Mami Box 1 – Familienroman. Claudia Torwegge

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Mami Box 1 – Familienroman - Claudia Torwegge Mami Box

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daß sie noch eine Tante haben, die sie von Herzen liebt und immer für sie dasein wird.«

      Es würde ihnen nur ein sehr geringer Trost sein, dachte Vera voller Erbarmen, als dieses Gespräch beendet war. Es hatte um zehn Uhr morgens stattgefunden. Sie ahnte nicht, was an diesem Vormittag noch auf sie zukommen würde.

      *

      Dieter fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, dann ging er zu den Kindern und richtete ihnen aus, was ihre Tante gesagt hatte. Sie nickten stumm. Sie waren in Katrins Zimmer, und sie hielten sich bei den Händen. So manches Mal hatten sie sich gezankt und waren aufeinander losgegangen, spielerisch eher, in einem kindlichen Kräftemessen, jetzt rückten sie eng zusammen. Der Vater setzte sich zu ihnen. Sie sahen sich an.

      »Ich muß immer daran denken, wie Mama gestern die Koffer rausgetragen hat«, wisperte Katrin. »Sie hat gesagt, wir würden uns immer wiedersehen, und wenn ich wollte, könnte ich ganz zu ihr kommen. Aber ich bleibe bei dir, Papa.«

      »Ja, Katrin.« Das Sprechen fiel Dieter schwer.

      Auch Claus brachte kaum ein Wort hervor. Seine Augen waren weit aufgerissen in dem runden Bubengesicht, wie verständnislos fragend. Hatte er nicht lange gedacht, daß das nur ein schlimmer Traum wäre, aus dem er erwachen müßte. Aber das war es nicht, nein. Wieso denn nur? Wieso war sie weg? Ein fremder Mann? Sie konnte doch nicht einfach zu einem fremden Mann gehen. Sie war doch seine und Katrins Mutter.

      »Mußt du nicht ins Geschäft, Papa?« fragte Katrin nach einer Weile.

      Ihr Vater schüttelte nur den Kopf. Er schwieg weiter. Unten klappte die Haustür. Frau Müller ging wohl zum Einkaufen.

      »Ich – ich geh auch nicht mehr in die Schule, wenn die übermorgen wieder anfängt«, stammelte Claus.

      »Das werden wir wohl müssen«, sagte seine Schwester.

      Dann läutete das Telefon. Dieter stand auf. Das Geschäft, vermutete er. Er hatte Frau Steegen gesagt, daß er zu Hause zu erreichen sei, wenn etwas wäre. Aber es war nicht seine Mitarbeiterin, sondern eine Männerstimme, die da deutsch mit starkem französischen Akzent sprach, nachdem er sich nur kurz mit einem »Hallo« gemeldet hatte.

      »Sind Sie verwandt mit einer Dame Jenny Katarina Sasse, geborene Droste?«

      »Das ist meine Frau. Wer spricht denn da?«

      »Hier ist das Sulpice-Hospital in Reims, Oberarzt Dr. Morgan. Ihre Frau ist heute nacht hier eingeliefert worden.«

      Dieter merkte, wie ihm kalter Schweiß ausbrach. Plötzlich war alles Angst, Schwindel, Schrecken. »Was ist mit ihr?« Hatte er es geschrien oder geflüstert? Er wußte es nicht.

      »Madame Sasse hatte einen Autounfall. Sie hat Glück im Unglück gehabt, ihre Verletzungen sind nicht lebensbedrohend. Aber sie steht unter Schock, ist zu keiner Aussage fähig. Die Personalien haben wir ihrem Paß entnommen, der sich in ihrer Handtasche befand.«

      Sie lebt! Dieter entrang sich ein tiefer, zitternder Atemzug.

      »Ich komme«, sagte er mit rauher Kehle. »Ich fahre sofort los.«

      »Das wäre gut.« Der Arzt nannte nochmals den Namen und beschrieb kurz die Lage des Hospitals, bevor er auflegte.

      Dieter hielt den Hörer noch in der Hand, sekundenlang stand er reglos, mit geschlossenen Augen. Sulpice-Hospital in Reims, klang es in ihm nach. Dann setzte sein logisches Denken wieder ein. Was hatte Jenny in Reims gewollt, weit fort von Paris? Wie auch immer – er mußte zu ihr. Seine Aufregung wich einer klaren, kalten Entschlossenheit.

