Megan Rapinoe. Luca Caioli

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Megan Rapinoe - Luca Caioli

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bedient sie, ohne aufzuschauen, mit einem klugen Pass Rapinoe, die im Sprinttempo in den Strafraum durchgelaufen ist. Die platinblonde Spielerin lässt zwei Gegnerinnen aussteigen und setzt mit rechts zum Schuss an. Sandra Sepúlveda, Kolumbiens Nummer 1, steht zu weit vor dem Tor, um den harten Schuss halten zu können, der unter der Latte einschlägt. Mit ausgebreiteten Armen strebt „Pinoe“ – so nennen sie ihre Freunde – der Eckfahne entgegen, neben ihr Cheney und O’Reilly. Sie schnappt sich ein dort stehendes Außenmikrofon, klopft ein paar Mal dagegen, um zu sehen, ob es funktioniert, und singt dann aus voller Kehle: „Born in the U.S.A“. Lori Lindsey begleitet ihre Mannschaftskollegin auf der Luftgitarre.

      Schon immer hat Megan ihre Tore gefeiert. Das tat sie bereits, als sie noch nicht in ausverkauften Stadien spielte und sich vor laufenden Kameras in Szene setzte. Damals, als ihr noch keine Mas-sen zusahen, sondern nur ihre Eltern, die am Spielfeldrand standen. Das Zelebrieren von Toren ist Ausdruck ihrer Liebe zum Fußball, ihrer Leidenschaft im Spiel und des Spaßes, den sie daran hat. Es ist Teil ihres fröhlichen Wesens – halb Rampensau, halb Clown – und gehört irgendwie dazu; so dauert das Tor länger an und Megan tritt in Verbindung mit den Zuschauern, sie unterhält sie und lässt sie am Spiel teilhaben. Eine schöne Art, einen Höhepunkt des Spiels zu würdigen und ihm gleichzeitig den ernsten, gar heiligen Charakter zu nehmen. Die junge Frau mit der 15 auf dem Rücken hat im Lauf ihrer Karriere eine Vielzahl Siegergesten erfunden. Einige davon, wie der angedeutete, abgeschossene Pfeil oder die Bocksprünge über ihre Mitspielerinnen, sind bei den Fans inzwischen Kult. Doch dieses Mal ist Megan Rapinoe noch weiter gegangen. Mit ihrer Interpretation des Springsteen-Songs präsentiert sie sich der Welt. Spontane Improvisation oder lang gereifter Plan? Natürlich war dieser Schachzug im Vorhinein und mit großer Sorgfalt vorbereitet.

      Die Idee stammte von Lori Lindsey, eine von Megans Freundinnen, die sie 2006 in Los Angeles während eines Trainingslagers der Nationalmannschaft kennenlernte. Damals machten sich die beiden über die mit Plüsch bezogenen Mikrofone an der Seitenlinie lustig, die wie Hunde oder irgendwelche fantastischen Wesen aussehen, jene seltsamen Teile, die man eigentlich immer zuerst umnietet, ehe man eine Ecke schießt. Schon damals meinten die zwei Frauen, es wäre doch lustig, eines Tages etwas in diese Außenmikros, die eigentlich zum Einfangen der Stimmung im Stadion bestimmt sind, hineinzurufen oder -zusingen. Und das taten sie. Das Timing hätte nicht besser sein können: Es ist zwei Tage vor dem 4. Juli, an dem Amerika seinen Unabhängigkeitstag feiert, den 235. Geburtstag der Vereinigten Staaten. Es ist Megans erste Weltmeisterschaft und ihr erstes (und auch letztes) Tor in diesem Turnier.

      Ein Tor, das allerdings weniger schwer wiegt, als Megans berühmte Hereingabe in der 122. Minute des WM-Viertelfinals gegen Brasilien in Dresden: Die Südamerikanerinnen führen 2:1 dank Marta, dem Star aus Rio de Janeiro. Cristiane, die Nummer 11 in Gelb, hält den Ball, weit weg vom eigenen Tor. Der Schiedsrichter kann jeden Augenblick abpfeifen und dem Abenteuer der USMannschaft so ein Ende bereiten, doch da gelingt es Ali Krieger, der gegnerischen Stürmerin den Ball abzunehmen. Krieger spielt zu Carli Lloyd, die Richtung Anstoßkreis läuft und nach links zu Megan Rapinoe passt. Die in der 55. Minute für Cheney eingewechselte Kalifornierin führt den Ball am Fuß, hebt den Kopf und schaut in die Hälfte der Brasilianerinnen. Sie sieht nur Gelb und das grüne Trikot der Torhüterin. Von dort aus, wo sie sich befindet, kann sie Abby Wambach unmöglich sehen. Aber Megan weiß, dass die Stürmerin mit der Nummer 20 irgendwo dort wartet und auf den Ball lauert. Also liefert Megan ihr mit links eine Vorlage aus über dreißig Meter Entfernung. Der Ball fliegt in die Richtung der Gegnerinnen, aber Wambach ist schneller. Sie hat das Missverständnis zwischen der brasilianischen Torhüterin und einer Verteidigerin antizipiert und erzielt per Kopf das 2:2! Eines der spektakulärsten und berühmtesten Tore in der Geschichte des amerikanischen Frauenfuß-balls, wodurch auch der Pass, der als Vorlage zu diesem Traumtor dient, entscheidend und unvergessen ist. Ein zentraler, magischer Moment, der das Schicksal, die Mentalität und die Geschichte der amerikanischen Nationalmannschaft für immer verändert. Im Elfmeterschießen besiegen die Amerikanerinnen die Brasilianerinnen mit 5:3. Im Halbfinale fegen sie Frankreich mit 3:1 vom Platz (mit zwei Torvorlagen von Megan) und stehen somit zum dritten Mal im Finale einer WM. Doch gegen Japan, das nur vier Monate zuvor von einem Tsunami heimgesucht und verwüstet worden ist, erlebt die amerikanische Frauennationalmannschaft eine bittere Enttäuschung: Die USA verlieren das Finale im Elfmeterschießen und reisen traurig aus Deutschland ab.

