Der gute Ton und die feine Sitte. Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem

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Der gute Ton und die feine Sitte - Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem

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das unanständig sei, und das schlichte »Ja« für rüde erklärt und durch das gezierte »Allerdings« ersetzt haben will, so können wir mit dem besten Gewissen nur den guten Rat geben, sich durch solch übertriebene und unnatürliche Anstandsregeln nicht irreführen zu lassen. Denn wenn es schon unanständig wäre, von Beinen zu sprechen, so wäre es dies von Beinkleidern erst recht, und ein Mensch, der gar vom Hosenbandorden spricht, wäre ein abschreckendes Beispiel für alle Jünger des guten Tons. Dennoch ist es noch niemand eingefallen, diese höchste englische Dekoration den »Unaussprechlichen Bandorden« zu nennen.

      20. Gibt es nicht eine Menge lächerlicher und veralteter Anstandsregeln, die heute noch in Kraft sind?

      Gewiss gibt es unter den Geboten des guten Tons noch eine Menge üppig wuchernden Unkrautes, das der einzelne zwar nicht zu entfernen die Macht hat, wohl aber die Zeit. So lange diese zopfigen Regeln aber noch bestehen und man deren Beachtung von uns fordert, müssen wir uns ihnen fügen, besonders, wenn man ein Neuling im Salon ist. Eine freiere Anwendung aller Regeln des guten Tons darf sich nur der gestatten, der für ein Muster desselben gilt.

      21. Und warum nur ein solcher?

      Weil nur genaue Kenner des guten Tones wissen können, wie weit sie im Überschreiten seiner Regeln gehen dürfen, ohne den notwendigen und wohltätigen Zwang derselben zu gefährden.

      22. Warum ist dieser Zwang notwendig?

      Weil es wunderbare Blüten treiben würde, wenn es einem jeden überlassen wäre, sich die Gesetze des Anstandes nach seinen eigenen Ansichten zu reformieren und zur Anwendung zu bringen. Die Gesellschaft würde bald einem Freistaate ohne Sitten und Gesetze gleichen, einer absoluten Anarchie im schlimmsten Sinne des Wortes. Für jeden geordneten Staat ist der Zwang der Gesetze eine dringende Notwendigkeit; ebenso sind für eine gebildete Gesellschaft im weitern Sinne Gesetze des guten Tons und der feinen Sitte unerlässlich. Selbst wilde Völker haben fast ausnahmslos gewisse Begriffe und Gesetze des Anstandes in ihrem Sinne; wir, die wir auf der Höhe der Kultur zu stehen uns rühmen, sollten daher gar nicht den Wunsch hegen, uns von einem Zwange zu befreien, der unsere Sitten nur verfeinern und uns auf eine höhere Stufe der Kultur heben kann.

      II. Die äussere Erscheinung.

      23. Inwiefern ist die äussere Erscheinung von Einfluss auf den guten Ton?

      Die äussere Erscheinung des gebildeten Menschen ist sein Empfehlungsbrief. Ein nachlässig gekleideter oder gar die Gesetze der Reinlichkeit verletzender Mensch wird immer einen so schlechten Eindruck machen, dass seine inneren Eigenschaften nur schwer über die äussere Erscheinung siegen werden, soweit nämlich, als die Aufnahme des Betreffenden in die Kreise der guten Gesellschaft in Betracht kommt.

      24. Ist es nicht ungerecht, den inneren Menschen entgelten zu lassen, was der äussere verstösst?

      Es mag vielleicht so scheinen, doch ist es für die Würde der Gesellschaft notwendig, dieselbe auch durch die äussere Erscheinung zu wahren. Auf welche Stufe würden wir wohl hinabsinken, wenn wir darüber hinwegsehen wollten! Der Anzug, den man trägt, kann, wenn teure Stoffe ausserhalb unserer Mittel liegen, aus dem einfachsten Material bestehen, doch muss er tadellos sitzen und noch tadelloser sauber sein; wem es nicht möglich ist, diese letztere geringe Anforderung des guten Tons an die äussere Erscheinung zu erfüllen, der bleibt anständigen Kreisen besser ganz fern.

      25. Wie hat man demnach die äussere Erscheinung in Einklang mit dem guten Ton zu bringen?

      Man vermeide vor allem das Auffallende und eine sogenannte schäbige Eleganz. Nichts macht einen jammervolleren Eindruck, als wenn jemand in seinem Anzuge mehr scheinen will als er ist, eine Bemühung, mit der immer nur das Gegenteil erreicht wird.

