Christentum und Europa. Группа авторов

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Christentum und Europa - Группа авторов Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie (VWGTh)

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würden konfessionelle Proprien primär handlungstheoretisch erhoben. Einerseits wäre zu erforschen, welche spezifischen Handlungsrepertoires zur Lösung von Konflikten sich innerhalb der Konfessionsgemeinschaften herausbildeten. Und zum anderen würde eine forscherliche Fokussierung auf dominierende Symbolpraktiken – mit all ihren Flauten und Konjunkturen – die Möglichkeit bieten, vielleicht doch so etwas wie historische Verlaufsmodelle zu erstellen und sehr grundlegende und folgenreiche konfessionelle Unterschiede und Austauschprozesse zwischen den Konfessionen besser in den Blick zu bekommen.

      Für den katholischen Bereich sehe ich insbesondere vier gemeinsame Streitobjekte, die dem frühneuzeitlichen Katholizismus eine spezifische Kontur verliehen und die innerhalb der katholischen Kirche zur Herausbildung eines gemeinsamen Handlungsrepertoires führten, mit dem Konflikte dann ausgetragen wurden: (1) Zunächst wäre die permanente Konkurrenz unter den verschiedenen in der frühmodernen katholischen Kirche noch existierenden Jurisdiktionsinstanzen zu nennen. Die neuere Katholizismusgeschichte begreift ihren Gegenstand ja nicht mehr als einen zentralistisch von Rom aus geführten päpstlichen Einheitsstaat, sondern als eine Art plurizentrisches, supranationales, universales »Imperium«, in dem sich zahlreiche, ganz verschiedene legislative wie judikative Organe und Personen in einem ununterbrochenen Aushandlungsprozess befanden und in dem eine nicht abreißende Kontroverse über die grundsätzliche Verfassung der katholischen Kirche geführt wurde.21 (2) Ein zweiter Streitpunkt, der den Katholizismus einte, war – wie bereits erwähnt – der so uneindeutige Lehr- und Disziplinarkorpus des Trienter Konzils, über dessen Interpretation die verschiedenen lokalen Kirchen weltweit untereinander und mit der römischen Konzilskongregation verhandelten. (3) Mit dem relativ offenen Trienter Rechtfertigungsdekret hängen drittens auch die so heftig geführten frühneuzeitlichen Gnadendebatten zusammen, die – allem Uniformierungsdruck zum Trotz – quer verliefen zu allen konfessionellen Frontlinien und in denen ganze Länder konträr standen zu der von Rom vorgegebenen Linie.22 (4) Und schließlich trennten und einten den Katholizismus die oben genannten Symbolstreitigkeiten und die damit zusammenhängenden Repräsentationspraktiken in katholischer Kunst und Frömmigkeit. Wie überaus groß gerade hier die Dehnungen waren, die der Katholizismus aushielt und zuließ, hat die neuere Inquisitionsforschung zur Kontrolle der Sakramentspraxis und zur Zensur der Andachtsliteratur zutage gefördert.23

       5. Schluss

      Ich komme zu einem kurzen Fazit im Blick auf die Europa-Thematik des Kongresses: Wer die christlichen Konfessionen als Konfliktgemeinschaften begreift, die es in mühevoller historischer Erfahrung gelernt haben, mit Differenz, Komplexität und Pluralität umzugehen, ohne die Einheit zu verlieren, der wird gerade in dieser gewachsenen Konfliktkultur den wesentlichen Beitrag sehen, den das Christentum für Europa geleistet hat. Denn mit und in den Konfessionen entstanden auf dem alten Kontinent die ersten transregionalen Diskursräume, in denen Ordnungen, Regeln und Strategien zur Vermittlung von Pluralität und zur Befriedung von Konflikten ausgebildet wurden. In diesen von den Konfessionen etablierten Diskursräumen ist das moderne Europa zu einem nicht unwesentlichen Teil entstanden und ist sich selbst als Einheit bewusst geworden. Damit ist Europa die Kultur der Aushandlung von Pluralität und Differenz zutiefst historisch eingeschrieben. Und es würde das Europa unserer Gegenwart in vielem entlasten, wenn es sich selbst vor dem Hintergrund der christlichen Konfessionsgeschichte in einem fundamentalen Sinn als Konfliktgemeinschaft positiv begreifen und vollziehen würde.

       Gegeneinander, nebeneinander, miteinander?

