Heißes Geld. Will Berthold
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Die Fabriksirenen verkündeten die Mittagspause. Nareike schaltete automatisch die Nachrichten ein. Er saß im Stuhl zurückgelehnt, die Beine auf die Schreibtischplatte gelegt. Im Radio machten sie bereits Inventur, obwohl das Jahr noch nicht zu Ende war, in dem durch die Berliner Mauer die Spaltung Deutschlands zementiert worden war und das ProKopf-Einkommen der Deutschen bereits die Hälfte des amerikanischen erreicht hatte und wuchs und wuchs und wuchs. Und er würde das Vermögen der Müllers mehren und, wie alljährlich, zur Kur nach Dingsbach fahren, zur Ekelkur, und sich vornehmen, es wäre das letzte Mal gewesen, wie sich ein Raucher verspricht, nach der nächsten Zigarette aufzuhören. Aber ab und zu schaffte es ein Nikotinsüchtiger doch, und Nareike nahm sich in dieser Stunde endgültig vor, das Rauchen aufzugeben.
Hannelore war anständig. Sie würde ihn nie verraten, solange er zu ihr hielte, aber der Kontakt, zu dem sie ihn zwang, brachte Gefahren mit sich: Seine Ehefrau war die einzige Verbindung zur Welt von gestern, und wenn man nach ihm fahndete, würde man ihn über Hannelore suchen und sich fragen, wohin sie jeweils im August reiste und wen sie dort träfe.
Er hatte sie immer wieder darauf hingewiesen, aber seine Witwe klammerte sich gleich einer Schiffbrüchigen an die befristete Gemeinsamkeit, bestand hartnäckig auf der Exekution jeder Stunde. Mitunter hatte er versucht, das Datum zu manipulieren oder den Urlaub zu beschneiden. Als er feststellte, daß sie bösartig wurde, ja fast tückisch, hatte er es aufgegeben.
Es war nicht die einzige Schwachstelle seiner neuen Identität, denn seine stillgelegte Ehefrau bestand darauf, daß er sich abwechselnd – einmal in der Woche brieflich oder telefonisch bei ihr meldete. Er tippte eigenhändig magere Briefe auf einer privaten Schreibmaschine, postlagernd München, im Turnus jeweils ein anderes Postamt. Noch riskanter waren die Telefonanrufe, die er alle 14 Tage – morgen wieder – führen mußte. In Sicherheitsfragen war Nareike ein Fanatiker des Details. Er fuhr nach Düsseldorf, um seine Mitwisserin jeweils von einem anderen Restaurant aus im Telegrammstil zu beschwichtigen, wobei Hannelore jedesmal in einem anderen Hotel der Isarstadt seinen Anruf erwartete. Das Schema wurde nach einem abgesprochenen Prinzip durchgespielt, so daß sie höchstens zweimal jährlich im gleichen Haus auftauchte.
Das Verfahren war aufwendig und umständlich, aber sie blieben dabei, auch als sie sich längst daran gewöhnt hatten, daß sich niemand, und schon gar kein Staatsanwalt, Richter, Kriminalist oder Geheimdienst-Agent, für sie interessierte.
Nareike wußte wohl, daß seine Frau ihre Qualitäten hatte – mitunter aber haßte er sie so, daß er sie hätte töten können. Diese Vorstellung war für einen Mann wie ihn weder spontan noch theoretisch, noch abwegig. Schließlich hatte er in seinem Leben schon weit härtere Dinge hinter sich gebracht als die Beseitigung einer einsamen Frau. Hannelores Ende war für ihn Teil eines Planspiels, vor allem, wenn es auf den Hochsommer, auf das vierarmige Verlies der Intimität, zuging.
Nareike gab die lässige Haltung am Schreibtisch auf. Sein Entschluß war gefaßt. Einem Spieler gleich, setzte er alles auf eine Karte, und da er bei Frauen immer ein Falschspieler war, würde es eine gezinkte sein. Es war ihm nicht wohl dabei, aber er mußte Hannelore loswerden.
Er öffnete noch einmal seine Knopfdruckbar, goß sich einen letzten »Rémy« ein; es war ein Abschiedstrunk, denn sein exakter Plan über den Verlauf der »Operation Heißes Geld« sah als erste Maßnahme den sofortigen Verzicht auf Alkohol vor, aber die ungewohnte Nüchternheit war nur eine unangenehme Seite des Einstiegs in die Zukunft.