      26. Was ist demnach als auffallend zu vermeiden?

      Alles, was in die Lebensstellung des einzelnen nicht passt, ist auffallend an sich. Wenn also jemand, dessen beschränkte Mittel bekannt sind, in Gesellschaft mit unechtem Schmuck behängt erscheint, so macht er sich dadurch auffallend. Auffallend kann man aber auch durch die Wahl der Farben, durch den Schnitt der Kleidung, durch Kopfbedeckungen, durch sein ganzes Betragen werden; all dies ist streng zu vermeiden, wenn man Anspruch darauf machen will, ein Mitglied der guten Gesellschaft zu sein. Wenn man in betreff des Benehmens nicht genug ermahnen kann, natürlich zu bleiben, so sollte die Kunst einfach zu bleiben in der äussern Erscheinung, stets als Schwestergebot neben jenes gestellt werden. Wir werden in diesem Abschnitt noch öfter Gelegenheit nehmen, darauf zurückzukommen.

      27. Was ist nächst der Vermeidung des Auffallenden wichtig für die äussere Erscheinung?

      Die Sauberkeit. Bitte, lieber Leser, rümpfe nicht die Nase, und sage nicht, das verstehe sich von selbst. Natürlich versteht sich das von selbst, aber es gibt sehr viele Leute, die den Begriff »Sauberkeit« völlig falsch verstehen und sich sehr viel auf ihre Reinlichkeit einbilden, wenn sie beim Aufstehen ihr Gesicht zur Not in die Waschschüssel tauchen. Wem ein tägliches Vollbad nicht zur Verfügung steht, der sollte es durch sonstigste peinlichste Waschungen zu ersetzen suchen und namentlich auf den Kopf, die Zähne und die Hände eine Sorgfalt verwenden, die niemals ein Zeitverlust sein kann, schon aus dem Grunde, weil eine Vernachlässigung in dieser Beziehung sich an der Gesundheit rächt. Nichts ist abstossender als solch ein menschlicher Schmutzfink; denn wenn man sich im Verkehr mit jemand immer von neuem über seine Unsauberkeit hinwegsetzen und einen gewissen Ekel überwinden muss, um den sonstigen Eigenschaften eines solchen Menschen gerecht werden zu können, so erschwert das doch den Verkehr bis zur unerträglichen Pein.

      28. Worauf hat man also zunächst Wert zu legen, um die äussere Erscheinung mit dem guten Ton in Einklang zu bringen?

      Man trage niemals andere, als tadellos saubere und des Flickens unbedürftige Wäsche. Ein zerknülltes Vorhemd, ein an den Rändern unsauberer Kragen und ebensolche Manschetten können anderen vollständig den Appetit verderben und machen den besten Anzug salopp, während reine, gutgeplättete Wäsche den einfachsten und billigsten Anzug nett und elegant erscheinen lässt. Die Klage, dass reine Wäsche ein teurer Artikel sei, beruht zum grössten Teil auf Vorurteil; man bemühe sich, für andere, nutzlose und oft läppische Dinge die Ausgaben zu vermeiden und das Ersparte lieber für einen öfteren Wäschewechsel zu verwenden, und man wird die Wohltat desselben bald zu sehr empfinden, um sich und seinen Nebenmenschen, denen man doch auch gewisse Rücksichten schuldet, einen Luxus versagen zu können, der streng genommen eine Notwendigkeit ist.

      29. Gilt dies nur für die, deren Wäsche sichtbar ist, also für die Herren vom Zivil, für die Kragen und Manschetten der Damen und allenfalls für die aus den Uniformärmeln hervorsehenden Herrenmanschetten?

      Ganz und gar nicht; das oben gesagte gilt für jedermann, ob man seine Wäsche sieht oder nicht. Denn man ist doch nicht nur für andere reinlich, sondern in erster Linie für sich selbst. Es gibt ja leider genug Leute, die alles und alles nur der Menschen wegen tun und lassen, diese aber treten damit ihren eignen freien Willen, mehr noch, ihre Menschenwürde in den Staub. Man hüte sich also, in der Rücksicht auf das Urteil anderer zuviel zu tun. Jeder aber, der sich einer vernünftigen Einsicht nicht mit Gewalt verschliesst, wird zugestehen müssen, dass man saubere Wäsche zunächst seiner selbst wegen trägt. Wem es nicht einleuchten will, dass man diese Verpflichtung auch dann hat, wenn die Wäsche bei der Kleidung unsichtbar ist, der sei an ein Sprichwort erinnert, das ihn vielleicht bekehrt. Es

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