       Das zukünftige Verhältnis der christlichen Konfessionen in Europa

      Die drei titelgebenden Adverbien stehen nicht in alphabetischer Reihenfolge, sonst müsste »nebeneinander« den Schluss bilden. Ob sie wirklich eine Klimax ergeben, die das Abweichen vom Alphabet rechtfertigt, »miteinander« also zu Recht den Zielpunkt bildet, muss sich zeigen. Es kann sich allerdings erst zeigen, wenn die Zukunft da ist. Für jetzt bleibt das Ganze hypothetisch. Für mich jedenfalls ist es eine Hypothese, deren Bewahrheitung nicht nur wünschenswert, sondern auch realistisch ist. Dass das Gegeneinander am Anfang steht, wundert jedoch nicht. Dafür verfügen wir über genügend historisches Anschauungsmaterial. Das Gegeneinander mit seinen nicht selten auch kriegerischen Auseinandersetzungen schafft es am ehesten in die Geschichtsbücher. Ohne dieses gäbe es keine Vielzahl von christlichen Konfessionen, diese haben sich gegeneinander ausgebildet und profiliert. Als bereichernde Vielheit, wie man die Konfessionen in unseren postmodernen Zeiten bisweilen sieht, wurde ihr Nebeneinander nicht von Anfang an empfunden und verstanden. Ob diese Sicht der gegenseitigen Bereicherung mehr ist als ein Euphemismus oder letztlich doch nur das Nebeneinander auf Dauer stellt, wird uns noch beschäftigen.

      Ökumenische Theologie gilt nicht als eine besonders spannende Sparte der Theologie. Leute, die sich damit beschäftigen, stehen eher im Verdacht, um der Harmonie willen Spannungen oder gar Gegensätze zu verkleinern. Vom Ende der Konsensökumene ist die Rede. An ihre Stelle solle eine Ökumene der Profile treten. Diese Alternative scheint mir allerdings eher einer Bankrotterklärung des ökumenischen Gedankens gleichzukommen. Ökumene ohne Suche nach einem Konsens kann es nicht geben. Das Hauptproblem scheint mir zu sein, dass die komplexen Überlegungen der an den zahlreichen bi- und multilateralen Gesprächen zwischen den christlichen Konfessionen beteiligten Personen über diesen relativ engen Kreis hinaus so gut wie nicht wahrgenommen werden, und wenn, dann meist mit einer »Hermeneutik des Verdachts«. Dies gilt sowohl für die Kirchenleitungen als auch für die übrige Theologie. Eberhard Jüngel hat vor langer Zeit vorgeschlagen, die unterschiedlichen theologischen Disziplinen sollten sich mit dem Problemhorizont der jeweils anderen belasten, um diese zu entlasten.1 Die Exegese also solle sich mit dem Problembewusstsein der systematischen Theologie belasten, um diese zu entlasten, und umgekehrt. Statt sich den Schwarzen Peter für das fehlende innertheologische Miteinander zuzuschieben, sollte das Miteinander durch diese Strategie gefördert werden. Ich möchte dieses Modell der gegenseitigen Entlastung durch Selbstbelastung für den Umgang der getrennten Kirchen vorschlagen.

       1. Die Entstehung der Ökumene aus dem Geist des Pazifismus

      Wie oft mag in diesem Jahr gesagt worden sein, Martin Luther sei nicht angetreten, um die Kirche zu spalten, sondern um sie zu reformieren? Dass es anders kam, dafür sind bekanntlich viele Faktoren maßgebend und viele Personen verantwortlich gewesen. Ob Luther die heutige römisch-katholische Kirche und den gegenwärtigen Papst so harsch kritisieren würde wie die Institutionen und Personen seiner Zeit, den Papst wegen seiner Schriftauslegung gar als Antichrist bezeichnen würde? Diese Frage lässt sich seriöserweise ebenso wenig beantworten wie diejenige, was er zu den heutigen ökumenischen Bemühungen sagen und ob er Ergebnisse wie die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre akzeptieren würde.

      Erasmus zeigte sich in seinem 1533, wenige Jahre nach dem heftigen Streit mit Luther über den freien Willen veröffentlichten Liber de sarcienda Ecclesiae concordia,2 einem Kommentar zu Psalm 83(84), überzeugt, dass die Krankheit der Spaltung noch nicht so weit fortgeschritten sei, dass sie nicht mehr geheilt werden könne. Als sanfte Medizin schlug er das Aufeinander-Zugehen beider Lager vor, welches er mit einem aus dem Sprachgebrauch der griechischen Kirchenväter stammenden Begriff bezeichnet, der dort für die Inkarnation des Logos gebraucht wird (συγκατάβασις = Herablassung). Erasmus fordert zum einen Reformen, die vor allem den geistlichen Charakter des kirchlichen Amtes wieder deutlich werden lassen, und warnt zum andern davor, Überkommenes leichtfertig aufzugeben. Er plädiert dafür, Gebräuche, die von den Lutheranern als Missbräuche gebrandmarkt werden, wie das Gebet für die Verstorbenen, die Anrufung der Heiligen, die Verehrung von Bildern und Reliquien, die Beichte usw., als Zeugnisse wirklicher Frömmigkeit anzuerkennen und entsprechend zu tolerieren. Seine Hoffnung

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