Mami Box 1 – Familienroman. Claudia Torwegge
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»Ich komme wieder«, versprach Vera.
Sie begab sich wieder zu Frau Behrend, die mit sorgenvoller Miene an ihrem Schreibtisch über Akten saß.
»Ich würde gerne Näheres über Lauras Schicksal wissen«, sagte Vera. »Das Kind wollte ich nicht ausfragen. Es scheint sich selber nicht sicher über seine Herkunft zu sein. Sie werden mir etwas darüber sagen können.«
»Leider nicht viel, Frau Gerstner.« Mit einer Handbewegung bot sie Vera Platz an, schob die Akten ein wenig beiseite und legte die Fingerspitzen zusammen. »Laura Pavel, wie sie mit vollem Namen heißt, war knapp zwei, als sie aus einem Kinderheim zu uns überwiesen wurde, weil dort keine Zahlungen mehr eingingen. Hier leben die, für die der Staat sorgen muß, die Fürsorge, das Sozialamt, und die Zuschüsse sind knapp. Deshalb sieht es hier auch so aus.« Ihr Blick ging durch den Raum, dessen nackte Wände dringend eines Anstrichs bedurften.
Der Zustand des Hauses interessierte Vera im Moment weniger. »Demnach hat sie keine Eltern mehr, auch keine Angehörigen?« kam sie auf das Thema Laura zurück. »Wer hatte sie denn in jenes andere Heim gebracht?«
»Das müssen Pflegeeltern gewesen sein, die aber dann auch nichts mehr von sich hören ließen. Offiziell ist da weiter nichts bekannt. Laura kam und blieb. Wo sollte sie denn auch hin?«
»Wo ist sie denn geboren, wissen Sie das?«
»Nein. Es liegen ja keinerlei Papiere vor. Nur das Geburtsdatum wurde seinerzeit angegeben. Am 16. Mai ist sie sechs geworden.«
»Das ist ja seltsam. So ein verlorenes Kind…« Vera schüttelte den Kopf.
»So seltsam ist das gar nicht, Frau Gerstner«, sagte die Heimleiterin. »Es gibt viele Kinder, die verlassen und vergessen sind. Und es werden täglich mehr. Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot, Scheidungen und Drogen zwingen Eltern, ihre Kinder wegzugeben. Deshalb sind die Heime bis oben hin voll. Ja, das ist eine sehr traurige Entwicklung.«
»Das verstehe ich nicht. Ich denke, es gibt so viele adoptionswillige Paare«, warf Vera ein.
»Davon scheitert ein großer Teil an den strengen Adoptionsgesetzen, manche scheuen auch den Weg durch sämtliche bürokratische Instanzen, der ziemlich mühevoll ist. Ein anderer Grund ist, daß sich immer weniger Familien finden, die bereit sind, Kinder aufzunehmen. Die meisten sagen: Eins reicht, wir sind froh, den Rücken frei zu haben, reisen zu können… Die Welt ist kalt geworden, Frau Gerstner.«
Ein Anruf unterbrach ihr Gespräch. Vera sah zum Fenster hin. Sie dachte über das nach, was die Heimleiterin ihr gesagt hatte. Dennoch vernahm sie deren Protest: »Aber man hatte den Leuten doch angeboten, ihnen mit pädagogischen Hilfen zur Seite zu stehen! Da sollten sie doch nicht jetzt schon nach wenigen Wochen die Flinte ins Korn werden. Für den Jürgen bedeutet das eine Katastrophe, wenn er wiederum abgeschoben wird.«
So ging das noch eine Weile hin und her, bis Frau Behrend mit einem schweren Seufzer den Hörer zurücklegte und sich mit der Hand über die Stirn fuhr. »Das kommt auch noch dazu«, murmelte sie. »Die meisten Kinder aus unseren Häusern sind doch irgendwie gestört, was dann erst im alltäglichen Zusammenleben spürbar wird, und dann zucken auch gutwillige Pflege- oder Adoptionseltern zurück.«
»Aber Laura ist nicht gestört«, sagte Vera schnell.
