Marienbrücke. Rolf Schneider

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Marienbrücke - Rolf  Schneider

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deswegen eher zum Ausweis für die Gesinnungstreue, das wolle man aber auch so sagen, es müssten nicht vaterländische Gründe vorgeschützt und statt dessen eine gesetzliche Verordnung erlassen werden. Der Obmann hörte das an. Er wusste eine passende Antwort nicht. Robert blieb bei seiner Weigerung. Der NS-Blockwart unternahm keinen weiteren Besuch in der Sache.

      Die dunkle Verachtung, die Robert seiner Existenz wegen auf sich zog, ließ seinen Sohn Jacob nicht aus. Der sehnte sich insgeheim, ein gewöhnliches Leben zu haben wie andere Jungen. Manchmal wurde er eingeladen, zu einer Geburtstagsfeier, dort gab es Mütter und Großmütter, auch Geschwister. Bei ihm daheim gab es immer bloß Gerda, die nach verbranntem Tabak roch und mit heiserer Stimme redete.

      Nicht einmal Gerda gab es dann mehr. Sie wurde verehrt von einem Fliegerleutnant, der häufig mit einem Strauß Rosen vor der Tür von Roberts Wohnung wartete. Schließlich ging Gerda fort, um ihren Luftwaffenoffizier zu heiraten. Nicht lange danach zog Robert mit Jacob aus Chemnitz fort.

      7

      Kersting erwarb eine Benutzerkarte für die Österreichische Nationalbibliothek. Sie wurde ihm ausgestellt ohne viel Aufhebens. Die kleine braune Pappkarte würde ihm Eintritt in den Lesesaal und die Lektüre dort erhältlicher Bücher sowie die Herstellung von Fotokopien ermöglichen.

      Zuvor würde er seinen Mantel in einem Schrank verschließen. Der Lesesaal war in der Ausdehnung groß, in der Stimmung feierlich und etwas verschlafen. Er roch nach trockenem Staub und vergilbten Folianten. Kersting liebte die Lesesäle in alten Bibliotheken.

      Wenn er das Gebäude verließ und auf die Freitreppe trat, sah er direkt über sich den Balkon, auf dem 1938 Adolf Hitler gestanden hatte, um zu den Wienern zu reden. Statt wie jetzt mit wartenden Fahrzeugen war der riesige Platz damals angefüllt gewesen mit Zehntausenden von Menschen, die genaue Anzahl hatte niemand je ermitteln wollen. Die beiden pompösen Heroendenkmäler in der Platzmitte stellten den Prinzen Eugen dar und den Erzherzog Carl, Sieger gegen Napoleon in der Schlacht bei Aspern. Die Reiterstandbilder waren Arbeiten eines geisteskranken Bildhauers namens Anton Dominik Fernkorn, der zur Zeit ihrer Fertigstellung schon im Irrenhaus saß. Zuletzt wurde erforderlich, dass man ihn für einige Stunden am Tag in seine Werkstätten entließ. Fernkorns Atelier hatte später der Maler Hans Makart übernommen, dessen riesige Historien- und Festbilder das ästhetische Entsetzen von Leuten wie Josef Hoffmann und Adolf Loos waren.

      Kersting ging weiter durch die Alte Hofburg. In den Höfen roch es nach süßlichem Pferdeurin, Folge der hier unentwegt paradierenden Fiaker. Kersting wusste, über eine der dämmerigen Stiegen war Mary Vetsera zu ihrem Geliebten Rudolf geschlichen, das gierige Nymphchen zu dem todessüchtigen Erben eines morbiden Riesenreichs. In der kleinen fensterlosen Trafik standen beieinander zwei Kutscher. Sie hatten ihre Bowler ins rote Genick geschoben. Sie hielten Henkelgläser mit Silvaner in den Händen. Aber’s hat ja so kommen müssen, Wein gaberts ja noch gnua, sagte der eine. Das Gelächter des anderen klang wie eine Entleerung. Die lächelnde Trafikantin schnitt Faschiertes in Scheiben, die sie, eine nach der anderen, auf eine Waage legte. Kersting probierte die Vorstellung, er würde ständig in Wien leben.

      Die Gluckgasse lag in der Inneren Stadt. In der Nähe befand sich der Neue Markt mit der Kapuzinerkirche und der Kapuzinergruft, wo die Gebeine der Habsburger beigesetzt waren in steinernen oder erzenen Sarkophagen. Wo die Besucher, in täglichen Strömen eingelassen, teilhaben konnten an der Wiener Neigung zu schauriger Erhabenheit und pompösem Sterben.

      Die einfachen Wiener Gaststätten machten ihre täglichen Angebote bekannt durch Holztafeln mit Kreideaufschriften, hingestellt neben die Eingänge. Das Beißl an der Gluckgasse befand sich im Souterrain. Man musste von der Straße her Stufen hinabgehen, um einzutreten. Die Speisekarte versprach eine fette bäuerliche Küche, die träge, widerstandslos, auch bösartig machte. Jetz sauf i mi ein, sagte an Kerstings Nebentisch ein dicker Mensch, als die Serviererin ein mit Veltliner gefülltes Viertelliterglas vor ihn hinstellte. Er trug einen grauen Vollbart über einem geöffneten Hemdkragen. Er war vielleicht ein Künstler und benahm sich gemäß den Vorstellungen, die in Wien von Künstlern existierten.