      Trotzdem wird die Nationalmannschaft der Frauen bei ihrer Rückkehr begeistert empfangen. Millionen Fans haben die Erfolge der amerikanischen Fußballerinnen genau verfolgt. Jenes unvergessliche Tor und die Vorlage aus dreißig Metern Entfernung der platinblonden Mittelfeldspielerin, die ohne Scheu Born in the U.S.A. ins Mikro schmetterte, sind ihnen noch heute präsent.

      Achtung: Redding ist nicht gleich Kalifornien. Darauf hat Megan Rapinoe immer schon bestanden. Im Übrigen sagt sie von sich selbst nicht, dass sie aus Kalifornien kommt, sondern dass sie in Redding aufgewachsen ist, im Bundesstaat Kalifornien. Dieser feine Unterschied ist wichtig, denn ihr Geburtsort hat nichts mit dem Postkarten-Kalifornien zu tun, das wir aus Film und Fernsehen kennen: In der Gegend von Redding gibt es keine Strände, keine Surfer, keine Palmen wie in Los Angeles, auch keine Straßenbahnen wie in San Francisco. Redding ist der Teil Kaliforniens, den der „Golden State“ anscheinend vergessen hat. Die Sonne scheint dort aber genauso viel. Hinter Yuma in Arizona belegt Redding Platz zwei der sonnenreichsten Orte der USA. Doch hier findet man nicht die typische Landschaft der Westküste, sondern Berge, Flüsse, Seen, Wasserfälle, Grotten, Eichen- und Tannenwälder. Außerdem die Sundial Bridge, die Radfahrer und Fußgänger über den Sacramento River führt, das Gegenstück zur berühmten Golden Gate Bridge in San Francisco.

      Dieses Bauwerk des spanischen Architekten Santiago Calatrava wurde 2004 eröffnet und sollte den Tourismus in Redding ankurbeln. Hier ist nämlich nichts zu sehen von jenen Besuchermassen, die tagtäglich in Hollywoods Universal Studios strömen. Redding liegt im Shasta County, 250 Kilometer nördlich von Sacramento, 370 Kilometer nördlich von San Francisco, und auf halber Strecke der 900 Kilometer langen Interstate 5, die Los Angeles im Süden und Seattle im Norden miteinander verbindet.

      Dennoch ist Redding „das Kleinod Nordkaliforniens“, wenn man dem lokalen Tourismusbüro Glauben schenkt. Eine friedliche Stadt, landesweit für ihre „fesselnde Landschaft, die dynamische Wirtschaft, die freundlichen Einwohner, die Lebensqualität und die Sicherheit“ bekannt. Die Stadt wirbt damit, dass man hier sechzig Prozent günstiger als in San Francisco lebt. Kurz gesagt: Redding ist der perfekte Ort für Jugendliche und Rentner.

      Natürlich übertreibt die Stadt mit ihren Lobeshymnen ein wenig, aber vollkommen abwegig sind die Angaben nicht: Redding liegt laut einer Studie der Walton Family Foundation und dem Forschungsinstitut Heartland Forward auf dem 29. Platz der dynamischsten urbanen Regionen Amerikas. Das Matador Network bezeichnet Redding als „one of the Coolest Towns in America“. Für das Time Magazine ist es die Kajak-Hauptstadt Amerikas. Forbes zählt Redding zu den zehn Orten in Nordamerika, an denen man am besten Forellen fangen kann. Die Los Angeles Times listet es unter den Top Ten der Picknickgegenden an der Westküste auf. Und laut dem National Public Radio ist Redding „ein Paradies unter freiem Himmel“. Ob nun Picknick, Forellenangeln, Lebenshaltungskosten oder Segelregatten im nahegelegenen Whiskey-town – das alles sind gute Gründe, Redding in den Augen von Touristen attraktiver erscheinen zu lassen und von seinem öden Ruf als Zwischenstopp an der Interstate 5 zu befreien.

      Redding liegt mitten im Wilden Westen. Denn hier, im Sacramento Valley, lebten die Wintu, ein indigenes Volk, das sich vom Lachsfang ernährte, auf Jagd ging und wilde Beeren und Früchte sammelte. Die ersten Kontakte zum weißen Mann entstanden 1808, als die spanischen Eroberer in diese Gegend vordrangen, denen rund dreißig Jahre später die Trapper der Hudson Bay Company folgten. Die Heimat der Wintu, jene Territorien, in denen sie jagen und sammeln konnten, wurde nach und nach durch das Vieh der ausländischen Eroberer zerstört. Die Weißen bauten Staudämme und Kupferminen, wodurch die Gewässer zunehmend verschmutzten, die Wintu wurden beinahe

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