Sie war der einzige Gast in der kleinen Tagesbar; sie saß still in der Ecke, als horche sie in sich hinein. Sie kam in Abständen von fünf, sechs Monaten ins »Carlton«, seit Jahren schon, manchmal nur auf eine kurze Einkaufsrast, mitunter blieb sie in dem zentral gelegenen Haus auch über Nacht. Da sie ein, wenn auch seltener, Stammgast war, brauchte sie dann keinen polizeilichen Anmeldeschein mehr auszufüllen, und der aufmerksame Keeper wußte, daß die stille Frau Linsenbusch hieß – Hannelore Linsenbusch –, irgendwo im oberbayerischen Alpenvorland wohnte, aber ihrer Sprechweise nach aus Berlin oder jedenfalls aus Norddeutschland stammte.
Sie wirkte stets schlicht angezogen, wenn auch nicht billig. Es schien ihr mehr am Geschmack zu fehlen als an Geld. Sie bestellte nie mehr als eine Tasse Kaffee und hinterher vielleicht noch einen kleinen Cointreau, aber wenn sie zahlte, ließ sie sich kein Wechselgeld herausgeben, das bedeutete wenig Mühe und ein schönes Trinkgeld, und so war sie, aus der Kellnerperspektive betrachtet, doch ein guter Gast.
Sooft an der Rezeption das Telefon klingelte, schreckte die Besucherin – müde Augen in einem knochigen Gesicht, halblange, phantasielos geschnittene Haare – aus ihrer Versunkenheit hoch, um dann, wenn sie nicht gerufen wurde, wieder ins Grübeln zurückzufallen. Sie saß die Zeit ab wie eine Freiheitsstrafe, erschöpft vom Warten. Sie hinterließ den Eindruck, als wartete sie immer und meistens vergeblich.
»Telefon in diesen Tagen, das ist furchtbar, gnä’ Frau«, sagte der Ober. »Das Netz ist ständig überlastet.«
Die Besucherin nickte, ohne etwas zu erwidern. Alle Jahre wieder wurde der Adventsmonat zu ihrer schlimmsten Zeit. Hannelore war dann schon vier Monate von Horst – der jedesmal zornig wurde, wenn sie ihn nicht Werner nannte – getrennt und mußte sich sieben weitere bis zum nächsten Zusammensein gedulden. Während die Menschen kaufwütig durch die City drängten, spürte sie ihre Verlassenheit schlimmer denn je. »Süßer die Glocken nie klingen«, spielte eine Melodie halblaut in den Raum und verstärkte den bitteren Zug um Hannelores Mund. Der Stern von Bethlehem war allenfalls für die Registrierkassen der Warenhäuser aufgegangen, jedenfalls nicht für sie.
»Frau Linsenbusch«, rief der Mann an der Rezeption.
Sie erhob sich rasch und eilte behende in die Telefonzelle zwischen Tagesbar und Empfang und nahm den Hörer ab: »Ja, bitte«, sagte sie mit belegter Stimme, wartete und horchte, sie hörte nur ein Rauschen und legte langsam auf, wie in Zeitlupe. Die Verbindung war wieder einmal zusammengebrochen – sie wußte, daß die Kommunikation mit einem Verschollenen problematisch war.
Hannelore ging mit fahrigen Schritten zurück. Der Keeper, der sich vielleicht nur langweilte, sagte sich, daß sie mit hohen Absätzen, einem kräftigeren Lippenstift und etwas Rouge mehr aus sich hätte machen können und vor allem machen sollen. »Wieder nicht geklappt?« drückte er sein Bedauern aus.
Im Grunde war es gleichgültig, ob Horst sie um 16 Uhr oder um 17 Uhr erreichte. Seine Gespräche liefen wie vom Tonband, und das lag nur zum kleinen Teil an ihrem Mann und zum größeren an den Umständen.
Mit seinen Briefen ging es ihr ähnlich. Sie glichen einander, als wären sie hektographiert. Es ging nicht anders. Horst – Pardon, Werner – mußte übervorsichtig sein, und obwohl Hannelore diese Verschwörertricks nicht lagen, hielt sie sich gewissenhaft an seine Anweisungen, um sich wenigstens ein minimales Arrangement zu bewahren.
Sie waren Gestrandete der Stunde Null, und Hannelore hatte sich in der ersten Zeit damit getröstet, daß andere Frauen, deren Männer