Heißes Geld. Will Berthold
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Читать онлайн книгу Heißes Geld - Will Berthold страница 3
»Ich werde mich hüten, Herr Nareike«, erwiderte er beflissen. »Wenn ich bemerken darf«, setzte er mit einem ranzigen Lächeln hinzu: »Auch ich hätte mich für Fräulein Littmann entschieden.«
»Wie schön«, entgegnete der Manager, als interessiere es ihn tatsächlich, ob seine Mitarbeiter seine Meinung teilten. »Wann ist das Apartment frei?«
»Jetzt schon beziehbar«, antwortete Brill.
»Erster Februar«, wandte sich Nareike geschäftsmäßig an Sabine. »Wenn Sie wollen, können Sie natürlich auch schon früher einziehen.«
»Vielleicht ein paar Tage«, erwiderte Sabine.
»Sechs Monate Probezeit«, stellte Nareike formell fest: »Bei Ihnen sicher nur eine Formsache. Aber Ausnahmen läßt unser Personalchef nicht zu.«
»Einverstanden«, entgegnete sie.
»Bei der endgültigen Übernahme würden sich Ihre Bezüge aufbessern«, versprach Nareike. »Notieren Sie sich das bitte, Herr Brill, und erinnern Sie mich zur gegebenen Zeit.«
»Selbstverständlich, Herr Nareike.« Erwin Brill nahm die Gelegenheit wahr, dem Spitzenmann des Hauses seine Tüchtigkeit vorzuführen. »Wenn Sie in fünf Minuten bei mir vorbeikommen wollten, Fräulein Littmann, könnten Sie die Anstellungsvereinbarung gleich einsehen, gegenzeichnen und auch den Mietvertrag schon mitnehmen.«
Nareike wartete, bis Brill das Büro verlassen hatte, lächelte und schüttelte belustigt den Kopf. »Der platzt uns eines Tages noch vor Wichtigkeit«, bemerkte er und wandte sich dann wieder der Besucherin zu: »Tja, dann wäre ja wohl alles klar zwischen uns. Irgendwelche Fragen noch?«
»Könnte mich meine Vorgängerin eventuell kurz einweisen?«
»Das ist nun wirklich nicht nötig«, erwiderte Nareike großartig. »Das erledige ich selbst.« Er setzte ein wenig gewaltsam das ausgewachsene Lächeln des großen Jungen auf: »Und am Anfang bin ich immer sehr geduldig.« Er lachte trocken. »Diskretion bringen Sie mit, wie ich hoffe. Im übrigen werden Sie von niemandem hier Weisungen entgegennehmen, außer von mir.« Er trat ans Fenster: »Sieht nach weißer Weihnacht aus«, sagte er und drehte sich zu Sabine um: »Kommen Sie, ich zeige Ihnen Ihre zweitwichtigste Aufgabe.« Vor der Bücherwand blieb er stehen und drückte auf einen Knopf. Mit leichtem Surren wich die Wand nach beiden Seiten zurück und gab eine imposante Bar frei mit Gläsern, Cocktailgarnitur, Kühlschrank und Spülbecken. Nareike fuhr einladend mit der Hand an Whisky, Wodka, Genever, Cognac, Calvados, Grappa, Aquavit, Metaxa und anderen Schnäpsen entlang, sauber aufgestellt wie in Linie zu einem Glied: »Die vereinigten Flaschen von Europa«, sagte er lachend. »Was nehmen Sie?«
»Danke, nichts«, erwiderte Sabine, sie spürte seinen Unmut und korrigierte sich: »Vielleicht einen ganz kleinen Cognac, Herr Direktor.«
Nareike schenkte zwei mittlere ein, reichte ein Glas der Besucherin: »Alsdann – auf gute Zusammenarbeit.«
»Danke bestens«, entgegnete Sabine, nippte höflich und setzte das Glas sofort wieder ab. »Ich hoffe sehr, daß ich Sie nicht enttäuschen werde.«
»Ich auch«, entgegnete Nareike ernsthaft, obwohl er einen Schuß Ironie herausgehört hatte. Er nickte ihr zu, trank aus, sah auf die Uhr: »So, jetzt wird Brill wohl mit seinem Papierkrieg fertig sein.«
Er brachte die Besucherin an die Tür und stellte dabei nebenbei fest, daß sie ihm in ihren hochhackigen Schuhen über den Kopf gewachsen war; aber darüber ließe sich reden, falls er erst an ihrer Seite ginge.
Er öffnete die Tür.
