Mami Box 1 – Familienroman. Claudia Torwegge
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Woher sie wohl kam? Ob sie niemanden mehr auf der Welt hatte?
Da es ihr nicht aus dem Kopf gehen wollte, machte sie sich eines Tages auf in diese andere Gegend, wo die hübschen, von Gärten umgebenen Einfamilienhäuser großen grauen Häusern billiger Bauweise wichen. An einem davon, im Stübeweg, war ein Schild angebracht: Karolinen Haus! stand darauf, weiter nichts. Einige Kinder spielten im Hof mit leeren Büchsen, daß es nur so schepperte. Sie unterbrachen kurz ihr Spiel und sahen ihr neugierig nach. »Wo wollen Sie denn hin?« rief ein Junge. »Sie haben sich wohl verlaufen.« Denn wenn schon mal Besuch für jemand von ihnen kam, sah er bestimmt nicht so aus.
Vera achtete nicht darauf, sie ging in das Haus. Dort lief sie ausgerechnet der Frau in die Arme, die so unsanft mit Isabella umgegangen war. Diese erkannte sie wieder. »Was wollen Sie hier?« fragte sie barsch.
»Ich wollte das Kind gern mal sehen, das manchmal bei mir war«, antwortete Vera fest und sah der anderen gerade in die Augen.
»Das können Sie nicht, die ist noch eingesperrt«, kam es wie vorher zurück.
Vera straffte sich.
»Hören Sie, so können Sie mich nicht abfertigen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es verboten sein soll, hier ein Heimkind zu besuchen.«
Bei dem bestimmten Ton schien die andere etwas kleiner zu werden. Sie zuckte die Achseln. »Sie können ja mal mit Frau Behrend sprechen. Da hinten links, die letzte Tür ist es.«
Als sie ihr gegenübertrat, erkannte Vera sofort, daß sich mit dieser Frau anders würde reden lassen. Das Gesicht war nicht unsympathisch unter dem leicht ergrauten Haar, ihr Blick war aufmerksam und freundlich auf die Besucherin gerichtet.
»Mein Name ist Vera Gerstner. Ich komme wegen Laura, die ich allerdings unter dem Namen Isabella kannte.«
»Ach, Sie sind das, bei Ihnen wurde die Ausreißerin aufgefunden. Ja, wie war das nun eigentlich? Wieso konnte sie so oft bei Ihnen sein?«
»Ich hatte doch keine Ahnung, daß sie aus diesem Haus weggelaufen war und Sie das Kind suchten. Mir hat sie etwas von einer Familie erzählt, und ich nahm an, daß sie in der Nähe wohnte. Sie war ja auch nie lange bei mir, eine Stunde oder anderthalb, mehr nicht.«
»Und eine Stunde brauchte sie für den Weg hin und zurück, und wir haben uns den Kopf zerbrochen, wo sie steckte«, sagte Frau Behrend unmutig.
»Es tut mir leid«, sagte Vera.
»Sie trifft ja keine Schuld«, lenkte die Heimleiterin ein. »Aber wie ist sie denn nur gerade auf Sie gekommen?«
»Ich weiß es nicht. Sie war immer ganz glücklich, wenn sie bei mir war. Ich brachte es nicht übers Herz, sie fortzuschicken. Kann ich Laura denn noch einmal sehen? Die Frau, die ich draußen auf dem Gang traf, wollte es mir verwehren. Die war es auch, die das Kind bei mir aufgespürt und wie ein Bündel hinter sich her gezogen hat.«
»Das ist Frau Kunze, die hier die Aufsicht hat. Sie hat sich immer maßlos über Lauras Verschwinden und ihr Verstocktsein geärgert.«
»Aber so grob brauchte sie deshalb nicht mit ihr umzugehen«, behauptete Vera mit leichtem Vorwurf.
»Mit Güte und Nachsicht ist es hier nicht immer getan, Frau Gerstner«, wies Adele Behrend diesen zurück. »Manchmal muß man schon hart durchgreifen, sonst tanzen sie einem auf dem Kopf herum. Aber wenn Sie Laura sehen wollen, bitte. Sie ist im Schlafsaal im 1. Stock. Sie können hinaufgehen.«
»Darf sie nicht raus?«
»Nein! Strafe muß sein«, erwiderte Frau Behrend.