»Laura? Nein, das kann man so nicht nennen. Sie flüchtet sich nur zu oft in eine Traumwelt. Dann erzählt sie das Blaue vom Himmel herunter, wie das ja auch bei Ihnen geschah.«
»Damit schützt sie sich wohl nur vor der harten Wirklichkeit«, bemerkte Vera verhalten. »Wie lange wird sie noch in diesem Haus bleiben müssen, wenn nicht ein Wunder geschieht?«
»Sie wird ein Fall für die Fürsorge bleiben, wie die meisten anderen hier auch. Einmal hat sich jemand für Laura interessiert, es gab auch schon eine gewisse Zuwendung, aber die wollten dann doch lieber ein Kleinkind. Laura war ihnen schon zu groß. Zwei- bis Dreijährige sind eher gefragt, ältere Kinder weniger.«
Vera fiel Lauras Ausspruch ein, sie sei schon »zu alt«. Jetzt fand sie ihn nicht mehr so wunderlich. Wieder läutete das Telefon. Diesmal war es nur ein kurzes Gespräch. Vera stand auf.
»Ich will Sie nun nicht länger aufhalten, Frau Behrend. Haben Sie Dank, daß Sie sich Zeit für mich genommen haben. Die Unterredung war für mich sehr aufschlußreich. Aber eine Bitte habe ich: Erlassen Sie Laura die Strafen. Lassen Sie sie doch zu den anderen Kindern im Hof. Sie ist da oben so allein.«
»Damit Sie mir bei nächster Gelegenheit wieder ausreißt?« Die Heimleiterin schüttelte den Kopf. »Nein, da muß ich konsequent bleiben. Diesen dritten Tag muß sie noch durchhalten.« Streng und unnachgiebig klang es. Sie stand ebenfalls auf und reichte der Besucherin die Hand. »Auf Wiedersehen, Frau Gerstner.«
»Auf Wiedersehen.« Vera zögerte kurz, bevor sie entschlossen sagte: »Ich werde Laura manchmal zu mir holen. Das werden Sie doch erlauben?«
Die andere schien überrascht. »Ja, gewiß. Das ist kein Gefängnis hier.« Ihr Blick wurde prüfend. »Sie interessieren sich für Laura, nicht wahr?«
»Ich habe Mitleid mit ihr. Ich möchte ihr wenigstens ab und zu eine Freude bereiten.«
»Haben Sie Kinder, Frau Gerstner?«
»Nein«, antwortete Vera, »aber ich kann damit umgehen. Mein Mann ist tagsüber nicht da, er kommt nur zum Mittagessen, so habe ich nachmittags öfter mal Zeit. Ich werde es Laura sagen, daß Sie es erlauben. Dann hat sie schon etwas zum Freuen.«
Laura saß mit gefalteten Händen gerade und stocksteif auf dem Bettende, das zur Tür gewandt war. Sie hatte sich gekämmt, sie hatte ihre Schuhe und das Strickjäckchen angezogen. Sie empfing Vera mit den Worten: »Ich habe immer da hingeguckt«, sie deutete auf die Tür, »und ich habe ganz fest geglaubt, daß Sie wiederkommen.«
»Das hatte ich dir doch versprochen«, sagte Vera.
»Darf ich raus?« fragte Laura schnell. »Mit Ihnen?«
»Nein. Die kleine Ausreißerin hat noch Heimarrest bis morgen.«
»Ach, doch.« Enttäuscht ließ das Kind die Schultern hängen. »Ich dachte, Sie wären vielleicht bei Frau Behrend gewesen wegen mir.«
»Das war ich auch, Laura, und ich habe auch ein gutes Wort für dich eingelegt. Aber sie läßt sich nicht erweichen. Man muß sie auch verstehen, weißt du. Bei den vielen Kindern hier muß sie schon streng sein.«
»Ja«, sagte Laura kleinlaut, und der Kopf sank ihr auf die Brust. »Manche sind schlimm, die raufen und klauen und sind furchtbar frech. Aber so schlimm bin ich doch nicht.« Die letzten Worte kamen nur wie ein Flüstern.
»Nein, das bist du nicht. Und weil ich das weiß, sage ich dir jetzt etwas.« Vera legte ihr die Hand unter das Kinn und hob das Gesichtchen zu sich empor. »Du darfst auch weiterhin manchmal zu mir kommen, von nun an mit Erlaubnis. Ich hole dich dann ab, damit du nicht immer den weiten Weg machen mußt. Ich habe nämlich auch ein Auto, nur benutze ich es seltener.«
Während sie sprach, waren Lauras Züge immer heller geworden. »Danke«, stammelte sie, »oh, danke. Dann werde ich jetzt immer auf Sie warten.«
»Aber nie mehr fortlaufen, hörst du? Das mußt du mir versprechen,