Ein Schwall weihnachtlicher Musik überfiel ihn. »Mein Gott«, sagte Nareike, obwohl auf seinen Wunsch hin von einem Arbeitspsychologen das Programm für die Adventszeit zusammengestellt worden war. Er liebte es, neue amerikanische Ideen zu kopieren, ob es sich um Großraumbüros, Getränkeautomaten oder Bowlingbahnen handelte, und so installierte er Fließbandmusik, als er gelesen hatte, daß im US-Staat Wisconsin Farmer die Milchleistung ihrer Kühe durch Dauerberieselung mit sanften Weisen gesteigert hatten.
»Ach, das müssen Sie noch wissen«, sagte Nareike, als hätte er es vergessen: »Aus betriebstechnischen Gründen müßten Sie zur gleichen Zeit wie ich Ihren Urlaub nehmen.«
»Kein Problem«, antwortete Sabine.
»Immer Ende Juli bis Ende August.«
»Wie schön«, versetzte sie: »Da ist wenigstens etwas los.« Sie lächelte und reichte Nareike eine Hand, die weich war, gepflegt, nach »Vents verts« duftete und keinen Moment länger in seiner blieb, als es die Etikette erlaubte.
Er sah Sabine nach, bis sie im Personalbüro verschwand – er genoß ihren herausfordernden Gang. Es war, als schwänge der ganze Körper mit ihren Schritten leicht mit; es wirkte melodisch, gekonnt, doch nicht gekünstelt.
Er schloß die Tür, blieb einen Moment wie unschlüssig stehen und sah ins Leere, um zur Wirklichkeit zurückzufinden. Mit abrupten Schritten ging er wieder an die Bar, griff nach der »Rémy Martin«-Flasche, hielt sie am Hals, als wollte er sie würgen, schüttete sich hastig Cognac ins Glas wie ein Wermutbruder im Stehausschank, trank dann doch mit mehr Genuß als Gier. Dabei suchte er sein Gesicht im Spiegel und stellte sachlich fest, daß er keine Zeit mehr zu verlieren hätte.
Er dachte an den alljährlichen Ferienmonat. August, der heißeste Monat des Jahres, für ihn auch – und erst recht – wenn er verregnet war, denn dann konnte er nicht in die Berge flüchten, sondern mußte mit seiner Frau in einem engen Zimmer zusammen hausen und von morgens bis abends fragliche Hoffnungen schüren und konkrete Versprechungen vermeiden.
August – das war für Nareike ein Synonym für Hannelore. Elf Monate sah er seine Frau nicht, dann hatte er jeweils vier volle Wochen mit ihr zu verbringen. Tag für Tag und Nacht für Nacht, und wenn er sich am Morgen schlafend stellte, um Rede und Antwort noch eine Zeitlang aufzuschieben, verlängerte er nur noch die Zeit, in der sie neben ihm lag, zeitgeizig und erwartungsbang, jederzeit bereit, wieder ihre Frau zu stellen. Sowie er die Augen öffnete, mußte er für Hannelores Situation pausenlos Verständnis aufbringen und seine Liebe beteuern, um seine Mitwisserin ein Jahr lang wieder mit Energie aufzuladen wie eine altersschwache Batterie.
Auf einmal hatte er einen Geschmack von Dingsbach bei Mittenwald im Mund. Er goß sich noch einen großen Schluck »Rémy« ein, um Hannelore hinunterzuspülen! Er fühlte sich jetzt wohler, weil er merkte, daß seine Zunge geschmeidig und sein Gehör pelzig wurde. Nareike lächelte, hob das Glas, prostete seinem Konterfei zu: Ein Mann Ende 50, fast fünffacher Millionär in Mark und in spe, an seinen guten Tagen dem Aussehen nach Ende 40, dem Lebenshunger nach Ende 30, voller Verlangen auf eine Blondine Ende 20.
Nareike räumte die Gläser weg und schloß die Bar. Daß er gerne trank, war das einzige schlechtgehütete Geheimnis, das es bei Müller & Sohn um den kapitalen Spitzenmann gab, aber das spielte im Kohlenpott keine Rolle. Wer an Rhein und Ruhr nicht trank, würde es ohnedies nicht weit bringen, und die Zeit, in der der alte Krupp die Kneipen auf dem Weg zu seinem Werksgelände hatte aufkaufen und abreißen lassen, um seine Kohlengräber am Trinken zu hindern, war längst vorbei. Nareike hatte sich angewöhnt, Besuchern seine Sesam-öffne-dich-Bar so stolz vorzuführen, wie früher Adolf Hitler auf dem Obersalzberg seine versenkbare Panoramascheibe.
Auf den Diktator war er schlecht zu sprechen. Mit ihm wollte er nichts mehr zu tun haben. Früher als andere hatte er sich von ihm abgekehrt und war deshalb im letzten Moment noch zwischen die Fronten