      Katrin und Claus hockten immer noch so beieinander, wie er sie vor wenigen Minuten verlassen hatte.

      »Ich muß weg, Kinder, ich fahre nach Frankreich. Eure Mutter ist mit dem Wagen verunglückt und liegt dort im Krankenhaus. Katrin, suche du schon zusammen, was ihr so brauchen werdet für ein paar Tage. Ich bringe euch zu Tante Vera.«

      Er rief seine Schwägerin an. »Vera, ich muß deine Hilfe jetzt sofort schon in Anspruch nehmen. Bitte, nimm Katrin und Claus auf.«

      »Was ist denn passiert?« fragte Vera alarmiert.

      Dieter erklärte es ihr mit wenigen Worten.

      Ihre Stimme klang belegt, als sie zurückgab: »Ja, Dieter. Ja, fahr nur zu ihr.«

      Er sagte Frau Müller Bescheid, die im Wohnzimmer die Pflanzen begoß, daß sie nach Hause gehen könnte, weil sie vorübergehend nicht gebraucht wurde. Diese nickte nur ergeben. In diesem Haus mußte man zur Zeit auf alles gefaßt sein. Dieter packte ein paar Sachen in seinen Koffer. Auch Katrin, blaß und stumm, hatte seiner Aufforderung Folge geleistet.

      »Mama wird bestimmt nicht sterben, Papa?« flüsterte Claus, der mit sich nicht mehr wußte, wohin, so durcheinander war er.

      »Wenn der Arzt es doch gesagt hat«, beruhigte ihn sein Vater.

      Eine halbe Stunde später waren sie bei Vera. Er gab ihr den Hausschlüssel, falls es den Kindern noch an irgend etwas fehlen würde. Im Geschäft wollte er noch vorbeischauen. Frau Steegen würde die Stellung halten, solange er fortblieb.

      Vera drückte ihm fest die Hand. »Fahr vorsichtig, Dieter, paß auf dich auf.« Mehr zu sagen gab es jetzt nicht.

      Als er fort war, kam Laura mit einer Tafel Schokolade aus ihrem Zimmer, die sie mit einer scheuen Gebärde Katrin hinreichte. »Für dich und Claus!« Die beiden hatten jetzt großen Kummer, und wie das war, oh, das wußte sie noch ganz genau.

      Und Dieter Sasse fuhr westwärts, weiter und weiter, Stunde um Stunde, die Hände fest um das Lenkrad gelegt, den Blick geradeaus gerichtet, seinem Ziel entgegen. Und sein Ziel hieß Jenny!

      *

      Es war später Abend, als Dieter ankam. Man wollte ihn zu dieser nächtlichen Stunde nicht mehr einlassen. Bis ein Arzt auftauchte und der Diskussion ein Ende bereitete. Er war von Dr. Morgan informiert worden.

      »Kommen Sie, Monsieur Sasse«, sagte er ernst. »Vielleicht wird Ihre Frau spüren, daß Sie da sind.«

      Erschüttert stand Dieter dann an ihrem Bett, darin sie, bleich bis in die Lippen, im Dämmerschlaf lag. Nur manchmal zuckte es in ihrem Gesicht, wie von unsagbarer Qual.

      »Jenny, ich bin bei dir… Jenny, hörst du mich…«

      Aber sie war nicht herauszuholen aus diesem Nirgendwo, in dem sie dahintrieb. Eine Weile saß er auf dem Stuhl neben ihrem Bett. In einer Ecke standen die Koffer, die sie gestern aus seinem Haus herausgetragen hatte. Gestern…

      Als er ging, begegnete ihm niemand in den langen Fluren. Der Nachtportier ließ ihn hinaus. Er mußte sich nun noch ein Zimmer suchen, fand es in einem Hotel im Zentrum. Von dort aus rief er Vincent Marian an. Es war halb zwei. Das Klingelzeichen ging lange ab. Es schien Dieters überreizte Nerven zu zerhacken. Endlich wurde der Hörer abgenommen.

      »Was haben Sie mit meiner Frau gemacht?« fragte Dieter unbeherrscht, beinahe drohend.

      »Wissen Sie, wie spät es ist?« kam die verschlafene Stimme Marians an sein Ohr, mit einem kaum unterdrückten Gähnen, und dann: »Ist sie schon wieder bei Ihnen?«

      »Sie

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