      An Kerstings Tisch saß eine junge Frau. Sie stocherte in ihren gerösteten Nierndln. Unvermittelt ließ sie Kersting wissen, dass sie das Kesseltreiben gegen den österreichischen Bundespräsidenten unerträglich finde. Was immer der Waldheim getan habe, es sei jedenfalls unmöglich, dass ein ordentliches Staatsoberhaupt auf den Druck der Straße hin oder wegen Einflussnahme aus dem Ausland sich sein Amt aberkennen lassen müsse. Weil, da würde bloß die Selbstachtung von einem Staat angegriffen und natürlich von dessen Bevölkerung. Bei anderen Ländern gebe es das auch nicht, bitte, des könnens nur mit uns machen. Nein, erwiderte höflich Kersting und nannte den Fall des früheren US-amerikanischen Präsidenten Nixon. Die junge Frau wiegte zweiflerisch ihren Kopf. Sie hatte davon vielleicht gehört, aber sie erinnerte sich nicht mehr genau. Übergangslos bestellte sie sich einen ungespritzten Wein. Woher Kersting kam? Berlin. Na Servas. Die junge Frau war in Berlin gewesen. Sehr sonderbare Stadt und von wegen Berliner Luft. Die Kellnerin räumte hastig das Geschirr fortgegangener Touristen beiseite. Wieder ohne Übergang: Politik sei eine dreckige Sache, und wer sich damit einlasse, wolle sowieso bloß seinen persönlichen Vorteil. Kersting wusste keine Entgegnung, die Frau wollte auch keine hören. Sie verlangte nach ihrer Rechnung. Als sie aufgestanden war, sah Kersting, dass sie mit dem linken Bein lahmte.

      In dem Studentenhotel begegnet ihm, als er den Lift verließ, auf dem Korridor ein junger Mensch, der in der rechten Hand einen kleinen gläsernen Kaffeekrug hielt und in der linken einen Teller mit gebutterten Weißbrotscheiben. Unter dem rechten Arm trug er eine Tageszeitung, blaue Balken im schwarzweißen Schriftbild, Kersting las die Wörter Bundespräsident Waldheim wird nicht. Der junge Mann war bleich und offenbar übernächtigt. Das Haar hing ihm schwarzsträhnig in die Stirn. Er trug eine Brille mit starken Gläsern. Er fiel Kersting auf wegen seiner etwas ungelenken Bewegungen.

      8

      In das Weichbild von Grotenweddingen ragten von Ferne sichtbar drei Berge. Aus einem von ihnen wuchs eine pompöse Schlossanlage. Die Obstbaumblüte geschah hier zwei Wochen später als beispielsweise in Chemnitz, und der andere Unterschied zu der Stadt, aus der Jacob und Robert kamen, waren die Dächer, die in Chemnitz aus Schiefer bestanden und hier aus rot gebrannten Ziegeln. Die darunter befindlichen Häusermauern waren in Grotenweddingen Fachwerk, manche mit Klinkern zwischen dunkelbraunen Stielen, manche mit weiß oder lindgrün gekalktem Lehm. Gebäude aus Klinkern standen zum Beispiel am Marktplatz oder in der Breiten Straße und hatten geschnitzte Balkenköpfe, deren Muster eine farbige Halbrosette war.

      Es gab ein intaktes Stadttor. Ein ehemaliger Wehrturm verfiel unaufhörlich. Grotenweddingen hatte sich um ein paar dörfliche Gemeinden vergrößert und besaß eine Schmalspureisenbahn, deren Lokomotive außer einem besonders hohen Schornstein eine schrill tönende Glocke trug und die auf vielen zeitverschlingenden Serpentinen ins Gebirge fuhr.

      Wegen seiner zehn Jahre war Jacob noch nicht alt genug, zu sagen, ob ihm die neue Stadt gefiel. Es brauchte eine Zeit, ehe er sich umgewöhnte und auch etwas den hier gesprochenen Akzent annahm, der von der plattdeutschen Mundart Ostfälisch kam. Die Bauern auf den Dörfern redeten bloß Dialekt. Am Stadtrand standen, zum flachen Land hin, also in Richtung Domäne Behncke, fünf gleichförmige Gebäudereihen aus Mietwohnungen, die der Fabrikant und NS-Wehrwirtschaftsführer Henseler hatte aufrichten lassen, für Arbeitsleute aus seiner Fabrik. Robert und Jacob wohnten dort, Erdgeschoss mit drei Zimmern. Manchmal, wenn er aus dem Fenster blickte, sah Jacob weidende Schafherden, hörte das Geblök der Tiere und atmete ihren scharfen Dunggeruch.

      In etwas Entfernung von den Mietblöcken hatten sich Baracken aufgetan. Erst sechs und dann nochmals fünf und wieder fünf, einstöckige Dinger mit kleinen Fenstern und Bretterwänden, die nach Holzschutzmitteln stanken. Das Gelände umspannte ein Drahtzaun. Hier wohnten ausschließlich Männer, Fremdarbeiter, sie

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