Perry Rhodan Neo 239: Merkosh. Rüdiger Schäfer
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In der Vergangenheit war immer wieder Kritik an den von vielen Opronern als zu hart empfundenen Entscheidungen beim Kampf gegen die Infektion aufgekommen. So wurde beispielsweise die Ausweitung der Quarantänezonen auf Raumsektoren, die noch gar nicht vollständig von der Seuche betroffen waren, als zu restriktiv erachtet. Einige der Regionen lagen in unmittelbarer Nähe des Ahaikusystems, und nicht wenige Oproner befürchteten, dass die von den Omniten forcierte Isolation eines Tages auch ihre eigene Heimatwelt treffen würde.
Merkosh interessierte sich nicht sonderlich für die hohe Politik. Wie die meisten seiner Landsleute fokussierte er sich ganz und gar auf die ihm zugeteilten Aufgaben. Das System sorgte dafür, dass sich nur die fähigsten und geeignetsten Oproner mit der Bekämpfung des Dunkellebens auf höchster Ebene beschäftigten. Wenn diese Auserwählten nicht die richtigen Entscheidungen treffen konnten, konnte es keiner.
Kurz nach dem Abschluss der Zwischenprüfung rief Hochlehrer Depultash Merkosh zu sich und eröffnete ihm, dass er ihn gern auf eine Forschungsreise in einen der gerade erst isolierten Sektoren mitnehmen würde. Als ihm der alte Oproner mitteilte, dass auch Aysiria an der Expedition teilnahm, musste Merkosh nicht lange überlegen. Begeistert sagte er zu. Außer bei ein paar Ausflügen zu den Ringwelten von Ahaiku und während eines Kreuzflugs mit Aysiria in die Sonnenkorona hatte Merkosh seine Heimatwelt noch nie verlassen.
Die EEL-AESHGUUR, eines der drei institutseigenen Lehrschiffe, brach am ersten Tag des folgenden Septs vom kleinen Raumhafen der Insel Trivos auf und nahm Kurs in Richtung Contagiat. Merkosh und Aysiria teilten sich zwar keine Kabine – das war eine der Regeln, die ihm die Opronerin erklärt und die sie bereits mehr als einmal gebrochen hatten –, doch da das Raumschiff nicht allzu groß war, waren ihre Quartiere nicht weit voneinander entfernt.
Merkosh war glücklich. Die Jahre in der Anstalt, die Übergriffe durch Breknesh und seine Schläger und vor allem das dunkle Geheimnis seiner Herkunft existierten nur noch in den hinteren Winkeln seiner Erinnerung. Die Tatsache, dass seine Eltern ihn bereits kurz nach der Geburt hatten töten wollen, war immer eine Belastung gewesen. Er hatte sich einzureden versucht, dass es dumm und unlogisch war, sich von so etwas dauerhaft quälen zu lassen. Doch Gefühle scherten sich selten um Sachlichkeit und Objektivität.
Mit Beginn der Ausbildung am Eel-Institut und vor allem mit Aysiria war alles anders geworden. Sein Leben – so kurz es bisher auch gewesen war – hatte neu begonnen. Und seiner bescheidenen Meinung nach hatte er es sich verdient.
4.
»Sieh dir das an!«
Aysiria hatte sich über die fadenähnlichen Ausläufer einer Oberflächenwurzel gebeugt und kramte in ihrem Tragebeutel. Sekunden später zog sie eine der Probenkapseln hervor und entfernte die sterile Schutzfolie von der Spitze des Extraktors.
»Sei vorsichtig«, warnte Merkosh. Obwohl sie die obligatorische Schutzkleidung trugen, fühlte er sich unwohl. Seit Tagen waren sie in den dichten Wäldern von Polkott unterwegs, um Proben zu sammeln und eine Typologie der befallenen Arten zu erstellen. Das war zeitraubend, mühsam und monoton. Zudem verstand Merkosh nicht, warum Depultash einen solchen Aufwand betrieb. Eine detaillierte Klassifikation ergab keinen Sinn. Man wusste seit Langem, dass das Dunkelleben jedwedes Genom angriff und sich auf Nukleotidebene mit ihm verband. Eine Analyse übergeordneter Strukturen brachte keine neuen Erkenntnisse.
Gegenüber dem Hochlehrer erwähnte Merkosh solcherlei Überlegungen selbstverständlich nicht. Das wäre nicht nur respektlos gewesen, sondern widersprach auch dem hierarchischen Denken, in dem jeder Oproner von frühester Kindheit an geschult wurde. Depultash wusste, was er tat. Seine Stellung, seine Reputation und sein immenses Fachwissen ließen daran keinen Zweifel. Wenn er eine Katalogisierung aller auf Polkott infizierten Lebensformen für nötig hielt, gab es triftige Gründe dafür. Merkosh war lediglich zu unerfahren, um sie nachvollziehen zu können.