Was für ein düsteren, häßliches Haus das doch war, mußte Vera denken, als sie die ausgetretenen Stufen emporstieg. Ob es in allen Waisenhäusern so aussah, fragte sie sich beklommen. Von irgendwoher hörte sie heftig streitende Kinderstimmen, sie beschimpften sich gegenseitig mit den übelsten Worten.
Sie fand Laura in dem großen leeren Schlafsaal auf einem der vielen schmalen Betten liegend, den Kopf in eine graue Wolldecke gebohrt. Schlief sie? Vera berührte sie an der Schulter. »Hallo, Isabella«, redete sie sie an, so wie sie sie immer genannt hatte. Das Kind zuckte sofort empor und sah sie ungläubig an. »Aber jetzt muß ich ja Laura zu dir sagen«, fuhr Vera in leichtem Ton fort. »Warum hast du mir denn nicht deinen richtigen Namen genannt, hm? Laura ist doch auch ein hübscher Name.«
Die Kleine wurde glühendrot, sie warf sich zurück und versteckte ihr Gesicht in der Decke. Vera wartete einige Sekunden, dann sagte sie: »Nun komm schon, ich habe den Weg hierher nicht gemacht, damit du dich jetzt vor mir versteckst.«
»Sind Sie mir denn nicht böse?« kam es halberstickt zurück.
»Sonst wäre ich ja nicht hier. Aber daß du mich so sehr angeschwindelt hast, das war natürlich nicht richtig von dir.«
»Sie hätten mich doch sonst gleich zurückgeschickt, weil man hier nicht fortlaufen darf.«
»Aber lügen darf man auch nicht«, hielt Vera ihr vor.
»So gelogen war das doch nicht.« Laura richtete sich auf und sah Vera mit einem dunklen, unkindlichen Blick an. »Ganz oft hab ich lange und fest die Augen zugemacht, und dann war es wahr. Wirklich wahr.«
»Aber doch nur in deiner Vorstellung«, sagte Vera sanft. »Wieso hast du denn eigentlich zu mir gefunden? Es ist doch weit. Setz dich mal richtig hin, und ich setz mich neben dich, und du erzählst es mir.«
Laura gehorchte. Sie strich über ihr zerknittertes Kleidchen, es war dasselbe, das sie immer trug, und sie begann: »Wie ich mal wieder weggelaufen und so rumgegangen war, da bin ich immer weitergegangen, bis zu den schönen Häusern, da, wo alles ganz anders ist, so Gärten und Blumen und Bäume, und da hab ich Sie mehrmals gesehen, und da bin ich immer wieder hin, bis Sie mich mal gerufen haben und mit mir gesprochen haben. Das war so schön. Ich hab mir gewünscht, das würde nie aufhören.«
»Ach, Laura, du bist mir eine rechte Träumerin.« Wieder war Vera seltsam gerührt über dieses Kind.
»Wenn ich nicht träumen würde, wollte ich lieber nicht mehr am Leben sein«, sagte Laura und sah zu Boden.
Vera erschrak über diese Worte einer Sechsjährigen. »Ist es so schlimm hier?« fragte sie leise. Es war eine überflüssige Frage, hatte sich die Atmosphäre dieses Hauses ihr selber schon beklemmend auf die Brust gelegt.
Laura zuckte die Achseln und schwieg. »Bist du schon lange hier?« forschte Vera weiter.
»Schon immer. Ja, ich glaube, schon immer«, sagte das Kind und bewegte die Zehen an den kleinen bloßen Füßen.
»Und da ist niemand, der manchmal zu dir kommt und sich um dich kümmert?«
»Nein, wer soll denn kommen?« Es klang verwundert. Vera, die neben ihr auf dem schmalen Bett saß, strich ihr mitleidig über das Ärmchen. Da hob Laura den Kopf, ein scheues Lächeln flog über ihr blasses Gesicht. »Aber jetzt