter den Weibern her, den abgerackerten Ehefrauen, den Mädchen, denen die

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