»Ich bin immer vorsichtig«, sagte Aysiria. Es dauerte nur wenige Augenblicke, dann hatte sie den Extraktor tief in das Wurzelnetz gestoßen und die entnommene Probe in der Kapsel versiegelt.
Merkosh trat hinter sie und betrachtete die feucht glänzenden Fäden, die sich wie dünne Würmer über den Schaft eines gewaltigen Baums gelegt hatten. Stellenweise waren schwarze Einsprengsel zu erkennen, die sich wie Farbspritzer über das Geflecht verteilten. Ein Test der Basenverteilung in den Zellkernen hatte ergeben, dass die schwarzen Punkte Dunkelleben waren. Das Quasivirus hatte bereits damit begonnen, den DNS-Code der Wurzel umzuschreiben.
»Was meinst du?«, fragte Aysiria. »Ist dieses Wurzelding ein Parasit, der nur bestimmte Bäume befällt? Dann wäre es interessant zu erfahren, ob er seine virale Mutation auf sein Opfer überträgt. Und vor allem wie schnell ...«
»Ich bin kein Botaniker«, gab Merkosh mürrisch zurück. »Ich dachte eigentlich, das wäre eine medizinische Expedition.«
»Ist es auch.« Aysiria drehte sich zu ihm und lächelte ihn an. »Muss ich ausgerechnet dir erklären, dass die Grenzen zwischen den Wissenschaften umso mehr verwischen, je exakter wir die Dinge betrachten? Ohne Physik keine Chemie. Ohne Chemie keine Biologie. Und ohne Biologie, zu der die Botanik gehört, keine Medizin. Die Natur ordnet ihre Geheimnisse keinen Fachgebieten zu. Das tun nur wir, damit wir nicht den Überblick verlieren.«
»Ja, ja, schon gut. Lass uns weitermachen. Vielleicht finden wir zur Abwechslung ein paar infizierte Käfer oder Spinnen. Wäre das nicht toll?«
Aysiria lachte hell und stupste ihn mit der flachen Hand vor die Brust. Dabei übertrug sie einige Symbole, die sich warm und prickelnd über die sensorischen Zellen von Merkoshs Haut fortpflanzten. »Forschung besteht zu neunundneunzig Prozent aus Langeweile und zu einem Prozent aus Erkenntnis«, sagte sie.
»Soll mich das aufmuntern?«
Die Opronerin antwortete nicht. Stattdessen ging sie tiefer in den Wald hinein. Merkosh sah ihr einen Moment lang nach; dann seufzte er, rückte seinen Tragebeutel zurecht und folgte ihr. Depultash hatte sie einem gemeinsamen Team zugeteilt, und wie Merkosh inzwischen wusste, war das kein Zufall gewesen. Aysiria und der alte Hochlehrer pflegten ein überaus herzliches Verhältnis. Merkosh vermutete sogar, dass seine Teilnahme an dieser Expedition ursprünglich gar nicht vorgesehen gewesen war. Für ein derartiges Unternehmen war er eigentlich noch viel zu jung. Zudem stand er erst am Beginn seiner Ausbildung zum Mediker. Aysiria hatte sich womöglich für ihn verwendet. Gefragt hatte er sie diesbezüglich nicht, denn es war nicht wichtig. Hauptsache, sie waren zusammen.
Zehn Minuten später erreichten sie eine Art Lichtung. Dort standen die Bäume etwas weniger dicht und ließen mehr Sonnenlicht durch. Polkott umkreiste als vierter von acht Planeten einen gelben Zwerg der Spektralklasse G. Seine Oberfläche war meistenteils von Wäldern bedeckt. Es gab zwei größere Ozeane und unzählige Flüsse, die sich als enges Flechtwerk durch die üppige Flora zogen. Die Temperaturen lagen fast auf der gesamten Dschungelwelt im Bereich um die vierzig Grad Celsius. Bei einer Luftfeuchtigkeit von hundert Prozent hielt man es da ohne Schutzanzug nicht lange aus.
Die Lichtung wurde von einem kleinen Bach beherrscht, der sich in einen Tümpel von mehreren Metern Durchmesser ergoss. Rund um sein Ufer wuchsen Moosteppiche, die teilweise bis ins Wasser hineinreichten. Die Rinde der Bäume war rau und rissig; dazwischen wucherten die weißen Fadenwurzeln, die sie bereits kannten, nur dass sie diesmal von winzigen,